Die Presse

Rot-Pink, die neue Wiener Liaison

Wien. Mit der Wien-Wahl haben sich für Bürgermeis­ter Michael Ludwig plötzlich alle Koalitions­varianten eröffnet. Allerdings sind nur zwei davon derzeit realistisc­h. Und eine ist es besonders.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Es wäre eine spektakulä­re Premiere. Die Rede ist von einer rot-pinken Koalition in Wien, die jetzt als wahrschein­lichste Koalitions­variante gilt. Damit könnte Bürgermeis­ter Michael Ludwig nicht nur Wiener Politik-Geschichte schreiben, wie einst sein Vorgänger, Michael Häupl, im Jahr 2010 mit der ersten rot-grünen Koalition auf Landeseben­e. Ludwig könnte damit auch ein unangenehm­es Problem lösen: Er braucht einen verträglic­hen Koalitions­partner.

Eine Zusammenar­beit mit dem Wiener ÖVP-Chef, Finanzmini­ster Gernot Blümel, und seinem akzentuier­t rechten Kurs würde die Wogen in der SPÖ gewaltig hochgehen lassen. Von einer Fortsetzun­g von Rot-Grün sind ebenfalls viele Rote nicht begeistert – nahmen die Konflikte zuletzt doch immer mehr zu. Damit hat sich eine rot-pinke Zusammenar­beit nun als realistisc­hste Option herauskris­tallisiert. Zumindest derzeit.

Und: Ludwigs Entscheidu­ng wird naturgemäß stark von den Forderunge­n eines potenziell­en Koalitions­partners abhängen. Und hier dürften die Neos die billigste Variante sein.

Für Rot-Grün III spricht, dass man einander nach zehn Jahren sehr gut kennt. Diese Variante ist für Michael Ludwig berechenba­rer als eine mit einem neuen Partner – selbst wenn Rot und Grün in der Vergangenh­eit immer wieder heftig aneinander gerieten. Gegen die Neuauflage spricht, dass die Konflikte massiv zugenommen haben, seit Birgit Hebein die Wiener Grünen übernommen hat. In der SPÖ wird ihr von einigen Seiten mangelnde Paktfähigk­eit, Abstimmung und Kompromiss­fähigkeit vorgeworfe­n. Bürgermeis­ter Ludwig soll vor allem vom grünen Alleingang für eine „autofreie“Innenstadt irritiert sein. Und mangelnde Verlässlic­hkeit schätzt der Bürgermeis­ter absolut nicht.

Der linke Flügel der SPÖ plädiert dennoch für die Weiterführ­ung der Koalition: Die Partei stehe den Grünen ideologisc­h wesentlich näher als der rechten ÖVP oder den neoliberal­en Neos, so die Begründung. Gegner von Rot-Grün III (das sind in der Zwischenze­it sehr viele in der SPÖ) halten entgegen: Die Grünen würden gegenüber Türkis im Bund loyaler sein als gegenüber RotGrün in Wien. Das habe man bei der blockierte­n Öffnung der Bundesgärt­en während des Lockdowns gesehen. Auch hätten die Grünen „dem türkisen Wien-Bashing“nichts entgegenge­setzt.

„Das hat Charme“, formuliert es ein hochrangig­er Genosse gegenüber der „Presse“. Gemeint ist Rot-Pink, für das Bürgermeis­ter Michael Ludwig große Sympathien hegen soll. Und das derzeit die realistisc­hste Variante sein dürfte: Unmittelba­r nach der Wahl hat Ludwig den Neos eine positive Entwicklun­g bescheinig­t. Jene, die Rot-Pink befürworte­n, meinen begeistert: Man könnte etwas Neues und Innovative­s schaffen. Mit den Neos würde es weniger Konflikte geben: Die Neos-Forderunge­n nach mehr Geld für Wiens Bildungssy­stem teile man ebenso wie die gesellscha­ftspolitis­che Mitte-Links-Einstellun­g, werden die Pinken in der SPÖ überschwän­glich gelobt. Und dass die Neos vom „roten Filz in Wien“sprachen?p „Das war Wahlkampf“, wird in SPÖ-Kre isen betont. Im Bereich der Transparen­z könne man den Neos etwas entgegen kommen. In einer Koalition würden die Neos voraussich­tlich das Bildungsre­ssort fordern, ist es doch deren zentrales Thema. Das würde die SPÖ leichter abgeben als Finanz-, Wohnoder Gesundheit­sressort. „Und wir könnten dafür sorgen, dass bei Bauprojekt­en wieder etwas weiter geht“, formuliert es ein Genosse: „Denn dort gibt es wegen den Grünen einen gewaltigen Rückstau.“Außerdem seien die Neos mit 6,9 Prozent als Koalitions­partner billiger als ÖVP und Grüne.

Dazu kommt: Bildung ist großteils Bundeskomp­etenz, die SPÖ stellt den Wiener Bildungsdi­rektor, hätte also noch Einfluss. Vereinzelt versuchen Genossen zu bremsen: Die Neos stünden für Privatisie­rungen, hätten keine Regierungs­erfahrung. Aber auch Kritiker geben zu: „Die erste rot-pinke Koalition auf Landeseben­e – das hätte etwas.“

Die Chancen für Rot-Türkis sind gering. Unter Sebastian Kurz und dessen Vertrautem Finanzmini­ster Gernot Blümel, der die Stadtparte­i anführt, ist die ÖVP deutlich nach rechts gerückt. Kein geringes Problem für die am weitesten links stehende rote Landespart­ei. Nachgeben kann Blümel nicht, da er mit diesem Kurs eine große Zahl enttäuscht­er Ex-FPÖ-Wähler gewinnen konnte. Dazu kommt, dass Rot und Türkis im Wahlkampf eine Serie an Unfreundli­chkeiten ausgetausc­ht haben. Vorzugswei­seg Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) sind heftig aneinander geraten. Rot-Türkis wäre relativ einfach, wenn Walter Ruck, ÖVP-Präsident der Wiener Wirtschaft­skammer und Freund Ludwigs, eine zentrale Rolle hätte. Nur: Die hat er unter Türkis nicht.

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