„Unternehmer scheitern täglich“
Interview. Matthias Unger, neuer Vorsitzender der Jungen Industrie, fordert eine Kultur des Scheiterns, sowie mehr Digitalisierung, und spricht über den Verlust von qualifizierten Frauen.
Die Presse: Seit Freitag sind Sie neuer Bundesvorsitzender mit Katharina Rhomberg-Shebl und Nikolaus Griller als ihre Stellvertreter. Was werden Sie anders machen als ihr Vorgänger Andreas Wimmer?
Matthias Unger: Ich kehre gern vor der eigenen Türe. Ich möchte Österreich als Produktionsstandort absichern. Deswegen setze ich auf Themen wie Digitalisierung sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ihr Großvater gründete seinen Schlosserbetrieb 1952. Ihr Vater Josef Unger machte daraus 1986 ein Stahlunternehmen. Viele Industrien sind in diesem Zeitraum entstanden. Aber es gibt kaum neugegründete Industriebetriebe. Fehlt es an Innovation? Innovation und Digitalisierung sind wichtige Treiber. Erst zehn Prozent des Datenvolumens sind bereits systemisch erfasst. Das bietet ein enormes Wachstumspotenzial. Wir als Junge müssen diese Prozesse in Unternehmen verbessern und neue Geschäftsmodelle daraus kreieren. Für Start-ups gibt es in Österreich zwar Seed-Kapital, also Finanzierung, wenn man ein Unternehmen gründet, aber es fehlen Anschlussfinanzierungen. Venture Capital gibt es bei uns nicht in dem Ausmaß, in dem es vorhanden sein sollte.
Sie sind selbst Business Angel.
Ich habe drei direkte Start-up-Finanzierungen in Deutschland. Dort geht die Anschlussfinanzierung viel leichter vonstatten. Generell ist dort eine Kultur des Scheiterns weiter verbreitet.
Ist Scheitern gut?
Im Unternehmen ist mir ein Mitarbeiter lieber, der versucht hat, Unternehmer zu sein, als jemand, der es nicht versucht hat. Mit dieser Mentalität müssen wir als Junge beispielhaft vorangehen.
Sie wollen das Scheitern nach Österreich holen?
Die Mentalität und den positiven Zugang. Es scheitert nicht an den Menschen, die innovativ sind. Der Markt findet seine Zugänge. Die Gründer gehen ja nach Berlin, London, Kalifornien. Das heißt, die Innovationskraft ist hier. Es muss uns nur gelingen, das Venture Capital nach Österreich zu bringen und einen Kulturwandel zu vollziehen.
Sind Sie mit einer Kultur des
Scheiterns aufgewachsen? Sie haben nun das Ruder bei Unger Steel von ihrem Vater übernommen. Wie findet so ein Übergang von Vater zu Sohn statt? Strukturiert. Ich habe verschiedene Phasen durchlaufen – auch eine Bewährungsphase. Während dieser habe ich unser zweites Produktionswerk in den Vereinten Arabischen Emiraten geleitet und ausgebaut. Danach kam die gemeinsame Phase mit meinem Vater. In unserem Fall war der Übergang ein Prozess von zehn Jahren. Auf diesem Weg probiert man viel und scheitert auch viel. Unternehmer scheitern täglich. Aber daraus lernt man.
War das emotional?
Natürlich ist das für Familienunternehmen emotional, deswegen haben wir das strukturiert. Nach jeder Phase gab es ein mögliches Ausstiegsszenario. Damit wurden die Emotionen außen vor gelassen und das professionell gesehen.
Wann war klar, dass Sie in die Firma einsteigen? Schon mit der Muttermilch?
(Lacht.) Ich sage tatsächlich immer, dass ich schon seit 38 Jahren im Unternehmen bin. Natürlich bekommt man schon als Jugendlicher diese Prozesse mit und man wächst damit auf. Eine bewusste Entscheidung fällte ich in den verschiedenen Phasen.
Was würden Sie coronageplagten jungen Unternehmern und Startups zurufen?
Hartnäckigkeit zeigen. Corona geht vorüber, aber ein digitales Geschäftsmodell wird auch danach funktionieren. Corona ist ein Beschleuniger der Digitalisierung.
Gibt es die Fachkräfte dafür?
Es bedarf sicherlich einer Reihe an neuen Lehrberufen, wie Coding. Österreich könnte hier eine Vorreiterrolle einnehmen.
Dafür brauchten wir wohl auch mehr Wirtschafts- und Technologiewissen in den Schulen?
Das ist sicherlich etwas, was notwendig ist. Bei den Hochschulen haben wir viel technisches Talent. Nun müssen die Tech-Teams neue Geschäftsmodelle aus der Digitalisierung kreieren. Da bedarf es eines Mentalitätswechsels. Amerikanische Unternehmen legen ihre Ressourcen zwei Drittel betriebsorientiert und ein Drittel in der Verwaltung an. In Europa ist es genau umgekehrt. Amerikaner haben einen ganz anderen Zugang.
Sie sind seit zehn Jahren in der Jungen Industrie. Wie wird die Industrie in einer Dekade aussehen? Hat Österreich dann einen eigenen Elon Musk?
(Lacht.) Man muss ja nicht gleich mit Elon Musk mithalten können, aber vielleicht schaffen wir eine kleinere Alpen-Version. Wir sind im Jahrhundert der Digitalisierung. Dort liegt für Österreich als Produktionsstandort die Zukunft.
Wie soll das gelingen?
Wir müssen Hochtechnologie ausbauen und neue Industrien, z. B. im Pharmabereich, anziehen. Österreich muss für internationale Schlüsselkräfte anziehen. Deswegen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Da gehen uns sehr viele hoch qualifizierte Frauen verloren. Das ist ein ökonomisches Thema. Wir brauchen mehr Angebot von Ganztagsbetreuung für Kinder. Das heißt, wirkliche Ganztagsbetreuung. Das zeichnet auch ein modernes Land aus. Oft ist es aber so, dass eine Einrichtung um 14 Uhr schließt oder im Sommer überhaupt nicht offen hat. Österreich hinkt bei der Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen hinter dem Barcelona-Ziel der EU von 33 Prozent hinter her.
Wie ist die Stimmung in der Industrie zu Männern in Karenz? Ich will mit gutem Beispiel vorangehen. In unserem Unternehmen gibt es solche Modelle. Ich unterscheide da nicht nach Geschlecht. Deswegen heißt es Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir sprechen auch bewusst die Männer an.
ZUR PERSON
Matthias Unger (38) ist seit heuer Geschäftsführer der Stahlfirma Unger Steel. Er trat schon 1999 als Technischer Konstrukteur ins Oberwarter Familienunternehmen ein. Unger Steel betreibt eine zweite Produktionsstätte in Sharjah und baute die ÖAMTC-Zentrale und das Rautendach des Hauptbahnhofs in Wien.