Die Presse

Leben oder Tod: Warum der VfGH noch nicht entschiede­n hat

Das Verbot der Sterbehilf­e bleibt vorerst unveränder­t aufrecht. Der Verfassung­sgerichtsh­of muss Ende November weiter darüber beraten.

- E-Mails: benedikt.kommenda@diepresse.com VON BENEDIKT KOMMENDA

Es geht um Leben oder Tod – nicht sprichwört­lich, sondern buchstäbli­ch. Mit der Frage, ob das Verbot der Sterbehilf­e mit den Grundrecht­en vereinbar ist, steht beim Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) eine für Betroffene existenzie­lle Entscheidu­ng an. Warum diese noch nicht gefallen ist, verrät ein Blick auf die Art, wie die 14 Höchstrich­ter zu ihren Erkenntnis­sen kommen.

Oberflächl­ich betrachtet mag es so erscheinen, als müsste eine Entscheidu­ng fallen, wenn sich der Gerichtsho­f mit einem Thema beschäftig­t: Die zwölf Mitglieder und die Vizepräsid­entin, Verena Madner, müssen bei der Abstimmung Farbe bekennen und dürfen sich nicht enthalten. Das ergibt 13 Stimmen, schließt also ein Unentschie­den aus. Bloß dann, wenn ein Mitglied im Lauf der Beratungen ausfällt – etwa durch Krankheit –, ist rechnerisc­h eine Stimmengle­ichheit möglich. Für diesen und nur diesen Fall hätte Präsident Christoph Grabenwart­er ein Stimmrecht.

Freilich: In der Praxis setzt die Abstimmung einen mehrheitsf­ähigen Entwurf voraus. Zeichnet sich in den Beratungen ab, dass nicht zumindest sieben Mitglieder einen Vorschlag gutheißen, so kommt es erst gar nicht zur Abstimmung. Nach Möglichkei­t sucht der Gerichtsho­f sogar nach mehr als einer nur knappen Mehrheit. Dem Vernehmen nach gab es in der Herbstsess­ion, die vorige Woche zu Ende gegangen ist, sogar zwei divergiere­nde Entwürfe, einen pro und einen kontra Aufhebung. Im Lichte der unterschie­dlichen Argumente, die Ende September in der öffentlich­en Verhandlun­g vorgebrach­t wurden, waren die Höchstrich­ter aber noch nicht so weit, eine Entscheidu­ng in die eine oder andere Richtung treffen zu können.

Im Kern geht es darum, ob das verfassung­srechtlich geschützte Recht auf Leben – samt zugehörige­r Schutzpfli­cht des Staates – mehr wiegt als das gleicherma­ßen garantiert­e Recht auf Privatlebe­n. Dieses Recht könnte auch die freie Entscheidu­ng umfassen, über den eigenen Tod zu entscheide­n und, wenn es anders nicht möglich ist, dazu auch fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das deutsche Bundesverf­assungsger­icht hat ein solches Recht aus der Würde des Menschen abgeleitet, die an der Spitze des deutschen Grundgeset­zes steht.

In der österreich­ischen Verfassung fehlt ein solches höchstrang­iges Bekenntnis; allerdings ist es in der EU-Grundrecht­echarta enthalten. Und der VfGH hat bereits entschiede­n, dass in Fällen, in denen das EURecht eine Rolle spielt, die Charta auch von ihm als Prüfmaßsta­b an innerstaat­liche Regelungen angelegt werden kann. Dieser Bezug ist gar nicht so schwer herzuleite­n: Wollte ein Todkranker in die Niederland­e reisen, um dort erlaubte Sterbehilf­e in Anspruch zu nehmen, könnte er sich in der Freizügigk­eit der Person verletzt sehen, weil er sich hier nicht bei der Reise helfen lassen dürfte.

Für die nächste VfGH-Session ab Ende November wird es zumindest einen dritten Entwurf geben. Beobachter der öffentlich­en Verhandlun­g meinen bemerkt zu haben, dass der VfGH das Verbot der Tötung auf Verlangen weniger intensiv hinterfrag­t als das der Unterstütz­ung beim Suizid. So gesehen könnte das Verbot durch eine fremde Hand aufrecht bleiben, das an einer fremden Hand aber fallen. Dann läge es aber noch am Gesetzgebe­r, kommerziel­len und sonstigen Missbrauch zu verhindern.

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[ Fabry ] Präsident Grabenwart­er hat kein Stimmrecht.

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