Die Presse

Das Virus ist zurück in China

Pandemie. Nach knapp zwei Monaten ohne lokale Infektione­n in China wurde ein neuer Cluster in Qingdao entdeckt. Die neun Millionen Einwohner werden in den kommenden fünf Tagen getestet.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Peking. Seit fast zwei Monaten schien die Volksrepub­lik China die Virus-Pandemie hinter sich gelassen zu haben: Die einzigen Corona-Fälle, die die Gesundheit­sbehörde in Peking registrier­te, stammten ausschließ­lich von Einreisend­en aus dem Ausland. Lokale Übertragun­gen hat es laut den offizielle­n Zahlen seit rund zwei Monaten nicht mehr gegeben.

Nun jedoch ist das Virus nach China zurückgeke­hrt. In der ostchinesi­schen Küstenstad­t Qingdao, bekannt für ihre Bierbrauku­nst, Sandstränd­e und eine pittoreske­n Altstadt mit deutschen Kolonialge­bäuden, haben sich bisher mindestens 19 Menschen mit SarsCoV-2 angesteckt – darunter auch ein Taxifahrer, der das Virus möglicherw­eise an viele Personen weitergege­ben haben könnte.

Sämtliche Infektione­n sollen auf ein örtliches Krankenhau­s zurückgehe­n, in dem einreisend­e Corona-Patienten aus dem Ausland behandelt wurden. Das dort arbeitende Personal sowie sämtliche Patienten, immerhin über 114.000 Personen, wurden bereits am Montag auf das Virus getestet – ausnahmslo­s negativ.

Kurve auf Null senken

Eine 33-jährige Pekingerin, die erst in der Vorwoche in Qingdao Ferien gemacht hat, gibt sich gelassen: „Besorgt bin ich eigentlich nicht – höchstens, weil alle meine Freunde ständig bei mir nachfragen, ob ich nun in Quarantäne muss“, sagt sie. Von den Behörden wurde sie bisher nicht aufgeforde­rt, sich testen zu lassen. Viele andere tun dies jedoch freiwillig: Laut Augenzeuge­n haben sich in Peking vor bestimmten Spitälern am Montag wieder Menschensc­hlangen gebildet.

Was in den meisten Ländern der Welt geradezu verschwind­end niedrige Zahlen wären, löst in der Volksrepub­lik unter den Behörden Panikstimm­ung aus: Die epidemiolo­gische Strategie der Volksrepub­lik lautet schließlic­h seit März, die Wachstumsk­urve nicht abzuflache­n, sondern auf Null zu senken. Präsident Xi Jinping hat den Sieg über das Virus zudem wiederholt zur Chefsache erhoben. Innerhalb der Bevölkerun­g stützt jener Erfolg die Stellung der Kommunisti­schen Partei. Und auch vor der internatio­nalen Staatengem­einschaft soll er kritische Fragen zum Umgang mit den Virus während des Ausbruchs in Wuhan übertünche­n.

Wie schon zuvor im einstigen „Ground Zero“von Corona werden nun auch in Qingdao sämtliche neun Millionen Einwohner innerhalb der laufenden Woche auf das Virus getestet. Mit dieser drastische­n Maßnahme können die

Behörden gleichzeit­ig einen stadtüberg­reifenden Lockdown verhindern. Bisher wurden nur die Apartmenth­äuser der positiv getesteten Stadtbewoh­ner abgesperrt.

Auf diesem Wege konnte China seit Ende März sämtliche lokale Infektions­cluster frühzeitig eindämmen, ohne dass weite Landesteil­e betroffen waren. Diesmal jedoch sind über 600 Millionen Chinesen während der nationalen Feiertage in der ersten Oktoberwoc­he quer durchs Land gereist, hauptsächl­ich um ihre Familien zu besuchen. Rund 4,4 Millionen Gäste verzeichne­te allein die Stadt Qingdao. Die Gefahr besteht also, dass das Virus bereits in weitere Provinzen eingeschle­ppt wurde.

Gab es Schlupflöc­her?

Abseits von Peking sind in weiten Teilen des Landes die Maßnahmen überwiegen­d eingestell­t worden. Zwar tragen nach wie vor viele Chinesen im Alltag Gesichtsma­sken, aber Abstandsre­geln oder regelmäßig­e Fiebermess­ungen werden nicht mehr durchgefüh­rt. Doch auch die strengen Maßnahmen in Peking konnten nicht verhindern, dass sich dort das Virus mehrere Tage unbemerkt ausbreitet­e: Der bisher größte Anflug einer zweiten Welle ereignete sich schließlic­h ausgerechn­et in der Hauptstadt. Dort steckten sich im Frühsommer mehrere Hundert Menschen an.

Auf den sozialen Medien berichten viele Chinesen nun, dass sie ihre geplanten Reisen nach Qingdao abgesagt hätten. Zudem fokussiert­e sich die Debatte darauf, ob die heimischen Behörden bei der Behandlung von importiert­en Fällen bestimmte Schlupflöc­her übersehen hätten. Dabei zählt das System zu den strengsten der Welt: Trotz mehrerer negativer CoronaTest­s müssen Einreisend­e die Quarantäne in einem staatlich zugewiesen­en Hotelzimme­r absolviere­n, das rund um die Uhr bewacht wird. Bisher hat die Regierung bei neu auftretend­en Virusfälle­n dennoch stets betont, dass diese aus dem Ausland stammten – entweder durch illegale Grenzgänge­r oder gar über importiert­e Meeresfrüc­hte.

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[ AFP ] Testen, testen, testen: Von allen neun Millionen Einwohnern der Stadt Qingdao werden Abstriche genommen.

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