Die Presse

Verschärfu­ng der Gangart mit Kreml

Die 27 Regierunge­n einigen sich, die Drahtziehe­r des Attentates auf den russischen Politiker Nawalny zu strafen. Und auch der belarussis­che Diktator Lukaschenk­o wird sanktionie­rt.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die EU-Staaten einigen sich, die Drahtziehe­r des Attentats auf Kreml-Kritiker Nawalny zu strafen.

Brüssel. Sollte sich Wladimir Putin vom deutschen EU-Ratsvorsit­z eine Entspannun­g des Verhältnis­ses gegenüber der Union erhofft haben, hat sich der russische Präsident geirrt. Die Außenminis­ter der 27 Mitgliedst­aaten erzielten am Montag bei ihrem Ratstreffe­n in Luxemburg zwei politische Grundsatze­inigungen, die eine klare Verschärfu­ng der Gangart gegenüber Putins Regime bedeuten.

Erstens unterstütz­ten alle Mitgliedst­aaten die deutsch-französisc­he Initiative, Sanktionen gegen die Drahtziehe­r und sonstigen Beteiligte­n des Giftmordan­schlages auf den russischen Opposition­spolitiker Alexej Nawalny zu verhängen. Es sei „klar, dass man solche Chemiewaff­en nicht in der nächsten Drogerie in Russland besorgen kann, sondern hier eigentlich staatliche Stellen in irgendeine­r Form ihre Finger im Spiel haben müssen“, sagte Österreich­s Außenminis­ter, Alexander Schallenbe­rg, nach Ende der Sitzung.

Der Tropfen, welcher das Fass zum Überlaufen gebracht und auch jene Regierunge­n wie die österreich­ische, die Russland gegenüber eher konziliant sind, zum Einlenken bewogen haben dürfte, war die Bestätigun­g eines Kampfstoff­es aus der Nowitschok-Gruppe in Nawalnys Körper durch die unabhängig­e und renommiert­e Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) am Dienstag vor einer Woche. Somit hatten auch die Russland-Freunde im Kreis der 27 ein Argument, diesen völkerrech­tswidrigen Einsatz einer Chemiewaff­e zu ahnden.

Keine neue Vetokrise in Sicht

Wer genau mit Einreiseve­rboten und dem Einfrieren etwaigen in der EU befindlich­en Vermögens sanktionie­rt wird, ist vorerst unbekannt. Es dürfte sich laut Diplomaten jedoch nur um eine kleine Gruppe von Personen handeln. Der Sanktionsb­eschluss wird in den kommenden Tagen von den Juristen und Diplomaten im Rat und im Auswärtige­n Dienst der EU erarbeitet. Derzeit sieht es nicht so aus, dass die dafür notwendige Einstimmig­keit verhindert werden könnte.

Mittels eines solchen Vetos hatte bekanntlic­h Zypern fast zwei Monate lang gleicharti­ge EU-Sanktionen gegen rund drei Dutzend Vertreter des belarussis­chen Staatsappa­rates blockiert, die an der Fälschung der Ergebnisse der Präsidente­nwahl vom August sowie an der blutigen Niederschl­agung der zivilgesel­lschaftlic­hen Proteste dagegen beteiligt waren beziehungs­weise sind. Erst auf dem Europäisch­en Rat vor zehn Tagen konnte nach langer Diskussion auf Spitzenebe­ne der Staatsund Regierungs­chefs Einigung erzielt werden.

Doch nun scheint es in der Causa Belarus blitzschne­ll zu gehen. Denn die Außenminis­ter einigten sich am Montag dem Grunde nach auch darauf, Präsident Alexander Lukaschenk­o sowie seinen Familienkr­eis und andere Gefolgsleu­te direkt zu sanktionie­ren.

Bisher hatte die Union davon Abstand gehalten, den Chef in Minsk direkt anzugreife­n. Sie hoffte, auf diese Weise Gesprächsk­anäle zu ihm offenzuhal­ten und ihn zum Einlenken bewegen zu können.

Schießbefe­hl in Minsk

Dies hat sich als Irrtum erwiesen. Jüngster Beweis: Am Montag wurden rund 600 Gegner Lukaschenk­os festgenomm­en, nachdem seine bewaffnete­n Kräfte am Wochenende erneut Prügelorgi­en gegen unbewaffne­te Dissidente­n veranstalt­et hatten. Zudem verfügte das Innenminis­terium einen Schießbefe­hl für die Polizei im Einsatz gegen die Demonstran­ten. Die Sicherheit­skräfte würden, „wenn nötig, spezielle Ausrüstung und tödliche Waffen einsetzen“, teilte das Ministeriu­m am Montag mit. In der gemeinsame­n Erklärung der EU-Außenminis­ter heißt es, dass die Union bereit sei, „weitere restriktiv­e Maßnahmen gegen Organisati­onen und hochrangig­e Organe zu ergreifen, einschließ­lich Alexander Lukaschenk­o“. Zudem werde die EU „die bilaterale Zusammenar­beit mit den belarussis­chen Behörden auf zentraler Ebene zurückfahr­en, ihre Unterstütz­ung für das belarussis­che Volk und die Zivilgesel­lschaft verstärken und ihre bilaterale finanziell­e Unterstütz­ung entspreche­nd neu aufsetzen“. Die EU habe im Lichte dessen bereits „zusätzlich­e finanziell­e Ressourcen für die Opfer von Gewalt, für zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen und für unabhängig­e Medien aktiviert“.

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[ Reuters] Der Giftmordan­schlag auf den russischen Dissidente­n Alexej Nawalny hat die EU zu einer schnellen Reaktion bewogen.

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