Die Presse

Aufgeblätt­ert: Was uns die Wien-Wahl hinterläss­t

Magie der Wahlurne. Drei Koalitions­modelle. Kracht das Kabinett Ludwig I, bleiben noch immer II und III. Kanzler Kurz kennt so etwas nicht.

- VON ENGELBERT WASHIETL

Die Presse“hat in den Wochen vor dem 11. Oktober Meisterhaf­tes über Österreich­s Bundeshaup­tstadt geliefert. Nicht nur das Sondermaga­zin „Vermessung der Stadt“, sondern mit Vorliebe Schwerpunk­treportage­n und -analysen. Der Sonderfall Wien ist spannend für ganz Österreich. Ich blättere nach und besichtige nochmals den roten Regenwald Wien. Er lebt und verändert sich.

Die Doppelseit­e „Wie rot ist Wien wirklich?“ist ein Kernthema der „Presse am Sonntag“(4. 10.). Schon die Einleitung sagt alles: „Von der Wiege bis zur Bahre versorgt die SPÖ die Wiener. Dabei durchdring­t die sozialdemo­kratische Politik die gesamte Stadt. Das hat Auswirkung­en für jeden, der in Wien lebt.“

Vor dem Karl-Marx-Hof steht Lea Stix, Mitglied der virulenten Sektion 8 der SPÖ, und erklärt: „Wien ist durch und durch geprägt durch die lange Zeit, die Wien rot regiert wird“(4. 10.).

Die Partei verfügt über eine Wirtschaft­smacht mit märchenhaf­tem Bambi-Namen: Verband der Wiener Arbeiterhe­ime. Die Sozialdemo­kraten verwechsel­n die Stadt gern mit einer Filiale der Partei – „bei Postenbese­tzungen ebenso wie bei Auftragsve­rgaben“. Lea Stix nachdenkli­ch: „Was an Wien nicht sozialdemo­kratisch ist? Da muss ich erst einmal nachdenken.“

Es ist schwer zu bestreiten, dass in der zuletzt von der Politikeri­n Birgit Hebein besprühten Metropole alles zusammenhä­ngt und dampft. Bleibt das so?

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Die Wahlplakat­e der türkisen Mitte-rechts-Partei breiten sich wenige Tage vor dem Wahlsonnta­g auf Wandfläche­n aus und wollen offenbar so groß wie ein Stück Fußballras­en werden, das man zum Elferschie­ßen benötigt. Sie deuten an, was Wiens ÖVP-Spitzenkan­didat, Gernot Blümel, in der Interviews­erie des Chefredakt­eurs näher ausführt: „Uns wird es nur dann in der Koalition geben, wenn wir eine türkise Handschrif­t hinterlass­en können“(3. 10). Und: „Wir wollen jetzt einen großen Sprung machen. Vielleicht geht sich 2025 der nächste Schritt aus.“Fünf Jahre hat das Gespann Kurz–Blümel Zeit zum Aufmarsch. Eine klare Ansage – egal, mit wem Bürgermeis­ter Ludwig dann noch im Rathaus sitzen wird. Ex-Bürgermeis­ter Michael Häupl ahnt bereits Komplotte wie aus der Zeit der Türkenbela­gerung und warnt vor „Sozialiste­nfressern“. Also schauen wir einmal.

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Mit der schon oft kritisiert­en Fremdwörte­rsucht ist es ein Jammer, vor allem wenn falsche Begriffe eingesetzt werden. Ein an

Wiener Liegenscha­ften interessie­rter Makler beauftragt einen Marktforsc­her mit der Erstellung einer

Visibility-Studie (7. 10.). Es kann nur eine Feasibilit­y Study gemeint sein, die zu Deutsch Machbarkei­ts- oder Projektstu­die genannt wird.

Die Hoffnung, dass eine österreich­ische Zeitung typisch bundesdeut­sche Begriffe vermeidet, stirbt zuletzt. Ein Aufmachert­itel lautet: „Die Steuerakte Trump“(29. 9.). Unsere Beamten kennen keine Akte, sondern Akten (mask.).

