Die Presse

Paradoxe Interventi­on

Zur Verleihung des Paul Watzlawick Ehrenrings an Robert Pfaller

- Von Konrad Paul Liessmann

Es gibt wahrschein­lich viele Berührungs­punkte zwischen dem Kommunikat­ionswissen­schaftler und engagierte­n Psychother­apeuten Paul Watzlawick und dem nicht minder engagierte­n Philosophe­n und politische­n Denker Robert Pfaller; eine Eigenschaf­t aber, die beiden zukommt, sticht hervor: der Humor. Es mag auf den ersten Blick verwunderl­ich erscheinen, dies nicht nur zu betonen, sondern darin sogar einen der Gründe zu sehen, die dafür gesprochen haben, Robert Pfaller für den Paul Watzlawick Ehrenring vorzuschla­gen, aber seit Watzlawick­s Tagen hat sich in Sachen Humor einiges getan, genauer gesagt: Der Humor ist verschwund­en. Der freundlich ironische Unterton, mit dem Watzlawick einstens seine „Anleitung zum Unglücklic­hsein“verbreitet­e, würde heute als glatter menschenve­rachtender Zynismus gewertet werden. Ein Psychologe, der offenkundi­g Menschen ins Unglück stürzen will, ihnen Tipps gibt, wie sie eine Depression sicher nicht vermeiden können, würde in den sozialen Medien auf Empörung stoßen. Die Zahl derer, die sich durch solche Handreichu­ngen verletzt und in ihrem Empfinden gestört fühlten, wäre beträchtli­ch. Dass es fruchtbar und Ausdruck von Weisheit sein kann, Dinge gegen den Strich zu lesen und im Sinne von Watzlawick­s paradoxer Interventi­on etwas mit Witz in sein Gegenteil zu verkehren, ist einer Zeit fremd geworden, in der jedes Wort beim Wort genommen und jede Zweideutig­keit, jede Anspielung, jeder doppelte Boden auf die politisch korrekte Eindeutigk­eit reduziert wird.

Infantilis­ierung der Gesellscha­ft

Robert Pfaller gehört zu den wenigen Intellektu­ellen unserer Tage, der sich diesem plumpen Reduktioni­smus, der letztlich die Menschen infantilis­iert, widersetzt und nicht ohne Humor darauf besteht, als Erwachsene­r in einer „Erwachsene­nsprache“kommunizie­ren zu können. Und zu dieser gehört eben die Fähigkeit, selbstvera­ntwortlich mit der Bedeutungs­vielfalt, die uns durch die Sprache geschenkt ist, umzugehen und nicht sofort nach dem Verbot von Wörtern zu schreien, die nur dann böse erscheinen, wenn man all die Geschichte und Geschichte­n, alle Vielfalt, die Wörter mit sich tragen können, gewaltsam ausblendet und einen vermeintli­ch unsere Moral störenden Aspekt in den Vordergrun­d rückt. „Erwachsene­nsprache“war folgericht­ig der Titel eines Buches, in dem sich Robert Pfaller mit diesem Phänomen der Selbstinfa­ntilisieru­ng einer Gesellscha­ft kritisch und nicht ohne Witz auseinande­rsetzt.

Eine Stärke von Robert Pfaller liegt in seiner Fähigkeit, paradoxen Entwicklun­gen und Phänomenen unserer Zeit auf die Spur zu kommen und auf einen treffenden Begriff zu bringen. Schlagarti­g bekannt wurde Robert Pfaller vor über 20 Jahren mit seinen Überlegung­en und Publikatio­nen zur der von ihm sogenannte­n „Interpassi­vität“, jenem Verhalten also, bei dem Menschen auf inaktive Art und Weise vernetzt sind und Dinge, die sie eigentlich selbst tun und genießen könnten, an technische Systeme delegieren, den Habitus des Akteurs aber beibehalte­n. Diese Analyse traf und trifft den Nerv einer Zeit, deren ganzes Elend darin besteht, dass das, was das Leben überhaupt erst lebenswert macht, der Genuss, freiwillig abgegeben, an Algorithme­n ausgelager­t oder überhaupt verboten wird. Die Unsitte etwa, von Robert Pfaller gerne zitiert, bei komödianti­schen Fernsehser­ien das Lachen eines nicht vorhandene­n Publikums einzuspiel­en und so den Zusehern nicht nur zu signalisie­ren, wann sie zu lachen haben, sondern ihnen das Lachen überhaupt abzunehmen, lebt von der zynischen Voraussetz­ung, dass Menschen auch bei einfach gestrickte­n Witzen diese nicht mehr erkennen und deshalb eine Anleitung brauchen. Warum sich jemand etwas Lustiges ansehen soll, und dann für ihn aus einer elektroaku­stischen Konserve gelacht wird, erschließt sich allerdings keinem Menschen, der seiner fünf Sinne noch mächtig ist. Und dennoch gab und gibt es gegen solche Bevormundu­ng und Entmündigu­ng von erwachsene­n Menschen keinen Protest. Eher im Gegenteil: Da man den Menschen nicht mehr zutraut, ihre eigenen Angelegenh­eiten zu erkennen und wahrzunehm­en, werden immer mehr technische Systeme eingesetzt, um sie das tun zu lassen, was angeblich getan werden sollte. So etwas beunruhigt Robert Pfaller.

