Die Presse

Wie Neuseeland­s linke Regierungs­chefin ihre Chance nützte

Parlaments­wahl. Premiermin­isterin Jacinda Ardern steuert auf einen Sieg zu. Doch reichen ihre netten Worte?

- Von unserer Mitarbeite­rin BARBARA BARKHAUSEN

Sidney/ Wellington. Eine Terroratta­cke, ein Vulkanausb­ruch, danach die Pandemie: Jacinda Arderns drei Jahre an der Spitze der neuseeländ­ischen Regierung wurden zur Feuerprobe für die junge Sozialdemo­kratin, die während ihrer Amtszeit auch noch Mutter wurde. Doch die heute 40-Jährige überstand eine Krise nach der anderen, ihr Lächeln, aber auch ihre Tränen für die Opfer des Anschlags auf zwei Moscheen in Christchur­ch gingen um die Welt.

Die Empathie, die die Chefin der Labour Party in all den Krisen zeigte, brachte ihr weltweites Lob ein. Die Chancen stehen also gut, dass Ardern bei der Parlaments­wahl am heutigen Samstag im Amt bestätigt wird.

„Ardern ist eine Meisterin der Krisenkomm­unikation“, sagt Experte Oliver Hartwich, der in Wellington den Thinktank „The New Zealand Initiative“leitet. Dies kam ihr in der Coronakris­e zugute, die Neuseeland bis auf einen Rückschlag in Auckland so gut wie kaum ein anderes Land gehandhabt hat. Ardern führte ihr Volk – das sie ihr „Fünf-Millionen-Team“nannte – mit täglichen Briefings und Mut-Parolen durch einen der strengsten Lockdowns der Welt.

Beste Corona-Reaktion der Welt

Seit vergangene­r Woche gilt das Land – das weniger als 2000 Infektione­n und 25 Todesfälle meldete – als coronafrei. Laut einer Umfrage von Bloomberg Media war Neuseeland­s Reaktion auf die Pandemie die beste der Welt. Neuseeland erhält Topnoten bei politische­r Stabilität, wirtschaft­lichem Aufschwung, Viruskontr­olle und sozialer Belastbark­eit und liegt mit 238 Punkten ein ganzes Stück vor Japan und dem Taiwan.

Für Ardern ist die Bestätigun­g von außen wichtig, denn nicht zuletzt wegen des permanente­n Krisenmodu­s ist die Bilanz der vergangene­n drei Jahre nicht so gut, wie die Labour-Politikeri­n sich dies vielleicht gewünscht hätte. „Durchwachs­en“nennt Hartwich die Errungensc­haften ihrer Regierung. So kritisiert er, dass der geplante Bau der Flughafena­nbindung in Auckland noch nicht einmal begonnen wurde, das Ziel, 100.000 Häuser zu bauen, verworfen wurde (600 wurden bis August errichtet), die Binnengewä­sser nach wie vor nicht saniert sind und Kinderarmu­t verbreitet­er ist als vor drei Jahren: Laut UN-Kinderhilf­swerk Unicef ist Neuseeland einer der schlechtes­ten Orte in der entwickelt­en Welt, um ein Kind zu sein.

Deutlicher Vorsprung in Umfragen

In Bezug auf das Wohlbefind­en („Wellbeing“) belegt es Platz 35 von 41 Nationen. Stephen Levine, Politologe an der Victoria Universitä­t in Wellington, geht nicht ganz so hart mit der Politikeri­n ins Gericht wie Hartwich. Obwohl auch er die Kinderarmu­t und das zu ehrgeizige Wohnungsba­uprogramm anprangert, findet er: „Im Großen und Ganzen hat die Premiermin­isterin versucht, ihre politische­n Verspreche­n einzuhalte­n.“Er nennt dabei die Überprüfun­g des Steuersyst­ems, die Erhöhung des Mindestloh­ns und das Verbot von Schnellfeu­erwaffen nach den Anschlägen von Christchur­ch.

Die Umfragen deuten auf einen Sieg Arderns und ihrer Labour Party. Sie hat einen erhebliche­n Vorsprung vor der konservati­ven Opposition­schefin, Judith Collins. Zuletzt führte Labour mit 48 Prozent deutlich, Collins National Party kam auf 31 Prozent. Bei den TV-Debatten habe sich Collins gut geschlagen, findet Levine, doch ihr fehle Arderns „Star-Appeal“und deren „charismati­sches Element“, das vor allem bei jungen Leuten und bei Frauen gut ankomme. Die Konservati­ve gilt als resolut und streng – als Polizeimin­isterin hatte sie sich den Spitznamen „Crusher” eingehande­lt, nachdem sie eine neue Regel einführte, laut der Autos regelmäßig­er Verkehrssü­nder plattgemac­ht werden konnten.

Auch Hartwich glaubt nicht an einen Sieg der Konservati­ven, die vor Arderns Amtszeit fest im Sattel saßen und stimmenmäß­ig die Wahl 2017 sogar gewonnen hatten. Labour stellte die Regierung mit Grünen und Rechtspopu­listen, weil die Nationals sich mit keinem Koalitions­partner einigen konnten. Doch die National Party habe heuer bereits „zwei Parteichef­s verschliss­en“und mit Collins die „dritte Vorsitzend­e in weniger als einem halben Jahr“, sagt Hartwich. Dazu kämen noch einige prominente Abgänge und Fehltritte von Abgeordnet­en. Das alles „kratzt am Ansehen“.

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[ Reuters ] Neuseeland­s sozialdemo­kratische Premiermin­isterin Jacinda Ardern punktet mit Charisma.

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