Es herrscht Aufruhr im englischen Fußball
Analyse. Radikale Reformvorschläge spalten den Zusammenhalt in der Premier League, ohne Änderungen überleben viele kleinere Vereine die Coronakrise nicht. „Hinterzimmer-Deals“haben jedoch einen sehr hohen Preis.
Die einen sprechen von einer „schamlosen Machtergreifung“der mächtigsten Fußballvereine im Land. Die anderen sehen darin ihre letzte Hoffnung auf ein Überleben. Ein Reformpapier, das eine Neuordnung des englischen Fußballs entwirft, wird heute, Mittwoch, auf einer Vorstandssitzung der Premier League diskutiert – und aller Voraussicht nach verworfen werden. Aber nur fürs Erste. Dass etwas geschehen muss, um Englands Fußball durch die Coronakrise zu führen, steht angesichts von Verlusten von bisher bereits über einer Mrd. Pfund außer Zweifel.
Das Reformpapier „Project Big Picture“ist ein gemeinsamer Vorschlag der Traditionsvereine Liverpool und Manchester United. Es sieht eine sofortige Geldspritze von 250 Millionen Pfund der 20 Premier-League-Vereine an die 72
Vereine der zweiten, dritten und vierten Leistungsklasse vor. Außerdem sollen 25 Prozent der TV-Gelder von derzeit rund drei Milliarden Pfund an sie verteilt werden. „Wir anerkennen, dass Wimbledon, Tranmere und Oxford genauso wichtig sind wie United und Liverpool – die einen können ohne die anderen nicht existieren“, steht in dem Papier.
Weniger Klubs, kein Ligacup
So viel Anteilnahme hat ihren Preis. Die Premier League soll auf 18 Vereine verkleinert werden, neben zwei Fixabsteigern soll der Drittletzte Relegation gegen einen Aufstiegskandidaten spielen und sowohl der Ligacup als auch der Community Shield gestrichen werden. Sie sind sportlich wertlos und besonders bei Eliteklubs, die im Europacup mehrfach belastet werden, höchst ungeliebt. Der Fußballverband FA soll mit 100 Millionen Pfund für den Einnahmenausfall entschädigt werden.
Für offene Empörung sorgt aber, dass sich die Spitzenvereine dafür Sonderrechte einräumen wollen. Bisher hat jeder PremierLeague-Verein das gleiche Stimmrecht. Jede Statutenänderung bedarf einer Mehrheit von 14 Stimmen. Nach dem Reformpapier sollen die „Big Six“– Liverpool, Manchester City und United, Arsenal, Tottenham und Chelsea – sowie Traditionsvereine wie Everton, West Ham und Southampton ob der Dauer ihrer Ligazugehörigkeit Sonderstimmrechte erhalten.
Auch das hat einen Hintergrund: Dann stünde einem neuen Verteilungsschlüssel der alles entscheidenden Einnahmen aus dem Pay-TV-Vertrag nichts mehr entgegen. Momentan gilt ein Verhältnis 1,8:1. In dem Reformpapier ist von einer Änderung auf 2,25:1 die Rede. Gerüchten zufolge streben jedoch die Eigner von Manchester United, die Glazer-Famile, sogar ein Verhältnis von 4:1 zugunsten der Großen an.
Zudem sollen Premier-LeagueKlubs das Recht erhalten, bis zu 15 Kaderspieler an andere englische Klubs auszuleihen. Der Fußballverband Fifa erlaubt nur acht, die Ausweitung würde die Macht der Großen vergrößern. Sie könnten Spieler strategisch platzieren und teurer verkaufen. Statt traditioneller Nachwuchsarbeit würden bald reine Satellitenklubs entstehen. Der Coup rief sogar die Regierung auf den Plan. Man sei „überrascht und enttäuscht“, sagte Minister Oliver Dowden und drohte: „Wenn wir solche Absprachen im Hinterzimmer bekommen, müssen wir uns wohl die gesamte Lenkung unseres Fußballs genau ansehen.“
Während mit United und Liverpool die „Rädelsführer“die Vorschläge verteidigten, hielten sich alle anderen auffällig bedeckt. Nachdem West Ham angekündigt hatte, dagegenzustimmen, wird es bei der heutigen Sitzung der Premier League keine Mehrheit geben. Vorerst. Aber die Zeit drängt.