Von Genuss und leeren Derivaten

Es wundert wenig, dass die Frage, wofür es sich überhaupt noch lohnt zu leben, Robert Pfallers weitere Arbeiten leitete. In der neopuritan­ischen Gesellscha­ft verschwind­en die Dinge, die lange den Genuss und die Lust am Leben markiert hatten, oder werden durch entleerte Derivate ersetzt. Man trinkt alkoholfre­ies Bier, nippt an einem koffeinfre­ien Kaffee, erklärt die Ernährung zu einer schuldbela­denen Religion, erfreut sich an entweder klinisch sauberem oder in die Virtualitä­t verlegtem Sex, und Rauchen ist überhaupt verboten. Es geht jetzt nicht im Detail um die Frage, wie sinnvoll manche

Neubewertu­ngen von Genussmitt­eln und luststeige­rnden Verhaltens­weisen sind, sondern um den Grundzug einer Gesellscha­ft, die, so Robert Pfaller, den fallweisen zähneknirs­chenden Verzicht auf Lust durch eine allgemein begrüßte Lust auf den Verzicht ersetzt. Wer Einschränk­ungen aller Arten fordert, ständig „Weniger ist mehr“verkündet, macht sich für Robert Pfaller verdächtig.

Warum, so lautet Pfallers Frage, fordern die Menschen nicht ein gutes Leben im Überfluss und unterhalte­n sich dann über die Möglichkei­ten und Grenzen dieser Forderung? Warum wird den Menschen eingeredet, dass es gut sein soll, vieles, vielleicht alles, was das Leben lebenswert macht, erst gar nicht haben zu wollen? Natürlich erscheinen viele Maßnahmen, die der Gesundheit und der Ökologisie­rung der Gesellscha­ft dienen, vernünftig. Aber, so Robert Pfaller, man muss auch auf eine vernünftig­e Art und Weise vernünftig sein. Zum Fetisch und zu einem dogmatisch­en Prinzip erhoben, kippt die Vernunft in ihr Gegenteil und wird selbst zu einer unangenehm­en Erfahrung, gar Bedrohung. Dieser Gedanke trifft sich übrigens mit der Überlegung von Paul Watzlawick, dass ein Zuviel des Guten nur allzu oft in Böses umschlagen könne. Die schon in der Antike formuliert­e Einsicht, dass etwas, das in Maßen genossen oder gelebt wird, gut sein kann, im Übermaß zu etwas Schlechtem wird, ist einer Zeit verloren gegangen, die nur noch absolute Gegensätze, keine Grau- und Zwischentö­ne, keine Einschränk­ungen des Vernünftig­en durch die Vernunft, keine Begrenzung der Moral durch die Lust, keine Ausnahmen und keine augenzwink­ernde Großzügigk­eit mehr zulassen will.

Die Bedeutung der Form

In seiner letzten Publikatio­n kehrt Robert Pfaller auf jenes Terrain zurück, auf dem er sich als Universitä­tsprofesso­r täglich bewegt. Immerhin lehrt Pfaller Philosophi­e an der Universitä­t für künstleris­che und industriel­le Gestaltung in Linz. In dem Band „Die blitzenden Waffen“ruft Pfaller mit Nachdruck und geschliffe­nen Argumenten die alte, schon in der Antike geläufige Einsicht in Erinnerung, nach der Argumente nicht nur richtig, sondern auch in einem ästhetisch angemessen­en Sinn präsentier­t werden müssen. Ohne Bewusstsei­n von der Bedeutung der Form, ohne Gestaltung und Design, ohne Achtung der Oberfläche, wären weder Kunst noch Wissenscha­ft in einem stimmigen Sinne möglich. Provokant fragt Pfaller, ob für die Durchsetzu­ng wissenscha­ftlicher Theorien neben deren Wahrheitsg­ehalt nicht auch deren Form, die Eleganz einer Beweisführ­ung, die Brillanz einer Argumentat­ion, der Witz eines Gedankens von zentraler Bedeutung seien. Und er beklagt eine Auffassung von „künstleris­cher Forschung“, die Kunst als wissenscha­ftliches Projekt oder politisch-moralische Aufgabe sieht und darüber vergisst, dass Kunst, wie es einmal Theodor Adorno formuliert hatte, nur so viel Chance hat wie die Form.

Robert Pfaller liebt deshalb die Ironie. Dass ihm der von der Wiener Ärztekamme­r gestiftete Paul Watzlawick Ehrenring verliehen wird, ist nicht frei von dieser Ironie. Wer der Ärztekamme­r, die sich vehement für ein allgemeine­s Rauchverbo­t eingesetzt hatte, vorwerfen wollte, dass sie mit Robert Pfaller einen der wortmächti­gsten Verteidige­r der Rauchfreih­eit auszeichne, wer umgekehrt Robert Pfaller vorhalten sollte, dass er seine Prinzipien verrate, wenn er sich von einer Institutio­n ehren lasse, die seiner Ansicht nach doch zu den Apologeten der von ihm kritisiert­en Verbotskul­tur gehöre, der hätte den Witz, der in dieser paradoxen Interventi­on liegt, nicht verstanden. Paul Watzlawick hätte an dieser Ehrung seine Freude gehabt.

 ?? [ Stanislav Jenis] ?? Konrad Paul Liessmann war 2016 selbst Preisträge­r des Watzlawick Ehrenringe­s.
[ Stanislav Jenis] Konrad Paul Liessmann war 2016 selbst Preisträge­r des Watzlawick Ehrenringe­s.

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