Kirgistans starker Mann gibt die Macht ab
Zentralasien. Mit seinem Rücktritt verhindert Staatschef Scheenbekow ein Blutvergießen. Doch er hinterlässt das Land in großer Instabilität.
Moskau. Der 15. Oktober 2017 war ein Freudentag für Sooronbaj Scheenbekow: Der Politiker konnte die kirgisische Präsidentenwahl schon im ersten Durchgang für sich entscheiden. Auf den Tag genau drei Jahre später erklärte er seinen Rücktritt. „Ich halte nicht an der Macht fest“, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung des Präsidentenamtes. „Ich möchte nicht als Präsident in die kirgisische Geschichte eingehen, der Blut vergoss und auf seine eigenen Bürger schießen ließ.“
Eineinhalb Wochen nach Ausbruch der schweren Regierungskrise gab Scheenbekow damit dem Druck seiner politischen Gegner nach. Das Parlament soll am Freitag über das Rücktrittsgesuch des Staatschefs entscheiden. Scheenbekows Entscheidung war erwartet worden. Der 61-Jährige hatte bereits in der Vorwoche seinen Rückzug in Aussicht gestellt, sobald sich die politische Situation entsprechend stabilisiert habe. Scheenbekow konnte in den vergangenen Tagen die Sicherheitskräfte hinter sich scharen, doch im politischen Feld bleiben Zweifel über die Legalität der Ereignisse.
Politiker aus dem Gefängnis befreit
Schritte zur Stabilisierung waren in den vergangenen Tagen erfolgt, wobei sie von Beobachtern durchaus kontrovers beurteilt werden. Die Proteste gegen Wahlfälschungen bei der Parlamentswahl am 4. Oktober hatten in Kirgistan zu einem Machtvakuum geführt. In einer einzigen Protestnacht besetzten Demonstranten öffentliche Gebäude und befreiten ohne nennenswerte Gegenwehr der Sicherheitsbehörden mehrere ehemalige Politiker aus dem Gefängnis – darunter den (mittlerweile wieder festgenommenen) Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew sowie den nationalistischen Politiker Sadyr Schaparow. Vor allem Schaparows Anhänger vertraten in Straßenaktionen in den folgenden Tagen lautstark ihren Anspruch auf die Macht. Schaparow wurde in Folge vom Parlament in einer umstrittenen Sitzung zum Premierminister ernannt. Präsident Scheenbekow hat ihm bisher die Anerkennung versagt und eine Wiederholung der Wahl im Parlament gefordert – angesichts seines Rücktritts ist das wohl Makulatur.
Mit Schaparow führt nun also ein Politiker mit zweifelhaftem Ruf und verurteilter Straftäter die Regierungsagenden. Zu der von Teilen der Protestbewegung gewünschten Erneuerung der politischen Elite ist es nicht gekommen. Scheenbekow, dem seine Gegner die Verantwortung für die Wahlfälschungen geben, forderte Schaparow und andere Akteure auf, ihre Gefolgsleute von den Straßen zu rufen, um „das friedliche Leben in Bischkek wiederherzustellen“. Mit seinem freiwilligen Rückzug dürfte der Staatschef außerdem hoffen, dass er und seine Familie mit Sicherheitsgarantien aus der Krise aussteigen können.
Wiederholung der Parlamentswahl
Das Amt des Präsidenten dürfte von Parlamentssprecher Kanat Isajew provisorisch übernommen werden. In Schaparows Übergangsregierung wurden mehrere Vertreter von Parteien inkludiert, die zuvor gegen das Ergebnis der Parlamentswahl protestiert hatten. Der nächste wichtige Schritt für das
Kabinett ist die Wiederholung der (von der Wahlkommission annullierten) Parlamentswahl, deren Termin noch immer nicht feststeht. Eine entscheidende Frage wird sein, ob Forderungen wie die Senkung der Sieben-Prozent-Hürde und die erleichterte
Teilnahme von Kleinparteien Gehör finden. Gleichzeitig befürchten manche Beobachter, dass Schaparow die Gunst der Stunde nutzen könnte, um einen autoritäreren Kurs für die Gebirgsrepublik einzuschlagen. Bekanntlich hat Kirgistan ein parlamentarisches Regierungssystem. Schaparow bevorzugt eine Stärkung des Präsidentenamtes.
Nehmen die Abgeordneten Scheenbekows Rücktritt an, dann müssen in der instabilen Lage auch noch Präsidentenwahlen organisiert werden. Scheenbekow war von seinem Vorgänger Atambajew für das Amt vorgeschlagen worden. Anders als Atambajew stammt er aus dem Süden des Landes, was zunächst als positiver Schritt zur Konsolidierung des Landes gesehen wurde. Bald nach seinem Amtsantritt überwarf sich der hagere Politiker mit seinem einflussreichen Förderer, der schließlich im vergangenen Sommer in einer spektakulären Polizeioperation verhaftet und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Doch Scheenbekow schien seinem Amt nicht gewachsen. Seine Performance blieb holprig. In den vergangenen Monaten wurde die Regierung für ihre Passivität in der Coronakrise stark kritisiert. Zudem erschütterten mehrere Korruptionsskandale das Land, die eine große Resonanz in der Gesellschaft erfuhren – jedoch von Behördenseite weitgehend ignoriert wurden.