Die Grünen zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Analyse. Nur rund 14 Prozent: Gegen eine starke SPÖ tun sich die Grünen schwer. Aber das ist nicht der einzige Grund.
Die Ausgangsposition hätte, jedenfalls auf den ersten Blick, nicht viel besser sein können: Gemeinderatswahlen in Österreichs einziger Großstadt und eine urbane Partei mit Klimaschutz-Schwerpunkt, die den Zeitgeist seit geraumer Zeit auf ihrer Seite hat. Klingt nach einer guten Chance für das beste Grünen-Ergebnis der österreichischen Geschichte, oder?
Es kam anders. Nach Auszählung der Wahlkarten werden sich die Grünen in Wien bei etwa 14 Prozent einpendeln – leicht über dem Ergebnis von 2015 zwar, aber deutlich unter jenen 20,7 Prozent, die Werner Kogler bei der Nationalratswahl 2019 in Wien geholt hat (bundesweit waren es damals 13,9 Prozent). Wie ist dieser Gap zu erklären?
Am ehesten mit der SPÖ: Besonders erfolgreich sind die Grünen offenbar immer dann, wenn sie es mit einer schwächelnden oder schwachen SPÖ zu tun haben. Oder anders gesagt: Gegen eine starke SPÖ wachsen die grünen Bäume nicht in den Himmel.
Die grüne Klubobfrau im Parlament, Sigrid Maurer, hält einen Vergleich zwischen Gemeinderatswahlergebnis 2020 und Nationalratswahlergebnis 2019 für nicht aussagekräftig. Diese Unterschiede gebe es seit jeher, sie seien nichts Ungewöhnliches.
Aber Maurer verhehlt auch nicht, dass die politischen Verhältnisse in Wien derzeit andere seien als auf Bundesebene: „In Wien ist die SPÖ seit vielen Jahrzehnten mit Abstand stärkste Kraft und baut auf starken Strukturen auf, während sie im Bund deutlich weniger überzeugen kann. Auch damit ist der Unterschied zu erklären.“
Das Los des Juniorpartners
Johannes Rauch, grüner Landesrat in Vorarlberg mit bundespolitischem Gewicht, hält das Ergebnis der Wiener Kollegen für „wirklich sehr gut“. Aus eigener Erfahrung – die Grünen regieren in Vorarlberg seit 2014 mit der ÖVP – wisse er, wie schwierig es als Juniorpartner sei: „Der Größere hat immer mehr Möglichkeiten.“
Aber haben die Grünen ihr Potenzial in Wien wirklich ausgeschöpft? In Innsbruck stellen sie mit Georg Willi seit 2018 immerhin den Bürgermeister. Und den Rekord bei Landtagswahlen halten nicht die GroßstadtGrünen, sondern seit einem Jahr die Kollegen in Vorarlberg, die mit Johannes Rauch an der Spitze 18,9 Prozent und erstmals in der Parteigeschichte Platz zwei holten.
„Das ist schon richtig“, sagt Rauch. Aber im Herbst 2019 seien die Grünen gerade im Aufwind gewesen, während die zweite Coronawelle den Bundesregierungsparteien derzeit „nicht so wahnsinnig guttut“. Mit entsprechenden Auswirkungen in Wien. Außerdem seien Wahlen immer auch eine Frage der Konkurrenz: „Und die Neos kosten uns überall, wo sie antreten, Stimmen. Darüber werden wir auch noch reden müssen.“
Hebein unter den Werten der Grünen
Im Jahr 2005, als die Grünen um Maria Vassilakou mit 14,6 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis in Wien erreichten, gab es die Neos noch nicht. Womöglich lag es dieses Mal auch an Birgit Hebein, deren Bekanntheitsbzw. Beliebtheitswerte nicht mit jenen der Partei mithalten konnten. Allerdings war Hebein zum ersten Mal Spitzenkandidatin, während Rauch seinen Rekord beim vierten Antreten aufstellte. „Das macht schon auch etwas aus“, glaubt der Landesrat.
Und nun? Rot-Grün fortsetzen, lautet die Devise bei den Grünen. Und dabei geht es nicht nur ums Prestige. Wenn man auf mehreren Regierungsebenen vertreten sei, könne man innerhalb der Partei „auf ganz andere Weise Doppelpass spielen“, sagt Rauch. Und in der „größten Krise der Zweiten Republik“die Pferde zu wechseln, weil es mit den Neos zum Beispiel machtpolitisch leichter wäre, sei schon „ein Hochrisikoprojekt“. Aber diese Botschaft war dann schon an Michael Ludwig und die SPÖ gerichtet.