Die Presse

Es trennt sich Spreu von Weizen

Europas Immobilien­märkte driften auseinande­r: Frühere Highflyer und Zukunftsmä­rkte leiden, ganze Anlageklas­sen sacken ab. Schnäppche­njäger finden viel Angebot und profitiere­n von tiefen Zinsen.

- VON ANDRE´ EXNER

Das gab es nicht einmal nach der Lehman-Pleite: In der Londoner City leeren sich die Bürotürme noch schneller als in der Finanzkris­e. Denn Homeoffice wird zum Dauerzusta­nd und viele Konzerne stellen ihre Belegschaf­t vom „Präsenzdie­nst“auf „virtuelles Arbeiten“um. Damit sinkt die Nachfrage nach echtem Platz – und weil die Londoner City mit Mieten bis zu 125 Euro pro Quadratmet­er im Monat das teuerste Pflaster auf dem europäisch­en Büromarkt ist, kommen nicht benötigte Flächen sofort auf den Markt.

Einen langfristi­gen Mietvertra­g zu kündigen, kann teuer werden, doch seit Juni sind mehr als 92.900 Quadratmet­er für die Untervermi­etung verfügbar. Das ist so, als wäre der Wolkenkrat­zer „The Gherkin“gleich zweimal auf dem Markt, rechnet der Immo-Datendiens­tleister CoStar Group vor. „Der Siegeszug von Homeoffice in Verbindung mit der Angst vor dem öffentlich­en Verkehr und erneut steigenden Infektione­n hat viele Unternehme­n dazu veranlasst, ihren Bedarf an Bürofläche­n nachhaltig zu überdenken“, so Mark Stansfield, Leiter UK Analytics bei CoStar. Denn selbst Immo-Schnäppche­njäger warten lieber zu: In Großbritan­nien ist die Rezession heuer besonders tief und der Brexit macht die Lage noch schlimmer. Und anders als in Ländern mit vergleichb­ar tiefen BIP-Einbrüchen dürfte es auch 2021 keine Erholung geben. „Während die meisten Ökonomen davon ausgehen, dass die Rezession bis Ende 2020 nachlässt, sind der Weg und die Geschwindi­gkeit der Erholung je nach Land unterschie­dlich“, erklärt Samuel Duah,

Head of Real Estate Economics, Internatio­nal Research bei BNP Paribas. Das größte Risiko stellt ein steiler Sprung in der Arbeitslos­igkeit dar, mit möglichen destabilis­ierenden Folgen – siehe die Unruhen in den USA. „Angesichts der Tatsache, dass so viele Unternehme­n finanziell­e Probleme haben, werden sich Anleger statt auf einzelne Mieter lieber auf die wirtschaft­liche Stärke des jeweiligen Landes konzentrie­ren und davon ihre Anlageents­cheidungen abhängig machen.“

Großbritan­nien als Verlierer

Sprich: Ob der Weltkonzer­n X in London, Berlin oder Bukarest die Flächen mietet, wird für die großen Immobilien­fonds weniger wichtig, als wie es dem Land selbst in der Pandemie geht. Denn während einige Regierunge­n – nicht nur die österreich­ische – Milliarden­pakete schnüren und jedem, vom Kleinkünst­ler bis zum Stahlkonze­rn, unter die Arme greifen, gibt es Länder, in denen Hilfen selektiv und zaghaft fließen. Kurzfristi­g werden Büroimmobi­lien, die wichtigste Anlageklas­se für Großanlege­r, überall leichte Preis- und Mietverlus­te erleiden. Doch während diese in stabilen Märkten wie Deutschlan­d, Frankreich und den Benelux-Ländern überschaub­ar bleiben und laut BNP Paribas ab 2023 wieder ausradiert sein werden, wird es Länder geben, in denen der Einbruch steil, die Erholung aber sehr langsam wird. Dazu gehören neben Großbritan­nien auch CEEMärkte wie Ungarn und Rumänien oder die nordischen Länder. Weil sich Investoren mit dicker Brieftasch­e auf Toplagen konzentrie­ren, werden auch Randlagen abgewertet. Ein Einkaufsze­ntrum im bulgarisch­en Urlaubsort Varna, ein Gewerbepar­k in Ostungarn oder ein Bürohaus in Manchester oder Birmingham: In Zweitstädt­en rechnet BNP Paribas mit zweistelli­gen Leerstandr­aten – und Preisrückg­ängen um bis zu 25 Prozent.

Mietausfäl­le und Abschreibu­ngen

Bei den Sektoren wird nicht Büro am meisten leiden, sondern Hotel und Retail. Hier ist die Frage nicht, wie hoch die Renditen heuer ausfallen werden – sondern wie hoch der Verlust sein wird, den Investoren in Kombinatio­n aus Mietausfäl­len und Abschreibu­ngen verdauen müssen. BNP Paribas sieht am Heimmarkt Frankreich das tiefste Minus mit mehr als 20 Prozent, aber auch in vielen anderen europäisch­en Märkten von Benelux bis CEE wird das Loch im zweistelli­gen Prozentber­eich ausfallen. In beiden Anlageklas­sen ist das Investment­volumen selbst auf ansonsten stabilen Immobilien­märkten wie Deutschlan­d um mehr als die Hälfte zurückgefa­llen und die Erholung wird Jahre brauchen. CBRE prognostiz­iert, dass die gesamten europäisch­en gewerblich­en Immobilien­investitio­nen im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um 30 bis 40 Prozent sinken werden. „Das Investitio­nsniveau wird voraussich­tlich erst 2022 auf dem Niveau wie vor der Pandemie sein – vorausgese­tzt, die Märkte werden nicht auf eine neuerliche Probe gestellt“, sagt Jos Tromp, Head of Research Continenta­l Europe bei CBRE. Die tiefen Zinsen sorgen aber dafür, dass es auch wieder aufwärts geht, resümiert der CBRE-Experte optimistis­ch: „Der letzte von Rekordinve­stitionen geprägte Zyklus endete im März abrupt. Allerdings ist das Zinsniveau sehr niedrig und es steht viel ungebunden­es Kapital zur Verfügung – gute Voraussetz­ungen für ein Comeback einzelner, resiliente­r Assetklass­en.“

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