Brexit: Vertrauen ist gut, Sanktionen sind besser
Großbritannien/EU. Als Konsequenz auf den angekündigten Bruch des EU-Austrittsvertrags durch die Briten fordern die Staats- und Regierungschefs der EU-27 strenge Strafen bei Nichteinhaltung des künftigen Handelsabkommens.
Brüssel/London. Als die britische Regierung Anfang September ihr neues Binnenmarktgesetz vorgelegt hatte, das „in einer spezifischen und limitierten Weise“(so formulierte es jedenfalls der britische Nordirland-Minister Brandon Lewis) Teile des erst im Jänner ratifizierten EU-Austrittsabkommens außer Kraft setzte, beschränkte sich die EU auf verbale Kritik. Dass der beabsichtigte Vertragsbruch Konsequenzen für die Verhandlungen über das künftige (Wirtschafts-)Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU haben würde, war allerdings abzusehen.
Und so kam es auch: Nach einem Bericht der „Financial Times“haben sich die 27 Unionsmitglieder, in deren Namen die EU-Kommission mit den Briten verhandelt, in diesen Verhandlungen vom Vertrauensprinzip verabschiedet. Demnach wurde EUChefverhandler Michel Barnier von einer Gruppe von Staats- und Regierungschefs (darunter Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron) angewiesen, das künftige Handelsabkommen (sofern es überhaupt dazu kommt) mit Zähnen auszustatten. Soll heißen: Sollte Großbritannien gegen Teile des Abkommens verstoßen, will die EU das Pouvoir haben, binnen kürzester Zeit Breitband-Sanktionen gegen die britische Wirtschaft zu verhängen – und nicht erst nach einem diesbezüglichen Urteil des Schiedsgerichts. Dieser Mechanismus soll verhindern, dass die Briten die Spielregeln des EU-Binnenmarkts unterwandern und anschließend im Streitschlichtungsverfahren auf Zeit spielen.
Barnier solle demnach sicherstellen, dass es gleiche Wettbewerbsbedingungen“für europäische und britische Unternehmen gebe. Viel Zeit bleibt ihm dafür nicht mehr. Eigentlich hätte ein Handelsabkommen beim EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag abgesegnet werden sollen. Dazu wird es aller Voraussicht nach nicht kommen, denn es gibt immer noch keinen inhaltlichen Kompromiss in heiklen Streitfragen. Es geht vor allem um die Einhaltung der EU-Spielregeln am EU-Binnenmarkt durch Großbritannien – also beispielsweise keine Subventionen für britische Firmen, damit sie ihrer EU-Konkurrenz das Wasser abgraben können. Auch was das Schicksal der EU-Fischer anbelangt, die ihre Arbeit bis dato in britischen Hoheitsgewässern verrichten durften, gibt es noch keine einvernehmliche Lösung.
Die Übergangsfrist, während der Großbritannien als EU-Outsider weiterhin am gemeinsamen Binnenmarkt teilnehmen darf, endet am 31. Dezember – die Frist für eine Verlängerung dieser Post-Brexit-Schonzeit ist am 30. Juni verstrichen. Damit ein Handelsvertrag rechtzeitig in Kraft treten kann, muss er davor von EU-Experten legistisch „geglättet“, in alle Amtssprachen der EU übersetzt und vom Europaparlament und den Regierungen der EU-27 angenommen werden. Bei einem umfassenderen Deal, der über Zölle und Quoten hinausgeht, müssen auch alle nationalen (und einige regionale) Parlamente in der EU zustimmen. (la)