Warum die Preise den Mieten davonziehen
Immobilien. Eine Eigentumswohnung in Österreich wird immer mehr zum unerschwinglichen Luxus. Dafür gibt es viele Gründe – die EZB-Geldschwemme ist nur einer davon. Wie sich Corona auswirkt, lässt sich bisher nur vermuten.
Wien. Es gab eine Zeit – viele Wiener trauern ihr nach – da wurden einem die Eigentumswohnungen in der Bundeshauptstadt quasi nachgeworfen. Die Substandardwohnungen warteten nur darauf, zu günstigen Preisen erworben und per Sanierung auf Hochglanz gebracht zu werden. Vorbei die Zeiten. Eine Eigentumswohnung zu kaufen, wird in Wien immer mehr zum unerschwinglichen Luxus. Die Preise für Eigentumswohnungen sind zuletzt deutlich stärker gestiegen als die allgemeine Teuerung. Dem konnte auch der schwere Wirtschaftseinbruch durch die Corona-Krise nichts anhaben, wie eine Auswertung der Denkfabrik Agenda Austria zeigt. Von 2010 bis in das zweite Quartal 2020 verteuerten sich Eigentumswohnungen und Häuser um 76 Prozent. Die Preise für Immobilien zogen den Mieten davon: Sie stiegen im selben Zeitraum um 42 Prozent (siehe Grafik). Die allgemeinen Preise stiegen lediglich um knapp 20 Prozent.
Österreich liegt mit den Preissteigerungen für Immobilien im Spitzenfeld. Einzig in Estland, Litauen, Irland und Ungarn legten die Preise für Wohneigentum noch stärker zu. „Steigende Mieten treffen die Österreicher besonders stark, denn nur selten wird hierzulande im Eigentum gewohnt“, kommentiert die Ökonomin Heike Lehner von der Agenda Austria. Auch Vermieter sind betroffen: Wenn die Immobilienpreise stärker steigen als die Mieten, bedeutet das für sie eine geringere Rendite.
Geringe Quote an Eigentum
Für den rasanten Zuwachs der Immobilienpreise gibt es mehrere Gründe – einer ist die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Die Zinsen sind niedrig, die Kredite billig, viele andere Anlageformen wenig attraktiv – das macht Wohnimmobilien zu einem beliebten Investment. Mit etwas Zeitverzögerung begannen die Preise in Österreich im Jahr 2011, drei Jahre nach der
Finanzkrise, ordentlich anzuziehen. „Bis dahin waren die Immobilienpreise im internationalen Vergleich ziemlich niedrig“, sagt Karin Wagner, Immobilienexpertin der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Das war ein Krisenphänomen, so Wagner. „Wenn Investoren kein Vertrauen in den Kapitalmarkt haben, investieren sie in Immobilien, die sie als sicheren Hafen sehen.“
Die stärksten Steigerungen gab es laut Wagner in den vergangenen Jahren in Wien, das einen enormen Zuzug verbuchte. Im restlichen Österreich weniger. „Die Steigerungen sind sehr stark von ausländischen Investoren getrieben“, sagt Wagner. Im ruhigen Österreich, mit wenig Streiks und sozialen Spannungen und einer guten verkehrstechnischen Anbindung, noch dazu ausgehend von einem niedrigen Preiseniveau, witterten in den vergangenen Jahren viele Anleger gute Chancen. Wohnimmobilien werden dabei als sicher und attraktiv gesehen. „Es ist auch ein Mangel an alternativen Investmentmöglichkeiten“, sagt Wagner von der OeNB. Wobei die Preissteigerungen noch viel stärker sein könnten. Doch nur 19 Prozent der Menschen in Wien wohnen laut OeNB im Eigentum oder haben Immobilienbesitz, österreichweit um die 50. Außerdem wohnen rund 60 Prozent der Mieter in Wien in geförderten Wohnungen. „Das wirkt preisdämpfend“, sagt Wagner.
Wunsch nach Wohnen im Grünen
Im zweiten Quartal, in das der Lockdown in Österreich fiel, hat sich der Trend zu steigenden Preisen noch einmal beschleunigt – auf 4,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Interessant ist, dass Häuser und Wohnungen zuletzt vor allem außerhalb Wiens teuer geworden sind: Um 6,8 Prozent, nach einem Zuwachs von 2,8 Prozent in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres. Vor allem Einfamilienhäuser waren in den
Bundesländern gefragt: Die Preissteigerungen haben sich im zweiten Quartal auf 10,6 Prozent verdreifacht. Über die Gründe muss man derzeit noch mutmaßen: Der Zuwachs könnte auf Effekte der Covid-19-Pandemie zurückzuführen sein, Stichwort Home-Office, Lockdown, Social Distancing, die den Wunsch nach Wohnen im Grünen verstärkt haben. „Da muss man sich aber erst ansehen, ob das ein Trend ist“, sagt Wagner. Das werde sich im Verlauf des Jahres zeigen.
In Österreich ist es nach wie vor attraktiv, ein Haus oder eine Wohnung auf Kredit zu kaufen: Der effektive Zinssatz für Wohnbaukredite, also inklusive Zinsen und Spesen, lag im Juni 2020 bei 1,77 Prozent. Der Immobilienmarkt in Österreich war eigentlich dabei, sich abzukühlen: Seit Jahresmitte 2019 hatten sich die Preissteigerungen abgeschwächt. Mit dem neuerlichen Anstieg im zweiten Quartal erreichten die Zuwächse wieder Werte vom ersten Halbjahr 2019.