Die Presse

Lieder im Zeichen des Schwefels

Pop. Er liebe industriel­le Ödnis, sagt der französisc­he Musiker Woodkid. Auf seinem Album „S16“garniert er den alten Mensch-Maschine-Topos mit kleinen romantisch­en Ornamenten.

- VON SAMIR H. KÖCK

Gar viel wird mit Schwefel assoziiert. Der Teufel etwa. Er erscheint mit schwefelig­em Gestank. Über die biblischen Städte Sodom und Gomorra kam ein Feuer- und Schwefelre­gen. Selbst im Wein sorgt Schwefel für Ungemach, wie Verkaterte wissen. Doch ihm werden auch positive Eigenschaf­ten zugesproch­en: Als Dunst aus Vulkanen soll er heilbringe­nd sein. Das alte Rom ordnete ihm eine eigene Göttin namens Mefitis zu, die moderne Chemie gibt ihm als Element die Ordnungsza­hl 16.

So erklärt sich „S16“, der Titel des zweiten Albums des französisc­hen Regisseurs und Musikers Yoann Lemoine, bekannt als Woodkid. Er passt auch gut in die Zeit der Pandemie, wurde Schwefel doch im Mittelalte­r für Schutzräuc­herungen gegen die Pest angewandt. Doch reiner Abwehrzaub­er wäre für Woodkid zu wenig. „Mir gefiel die Widersprüc­hlichkeit in der Kulturgesc­hichte des Schwefels. Mal ist er Brandbesch­leuniger, mal Heilmittel.“

Video im Braunkohle­bergwerk

Ähnliche Ambivalenz sieht Woodkid in der Welt der Technik. „Goliath“, das erste Lied des Albums, wurde in einem Braunkohle­bergwerk in Tschechien visualisie­rt. Woodkid, der früher kitschige Musikvideo­s für Lana Del Rey und Rihanna drehte, führte auch bei diesem krassen Bildwerk Regie. Menschen wuseln wie Ameisen. Eine gigantisch­e Schrämmasc­hine, wie sie im Tagbau benutzt wird, zerschneid­et die Landschaft. Sie ist der eigentlich­e (Anti-)Held des Videos. „Ich hege eine bizarre Liebe zu solch industriel­ler Ödnis“, erklärt Woodkid der „Presse“. Die üblen Seiten dieser Industrie sind ihm freilich bewusst. „Im Song geht es um Mehrdeutig­keit. Dieselben Geräte, die uns helfen, Probleme zu lösen, haben destruktiv­es Potenzial. Ich glaube, ich bin nicht allein damit, dass mich Monströses in eine Art Verzückung versetzt.“So klingt „Goliath“auch: Es dominiert metallisch­es Klappern und bedrohlich­es Heulen. Dazu versucht Woodkids Stimme, Schönheit in die bewusst hässlich konstruier­ten Sounds zu platzieren. „The chest and the head divided by a white laser“, raunt sie. Der Dualismus von Körper und Geist, er schmerzt.

Mehr noch: Der Protagonis­t des Lieds ist an der Schwelle zum Wahnsinn. „You’re playing your best role, but the mask shatters.“In dieser Zeile kulminiert das Gefühl der Vergeblich­keit. Trost folgt in Gestalt süßer Geigen. Anders als die Pioniere des Industrial, etwa Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire, baut sich Woodkid noch ins hoffnungsl­oseste Szenario kleine romantisch­e Ornamente. „Vielleicht geht es in ,Goliath‘ um meinen Versuch, meinen eigenen Frieden zu finden“, sagt er. „Ich hege die Idee, dass wir das Monströse, das wir erschaffen haben, wieder besiegen können.“

Man hört Maschinen von Tinguely

In „Pale Yellow“wechselt Woodkid die Perspektiv­e. Er hinterfrag­t psychische Muster. Funktionie­ren wir am Ende selbst wie Maschinen? Woher führt die menschlich­e Anfälligke­it für chemische Abhängigke­iten? Eine wirkliche Antwort dafür hat Woodkid keine. Tröstlich wirken nur die schelmisch rasselnden Passagen. Für das RhythmusSa­mple durfte Woodkid im Amsterdame­r Stedelijk-Museum einige Maschinen des Künstlers Jean Tinguely in Betrieb nehmen. Auch in „Pale Yellow“fasziniert der Kontrast zwischen industriel­ler Gewalt und romantisch­er Menschenst­imme.

Ob Woodkid über die äußere oder innere Welt singt, die Anmutung seiner Songs ist rauer, düsterer als auf seinem euphorisch rezipierte­n Debüt „The Golden Age“(2013). „Ich wollte mehr vom Hörer verlangen“, sagt er. „Mir ging es darum, das Chaos der heutigen menschlich­en Welt abzubilden. Es ist schwierig geworden, zwischen konstrukti­v und destruktiv zu unterschei­den. Das wollte ich in der Musik reflektier­en.“

Trotz aller Düsternis quillt Hoffnung durch die Szenarien. Ethik und Ästhetik sind bei Woodkid eng verschränk­t. Geht es ihm darum, die Welt zu verbessern? „Das zu behaupten, wäre mir zu prätentiös. Aber es ist schon so, dass mein soziales Gewissen in den vergangene­n Jahren gewachsen ist.“

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[Universal] In den Bildmotive­n für sein Album „S16“stilisiert Woodkid sich selbst als industriel­les Wesen.

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