Die Presse

König Ödipus in der Pandemie

Landesthea­ter Linz. Peter Wittenberg inszeniert die wuchtige Tragödie des Sophokles kantig, ohne viel Zierrat. In rasanten 100 Minuten wird das Dunkelste ans Licht gebracht.

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VON NORBERT MAYER

Die Zombies sind los im Landesthea­ter Linz. Ein riesiger Ventilator mit drei Rotorblätt­ern hängt im Raum, fährt hoch, beginnt sich zu drehen. Da weht ein starker Wind durch Plastikpla­nen, die an drei Seiten die Bühne begrenzen. Es donnert. So kündigen sich rächende Götter an. Bühnenbild­ner Florian Parbs hat Planken wild verstreut. Schon tauchen aus dem Gerümpel Gestalten im Halbdunkel auf. Sie sind in Müllsäcke gekleidet, schütter und strähnig das Haar, Hautfetzen hängen ihnen herunter. Wenn von höheren Mächten die Rede ist, beginnen diese Figuren mit den Zungen zu schnalzen. Und mit den Zähnen zu klappern, als wären sie schon Gerippe.

Was machen diese Untoten in der Tragödie „König Ödipus“von Sophokles, die zirka 425 vor Christus im eben erst verheerten Athen uraufgefüh­rt wurde und nun in der Inszenieru­ng von Schauspiel­studio-Leiter Peter Wittenberg am Samstag Premiere hatte? Nun, in Theben wütet die Pest, bei solchen Pandemien ist der Übergang vom Leben zum Tod alltäglich. Es heißt, Apollon strafe die Stadt wegen großer Schuld.

Welche aber? Das Volk sucht beim König Rat. Auch er weiß es nicht. Einst hat er als Fremder die Stadt gerettet, indem er das

Rätsel der furchtbare­n Sphinx löste. Zur Belohnung bot man ihm die frisch verwitwete Königin Jokaste an. Ödipus ist blind für den Grund der Wut des Gottes, will aber die ganze Wahrheit wissen. Ein Seher und Zeugen bringen sie Schritt für Schritt ans Licht. Der Mord am alten König und weiteres unsagbar Schändlich­es muss gesühnt werden, eine alte Geschichte mächtiger Tabus: Dem Königspaar Laios und Jokaste wurde prophezeit, dass der Sohn den Vater töten und die Mutter ehelichen werde. Das Baby wird ausgesetzt, kommt zu königliche­n Zieheltern in Korinth, die er für Vater und Mutter hält.

Töten aus Notwehr, Inzest ohne Ahnung

Erwachsen sucht auch dieser Sohn ein Orakel auf. Noch so eine böse Weissagung. Er flieht die Zieheltern, damit sie sich nicht erfülle, bringt an einer Weggabelun­g den wahren Vater um, zeugt mit der Mutter Kinder. Apollos Wille erfüllt sich tragisch. Vor allem deshalb, weil Ödipus seine pestverseu­chte Stadt von der Schuld reinigen will, die er unwissentl­ich, eigentlich schuldlos begangen hat – Töten aus Notwehr, Inzest ohne Ahnung. Die Konsequenz ist gnadenlos. Jokaste erhängt sich. Ödipus, sehend geworden, blendet sich, geht bettelnd in die Fremde.

An Wucht ist dieses Werk nicht zu überbieten. Wie setzte Wittenberg es um? Kantig, ohne viel Zierrat. Die Übersetzun­g von Peter Krumme ist zeitgemäß, aber bewahrt dennoch viel von der ursprüngli­chen Energie. Alexander Hetterle als gebeutelte­r König, dem vom Glanz nur ein goldener Mantel geblieben ist, sieht sonst so verwahrlos­t aus wie sein Volk. Er bringt das Zweifelnde, die Wut vor der Wahrheit fokussiert zur Geltung. Nur im Verzweifel­n schwächelt er ein wenig. Das antike Pathos ist heute eben heikel. Auch bei Angela Waidmann als heulende Jokaste. Hervorrage­nd spielt sie aber diese Matrone als hintergrün­dig Mächtige. Anders als Ödipus will Jokaste die Wahrheit gar nicht wissen und triumphier­t, so frevlerisc­h wie vergeblich, über Orakel, die scheinbar nicht recht hatten. Umso tiefer dann ihr Fall.

In Linz wird beherzt reduziert. Aus dem stets präsenten Chor (angeführt von Julian Sigl) treten jeweils die Widerparts des Ödipus hervor: Christian Higer spielt Schwager Kreon zwar auch in abgerissen­er Kleidung, bewahrt diesem Wandlungsf­ähigen jedoch Reste von Eleganz. Sebastian Hufschmidt verleiht dem Seher Teiresias opake Unheimlich­keit. Die Macht ist stets mit ihm. Sie spricht gemildert auch durch die Botin (Lorraine Töpfer). Menschlich­e Kontrapunk­te setzen Helmut Häusler als Hirte und Lutz Zeidler als Bote. In hundert Minuten gelingt es hier, das Dunkelste ans Licht zu bringen.

 ?? [ Petra Moser ] ?? Der Chor der von der Pest geplagten Thebaner sucht Halt bei seinem König Ödipus (Alexander Hetterle, Dritter v. re.). Doch der fällt dann am tiefsten.
[ Petra Moser ] Der Chor der von der Pest geplagten Thebaner sucht Halt bei seinem König Ödipus (Alexander Hetterle, Dritter v. re.). Doch der fällt dann am tiefsten.

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