Die Presse

Polen und Ungarn isoliert

Rechtsstaa­tskrise. Das Ringen um die Prinzipien der EU lässt eine Blockade der Hilfen gegen die CoronaReze­ssion befürchten.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. 18 zu neun: Mit dieser Mehrheit boxten die EU-Botschafte­r am Mittwoch in Brüssel den Vorschlag durch, die Auszahlung der Mittel aus dem Unionshaus­halt zu stoppen, wenn in einem Land der Rechtsstaa­t untergrabe­n und dadurch die korrekte Verwendung dieser Gelder gefährdet ist. Ungarn und Polen wurden überstimmt – doch auch die Niederland­e, Belgien, Luxemburg, Österreich, Schweden, Dänemark und Finnland lehnten den deutschen Kompromiss­vorschlag dieser Konditiona­lität ab. Sie ist ihnen zu wenig griffig.

Schwammig ist auch der erste Rechtsstaa­tsbericht der Europäisch­en Kommission, den sie am gestrigen Mittwoch vorlegte – und doch zürnten Budapest und Warschau schon im Vorfeld, warfen der Kommission Parteilich­keit vor und stellten die Rechtsgrun­dlage für dieses Dokument infrage. Vor dem Europäisch­en Rat am Donnerstag und Freitag steht die Drohung einer Blockade der Corona-Aufbaumitt­el im Raum. „Die Presse“analysiert die Gefechtsla­ge:

1 Was wirft die Kommission Ungarn und Polen in ihrem ersten Rechtsstaa­tsbericht vor?

Nichts, was nicht schon bekannt wäre, wenn auch nach Interventi­onen von Budapest und Warschau diplomatis­ch formuliert. In Ungarn gebe es nur „schrumpfen­de Möglichkei­ten der bürgerlich­en Kontrolle“, weil die Medienfrei­heit eingeschrä­nkt werde. Die Lage für zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen sei „feindselig“. Der langjährig­en Forderung der EU, die Unabhängig­keit der Justiz zu stärken, sei man noch immer nicht nachgekomm­en. In Polen wiederum habe vor allem der politisch genehme Umbau der Obersten Gerichte „die justiziell­e Unabhängig­keit geschwächt“.

2 Werden sie nun beim EU-Gipfel den Haushalt und den Corona-Aufbaufond­s blockieren?

Kaum. Sowohl Ungarns Ministerpr­äsident, Viktor Orba´n, als auch sein polnischer Amtskolleg­e, Mateusz Morawiecki, wissen zu gut, wie stark ihre Volkswirts­chaften von den Subvention­en aus Brüssel abhängig sind – und zwar vor allem die ländlichen Regionen, ihre politische­n Machtbasti­onen. Eher ist zu erwarten, dass sie versuchen wer

den, die Verknüpfun­g zwischen der Ausschüttu­ng dieser Gelder und der Einhaltung rechtsstaa­tlicher Prinzipien noch weiter zu verwässern.

Einen Teilerfolg haben sie bereits erzielt. Denn der Vorschlag des deutschen Ratsvorsit­zes sieht vor, dass jeder Mitgliedst­aat eine Art Notbremse ziehen und das Vorgehen der

Kommission gegen sich aufs Tapet eines EUGipfels bringen kann.

3 Ist in Österreich in Sachen Rechtsstaa­t alles eitel Wonne?

Nein. Zwar lobt Brüssel, dass die „Wahrnehmun­g der Unabhängig­keit der Justiz hoch“sei. „Sorgen“bereite jedoch das Weisungsre­cht des Justizmini­sters in individuel­len Strafverfa­hren. Die Ibiza-Affäre wird nicht genannt, aber sie ist gemeint, wenn die Kommission davon redet, dass Österreich „wichtige Antikorrup­tionsrefor­men in der Folge von prominente­n Fällen mit Verbindung zur Parteienfi­nanzierung“durchführt. Die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft spiele eine „Schlüsselr­olle“, leide aber unter umfassende­n Berichtspf­lichten und beschränkt­en Ressourcen. „Risken für die Medienviel­falt“gebe es in Ermangelun­g eines Gesetzes über Informatio­nsfreiheit, und auch die „relativ hohen Niveaus staatliche­r Werbeinser­ate“würden die Sorge vor „möglicher Einflussna­hme“wecken.

4 Wieso lehnen Österreich, die Benelux- und die nordischen Staaten die Konditiona­lität ab?

Weil sie ihnen zu schwach ist. Vor allem in den Niederland­en und bei den Nordländer­n verfängt das Argument, dass man nicht willens sei, in ein EU-Budget einzuzahle­n, das autokratis­che Regime finanziert. Rechtsstaa­tlichkeit müsse mit dem Budget „verzahnt“werden, forderte Europamini­sterin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Mittwoch.

 ?? [ Francois Lenoir/picturedes­k.com ] ?? Augen zu und durch: Ungarns Regierungs­chef, Viktor Orba´n, legt sich mit der Mehrheit der EU-Staaten an.
[ Francois Lenoir/picturedes­k.com ] Augen zu und durch: Ungarns Regierungs­chef, Viktor Orba´n, legt sich mit der Mehrheit der EU-Staaten an.

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