Der stimmgestärkte rote Bräutigam hat die Qual der Wahl
Am Sonntag gab’s viele, farbenfrohe Sieger. Nur die blau-blauen Exfreunde sind recht(s) extrem abgestürzt. Wen wird Michael Ludwig an seiner Seite dulden?
Eine rot-pinke Stadt Wien wäre außerdem ein reizvoller Gegenpol zum türkis-grünen Bund.
Wäre einmal die bisherige grüne Vizekanzlerin Birgit Hebein: Die brachialgewaltige Installateurin von Pop-up-Radwegen und sprachlich verhatschten Werbeplakaten („Wer schaut aufeinander, wenn nicht Wien“) möchte weiterhin Begegnungszonen und Sprühnebelduschen eröffnen. Und Taubenambulanzen, ein gewiss vordringliches Anliegen in Zeiten der Klima-, Gesundheits- und Wirtschaftskrisen. Zusatztipp für nächstes Jahr: Mit dem Geld, das Hebein diesen Sommer in der verkehrsumtosten Gürtel-Badewanne versickern ließ, könnte sie vielen Kindern den Eintritt in eines der wunderbar im Grünen gelegenen Freibäder finanzieren, Frischluft und Schwimmunterricht inklusive.
Gernot Blümel, dessen türkiser Blässe die Strapazen des Wahlkampfs besonders deutlich anzusehen waren, ist im Hauptberuf derzeit – noch – Finanzminister. Vermutlich will er eh nicht von der Himmelpfortgasse auf den Rathausplatz übersiedeln. Das persönliche Gesprächsklima zwischen Ludwig und Blümel ist fröstelerregend, Rot und Türkis sind einander so gar nicht grün. Bleibt also Pink. Wiens Neos-Chef, Christoph Wiederkehr, ist zwar nicht überbordend charismatisch. Aber er ist engagiert, selbstironisch („Kennt keiner, kann viel“) und hat einige gute Ideen. Eine rot-pinke Stadt wäre außerdem ein reizvoller Gegenpol zum türkis-grünen Bund. Und dann gäb’s bei einer allfälligen Corona-Ampelumschaltung zumindest keine grünen Brösel zwischen Gesundheitsministerium und Vizebürgermeisterin im Rathaus.
Übrigens: Vielleicht könnte Ludwig als erste postelektorale nette Geste das Totschlagargument „Wien-Bashing“aus dem SPÖ-Wortschatz streichen. Kritik an lückenhaftem Contact Tracing, laschen Testungen, überforderten Hotlines, hohen Fallzahlen ist nämlich kein WienBashing. So wie es kein Ischgl-Bashing ist, wenn desaströse Fehlentscheidungen türkis-schwarz-grüner Landes- und Gemeindepolitiker gründlich untersucht werden und, jetzt dann hoffentlich, Konsequenzen haben.
Apropos Corona (o je, kaum ein Kommentar ohne Querverweis auf die Pandemie, werden Sie jetzt vielleicht sagen): Unlängst klagte Albertina-Chef Klaus-Albrecht Schröder in mehreren Zeitungsinterviews über die Bundesregierung und ihr Corona-Paket. Die Kommunikation sei unkoordiniert, widersprüchlich und verunsichernd, über 60-Jährige würden wegbleiben, der Altersschnitt der Besucher sei auf 40 plus gesunken. Erstaunlicherweise verlor Schröder kein Wort über den eher (fahr-)lässigen Umgang des Wiener Gesundheitsstadtrats mit der Pandemie. Auf einer von der Europäischen Gesundheitsagentur ECDC erstellten EUCorona-Landkarte ist die Bundeshauptstadt bereits dunkelrot eingefärbt; etliche Länder haben für Wien eine Reisewarnung verhängt. Das bedeutet: keine Touristen, leere Hotels, schütter besuchte Museen. Das hat nichts mit Wien-Bashing zu tun, die Regierungen in Deutschland, der Schweiz oder den Niederlanden treffen ihre Entscheidungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unabhängig von innerösterreichischen Dissonanzen.
Peter Hacker, Ludwigs Mann fürs Grobe, der sich statt eines MundNasen-Schutzes mitunter nur cowboylike ein Schnupftüchl vors Gesicht band, mokierte sich bekanntlich während des Lockdowns über ängstliche Ärzte, „denn es wäre eigentlich zu erwarten, dass sie im Umgang mit Viren am entspanntesten sind. Es ist fatal und an sich inakzeptabel, wie hysterisch da zum Teil reagiert wird.“Mittlerweile entfallen gut die Hälfte der österreichweiten täglichen Neuinfektionen auf Wien. Die Bundeshauptstadt ist Österreichs Corona-Hotspot – und Hacker wohl nicht mehr ganz so entspannt.
Eine reibungslose(re) Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bund wäre wünschenswert. Auf dass Wien nicht Ischgl wird. Und man hinterher nicht sagen kann, man habe die Katastrophe kommen sehen müssen.