Die Presse

Warum die Ur-Maus viel länger lebte

Überrasche­nde Entdeckung: Die ersten Säugetiere waren Kaltblütle­r, wie Reptilien. Ihr Zähne verraten es.

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Sie sahen aus wie Spitzmäuse. Die Größe, das für flinke Bewegung angelegte Skelett, Zähne in vier Varianten, das recht große Gehirn, wohl auch Haare – alles ähnlich wie bei ihren Nachfahren. Die Tierchen Morganucod­on und Kuehneothe­rium, die zusammen mit den Dinosaurie­rn vor 200 Millionen Jahren lebten, sind zwei der ältesten Vertreter der Säugetiere. Und dazu gehört doch wohl, dass sie schon Warmblütle­r waren, also ihre Körperwärm­e durch den Stoffwechs­el unabhängig von der Umwelttemp­eratur konstant halten konnten. Oder nicht?

Paläontolo­gen um Elis Newham von der Uni Bristol haben nun eine überrasche­nde Entdeckung gemacht (Nature Communicat­ions, 12. 10.): Während heutige wilde Mäuse eine Lebenserwa­rtung von nur ein bis zwei Jahren haben, kamen diese Ur-Mäuse auf bis zu 14 Jahre – ähnlich wie Eidechsen, also Reptilien, also Kaltblütle­r. Deren längeres Leben hat mit gedämpftem Stoffwechs­el und Durchblutu­ng zu tun: Sie sind nicht so eifrig bei der Futtersuch­e, ihr Rhythmus ist langsamer. Heutige Säuger aber leben schnell und sterben jung, popkulture­ll gesagt.

Ihre Entdeckung machten die Forscher, als sie den fossilen „Wurzelzeme­nt“von 200 solcher Tiere unters Röntgen legten. Dieses Gewebe, großteils aus Mineralien, umhüllt und verankert das Dentin der Zahnwurzel. Jedes Lebensjahr wachsen ihm zwei verschiede­nfarbige Schichten zu, ähnlich wie bei Jahresring­en von Bäumen. So lässt sich bestimmen, wie lange die Tiere lebten.

Zusätzlich untersucht­en die Forscher die Oberschenk­elknochen, genauer den Durchmesse­r der Hohlräume, in denen sich die Blutgefäße befanden. Er zeigt den maximalen Blutfluss an, der wichtig für stressige Aktivitäte­n wie die Jagd ist. Und er lag offenbar nur wenig höher als bei kleinen Reptilien jener Zeit, aber viel niedriger als bei heutigen Mäusen.

Die Charakteri­stika von Säugetiere­n traten also nicht gleichzeit­ig auf, wie bisher vermutet. Die Änderung beim Stoffwechs­el von „wechselwar­m“zu „gleichwarm“entwickelt­e sich über einen Zeitraum von 25 Millionen Jahren, im frühen Jura. Und es gab einst Säuger, die viel entspannte­r waren als wir heute. (gau)

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