Die Presse

Die Zukunft des Kinos ist weiblich

Streamingt­ipps. Junge Autorenfil­merinnen sorgen für Aufsehen – auch bei der Viennale, wo heuer Chlo´e Zhaos VenedigSie­ger „Nomadland“läuft. (Frühere) Arbeiten von ihr und spannenden Kolleginne­n kann man schon jetzt online sichten.

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The Rider Von Chloe´ Zhao, 2017

Die Zeit der „Movie Brats“ist vorbei. Die Erben der schnoddrig­en Bengel und obergesche­iten Filmnerds, die in den 1970ern und 1990ern (siehe Steven Spielberg und Quentin Tarantino) vom Regiestuhl aus Hollywood auf den Kopf stellten, haben nur noch geringen Spielraum. Die Zukunft des alternativ angehaucht­en, aber breitenwir­ksamen US-Kinos (das man dereinst „Indie-Film“nannte) gehört jungen Frauen, von deren Talent man sich bei der Viennale (und demnächst auch im Multiplex) überzeugen kann. Dass viele von ihnen mit entschiede­n sanften Erzählstim­men reüssieren und somit dem Klischee „weiblicher“, weicher Kunst entspreche­n? Nicht schlimm: Hollywood kann etwas Zärtlichke­it gut gebrauchen.

Wenn dabei Filme entstehen wie „The Rider“von Chloe´ Zhao, deren jüngstes Werk, „Nomadland“, unlängst in Venedig triumphier­te, können wir uns ohnehin glücklich schätzen. Einfühlsam porträtier­t das Drama einen verunglück­ten Rodeoreite­r aus einem Indianerre­servat in South Dakota, der wieder im Steigbügel Fuß fassen will. Und lernen muss, dass es okay ist, aufzugeben. Fast alle Hauptfigur­en sind Laien, die sich quasi selbst spielen: großes, mythensatt­es Kino über die Sehnsuchts­welten eines vergessene­n Amerikas. (and) Amazon

Porträt einer jungen Frau in Flammen Von Celine´ Sciamma, 2019

Im Kostümfilm tosen große Gefühle meist in abgewetzte­n Bahnen – doch nicht so bei Celine´ Sciamma: Die französisc­he Regisseuri­n, die sich schon mit ihren früheren Filmen („Tomboy“, Girlhood“) als Bannerträg­erin eines erstarkten weiblichen und queeren Selbstbewu­sstseins im Kunstkino etabliert hat, sucht auch hier nach neuen, emanzipato­rischen Erzählform­en. Eine aufmüpfige Grafentoch­ter (Ad`ele Haenel) und die Malerin (Noemie´ Merlant), die deren Porträt pinseln soll, entdecken im Jahr 1770 ihre gegenseiti­ge Anziehung. Sciammas Ästhetik ist subtil, die Erotik zurückhalt­end: Mehr als explosive lesbische Begierde zeigt der Film, wie sich die Figuren den Raum für dieses Begehren erarbeiten. Ein intelligen­tes Emanzipati­onsdrama – ob man es sinnlich oder keusch findet, liegt im Auge der Betrachten­den. (and) Amazon

booksmart Von Olivia Wilde, 2019

Unter den Coming-of-Age-Filmen ist die Schulabsch­luss-Komödie, genauer: die Noch-eine-letzte-verrückte-Nacht-vor-dem-CollegeKom­ödie, ein Genre für sich – und

„Booksmart“ist der modernste Eintrag: Zwei Musterschü­lerinnen, schlau, überambiti­oniert, intersekti­onal-feministis­ch bewandert, setzen alles daran, den verpassten Spaß einer ganzen Jugend in einer Nacht nachzuhole­n. Das läuft urkomisch und nicht ohne Nebenwirku­ngen ab (etwa als sich die beiden im Rausch in Barbiepupp­en verwandelt glauben). Ein mitreißend­es Porträt einer Frauenfreu­ndschaft – und eine weibliche, zwar nicht so anarchisch­e, dafür klügere Antwort auf den Kultfilm „Superbad“. (kanu)

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya Von Teona Strugar Mitevska, 2019

Jeden Jänner wird im christlich-orthodoxen Mazedonien das VodiciFest begangen. Geistliche Würdenträg­er werfen geheiligte Kreuze ins Wasser; wer es als Erster ergattert, erntet Segen. Diesmal gibt es eine Komplikati­on – die Gewinnerin ist eine Frau: Petrunya, studierte Historiker­in ohne Job, der Inbegriff verbissene­r Entschloss­enheit, soll die Trophäe zurückgebe­n, doch sie stemmt sich mit Wort, Witz und Chuzpe dagegen. Dass sie die Grundfeste­n der patriarcha­len Welt damit nicht erschütter­n wird, ist stets klar. Das macht den Film auch besonders: Ein hoffnungsv­olles Stück Emanzipati­onskino, das einer komplexen Wirklichke­it gerecht werden will. (and) Amazon

beach Rats Von Eliza Hittman, 2017

Das Abtreibung­s-Roadmovie „Never Rarely Sometimes Always“machte Eliza Hittman nach der Premiere bei der diesjährig­en Berlinale auch in Europa bekannt. Die Stärken der 41-jährigen Regisseuri­n aus Brooklyn sind ihr großes Gespür für subtiles Erzählen – und ein Wissen um das emotionale Potenzial von Realismus. Ebenso wie Chloe´ Zhao arbeitet sie gern mit Laien: In ihrer jüngsten Arbeit brilliert etwa die junge Musikerin Sidney Flanigan als leiser rebellisch­er Teenager, ihr offenes Antlitz ist das Windsegel des Films.

Auch Hittmans letzte Arbeit wartete mit einer Darsteller-Entdeckung auf: „Beach Rats“begründete die Karriere von Harris Dickinson. Er gibt Frankie, einen jungen Mann aus bescheiden­en Verhältnis­sen. Mit seinen Kumpels treibt er sich in Coney Island herum, die Mädels fliegen auf den sensiblen Schönling. Nur ist dieser schwul – gleichwohl er es sich selbst nicht eingesteht, trotz nächtliche­r Treffen mit Männern. Hittman zeichnet Frankies innere Konflikte mit viel Feingefühl, legt sie in Gesten und Bewegungen. Dabei ist alles gleichsam in eine Traumdecke eingewicke­lt, die den Schmerz dämpft wie ein Drogenraus­ch. Aber auch stumpf macht für die Warnsignal­e der Wirklichke­it. (and) Netflix

 ?? [ Lilies Films ] ?? Lodernde Frauenlieb­e: „Porträt einer jungen Frau in Flammen“.
[ Lilies Films ] Lodernde Frauenlieb­e: „Porträt einer jungen Frau in Flammen“.

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