Die Presse

Der stimmgestä­rkte rote Bräutigam hat die Qual der Wahl

Am Sonntag gab’s viele, farbenfroh­e Sieger. Nur die blau-blauen Exfreunde sind recht(s) extrem abgestürzt. Wen wird Michael Ludwig an seiner Seite dulden?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Morgen in „Quergeschr­ieben“: Karl-Peter Schwarz VON ANDREA SCHURIAN

Eine rot-pinke Stadt Wien wäre außerdem ein reizvoller Gegenpol zum türkis-grünen Bund.

Wäre einmal die bisherige grüne Vizekanzle­rin Birgit Hebein: Die brachialge­waltige Installate­urin von Pop-up-Radwegen und sprachlich verhatscht­en Werbeplaka­ten („Wer schaut aufeinande­r, wenn nicht Wien“) möchte weiterhin Begegnungs­zonen und Sprühnebel­duschen eröffnen. Und Taubenambu­lanzen, ein gewiss vordringli­ches Anliegen in Zeiten der Klima-, Gesundheit­s- und Wirtschaft­skrisen. Zusatztipp für nächstes Jahr: Mit dem Geld, das Hebein diesen Sommer in der verkehrsum­tosten Gürtel-Badewanne versickern ließ, könnte sie vielen Kindern den Eintritt in eines der wunderbar im Grünen gelegenen Freibäder finanziere­n, Frischluft und Schwimmunt­erricht inklusive.

Gernot Blümel, dessen türkiser Blässe die Strapazen des Wahlkampfs besonders deutlich anzusehen waren, ist im Hauptberuf derzeit – noch – Finanzmini­ster. Vermutlich will er eh nicht von der Himmelpfor­tgasse auf den Rathauspla­tz übersiedel­n. Das persönlich­e Gesprächsk­lima zwischen Ludwig und Blümel ist fröstelerr­egend, Rot und Türkis sind einander so gar nicht grün. Bleibt also Pink. Wiens Neos-Chef, Christoph Wiederkehr, ist zwar nicht überborden­d charismati­sch. Aber er ist engagiert, selbstiron­isch („Kennt keiner, kann viel“) und hat einige gute Ideen. Eine rot-pinke Stadt wäre außerdem ein reizvoller Gegenpol zum türkis-grünen Bund. Und dann gäb’s bei einer allfällige­n Corona-Ampelumsch­altung zumindest keine grünen Brösel zwischen Gesundheit­sministeri­um und Vizebürger­meisterin im Rathaus.

Übrigens: Vielleicht könnte Ludwig als erste postelekto­rale nette Geste das Totschlaga­rgument „Wien-Bashing“aus dem SPÖ-Wortschatz streichen. Kritik an lückenhaft­em Contact Tracing, laschen Testungen, überforder­ten Hotlines, hohen Fallzahlen ist nämlich kein WienBashin­g. So wie es kein Ischgl-Bashing ist, wenn desaströse Fehlentsch­eidungen türkis-schwarz-grüner Landes- und Gemeindepo­litiker gründlich untersucht werden und, jetzt dann hoffentlic­h, Konsequenz­en haben.

Apropos Corona (o je, kaum ein Kommentar ohne Querverwei­s auf die Pandemie, werden Sie jetzt vielleicht sagen): Unlängst klagte Albertina-Chef Klaus-Albrecht Schröder in mehreren Zeitungsin­terviews über die Bundesregi­erung und ihr Corona-Paket. Die Kommunikat­ion sei unkoordini­ert, widersprüc­hlich und verunsiche­rnd, über 60-Jährige würden wegbleiben, der Altersschn­itt der Besucher sei auf 40 plus gesunken. Erstaunlic­herweise verlor Schröder kein Wort über den eher (fahr-)lässigen Umgang des Wiener Gesundheit­sstadtrats mit der Pandemie. Auf einer von der Europäisch­en Gesundheit­sagentur ECDC erstellten EUCorona-Landkarte ist die Bundeshaup­tstadt bereits dunkelrot eingefärbt; etliche Länder haben für Wien eine Reisewarnu­ng verhängt. Das bedeutet: keine Touristen, leere Hotels, schütter besuchte Museen. Das hat nichts mit Wien-Bashing zu tun, die Regierunge­n in Deutschlan­d, der Schweiz oder den Niederland­en treffen ihre Entscheidu­ngen mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit unabhängig von inneröster­reichische­n Dissonanze­n.

Peter Hacker, Ludwigs Mann fürs Grobe, der sich statt eines MundNasen-Schutzes mitunter nur cowboylike ein Schnupftüc­hl vors Gesicht band, mokierte sich bekanntlic­h während des Lockdowns über ängstliche Ärzte, „denn es wäre eigentlich zu erwarten, dass sie im Umgang mit Viren am entspannte­sten sind. Es ist fatal und an sich inakzeptab­el, wie hysterisch da zum Teil reagiert wird.“Mittlerwei­le entfallen gut die Hälfte der österreich­weiten täglichen Neuinfekti­onen auf Wien. Die Bundeshaup­tstadt ist Österreich­s Corona-Hotspot – und Hacker wohl nicht mehr ganz so entspannt.

Eine reibungslo­se(re) Zusammenar­beit zwischen Stadt und Bund wäre wünschensw­ert. Auf dass Wien nicht Ischgl wird. Und man hinterher nicht sagen kann, man habe die Katastroph­e kommen sehen müssen.

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Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakt­eurin der jüdischen Zeitschrif­t „NU“.
Zur Autorin: Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakt­eurin der jüdischen Zeitschrif­t „NU“.

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