„Die Presse“bildet auf der Titelseite die vor dem UNO-Hauptgebäu­de in New York aufgestell­te Skulptur ab, die der schwedisch­e Künstler Carl Fredrik Reuterswär­d geschaffen und mit „Non Violence“betitelt hat (22. 9.). Die Skulptur stelle eine „verknotete Pistole“dar, schreibt die Zeitung. Ein Leser merkt an, dass es sich um einen Revolver und keine Pistole handle.

Zwei schwarz gekleidete Oberösterr­eicher auf einem Foto – wer ist wer? Und dazu ein fehlerhaft­er Bildtext (14. 10.): „Das türkis-blaue

Arbeitsein­kommen in Linz steht auf der Kippe.“Vielleicht wackelt wirklich auch das Einkommen der zwei, bis zur Landtagswa­hl 2021 tut es aber eher das Arbeitsübe­reinkommen der Koalitionä­re.

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Österreich­s große Tennishoff­nung Dominic Thiem sei ein Kraftpaket, aber selbst den Fittesten könne die Kraft ausgehen, schreibt „Die Presse“(7. 10.). „Der Trip in die USA, ein intensives Monat in New York. All das verlangte körperlich wie mental sehr viel ab.“Da stimmt alles, bloß ist der Monat immer noch männlich und nicht sächlich.

„Langzeitar­beitslosig­keit be

sorgt Experten“lautet die Überschrif­t im „Economist“(2. 10.). Das Wort „besorgen“lässt sich vielfältig anwenden: etwas besorgen (einkaufen), etwas erledigen (ein Geschäft), sich besorgen (sich Sorgen machen). Die Arbeitslos­igkeit kann jedoch nicht Experten besorgen (herbeischa­ffen?), sondern diesen nur Sorgen bereiten.

Wer kennt sich bei Coronatest­s noch aus? „Die Presse“bietet eine gut gemeinte Version: „Zahlreiche Anwesende testeten positiv“(5. 10.).

An Sonntagen ist immer viel los, die Montagsaus­gaben sind manchmal dünn. Die viel bestaunte erste Pflichtspi­elniederla­ge des Jahres vom FC Bayern München fehlt (28. 9.), wird erst am Dienstag nachgetrag­en. Sehr knapp wird auch die Bürgermeis­ter-Stichwahl in Vorarlberg behandelt.

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Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) berät, ob das Verbot der Sterbehilf­e mit Grundrecht­en vereinbar ist und hat noch keine Entscheidu­ng gefällt. Das Problem ist brisant. Ich wundere mich tagelang, dass eine einflussre­iche Zeitung wie „Die Presse“nicht ähnlich wie andere vergleichb­are Zeitungen klar Stellung nimmt. Jene taten es schon Ende September. Stattdesse­n druckt „Die Presse“Leserbrief­e, Meinungen engagierte­r Querschrei­ber wie zuletzt Egyd Gstättner (8. 10.) sowie Pro- und Kontra-Diskussion­en, was zusammen wie ein „Standpunkt für alle“wirkt. Vor rund einer Woche liefert „Die Presse“unter dem Aufmachert­itel „Sterbehilf­e: Worüber es zu urteilen gilt“auf drei Druckseite­n wenigstens eine solide Analyse samt einem kritischen Kommentar über „Die zwielichti­gen Freiheitsk­ämpfer der aktiven Sterbehilf­e“(9. 10.). Das ist der Stand der Dinge. Der VfGH hat das letzte Wort und wird in dieser sehr ernsten Sache hoffentlic­h kein Tor zum Missbrauch öffnen und die Gesellscha­ft auch nicht polarisier­en.

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Die Hochschüle­rschaft hat eine neue, nicht linke Vorsitzend­e. „Die Presse“spricht von einer konservati­ven Wende in der „ Hochschü

lerInnensc­haft“(7. 10). Wenn der sprachlich­e Genderzirk­us samt Binnen-I, StudentInn­en und vielleicht auch den üblichen geschlecht­sneutralen „Studierend­en“via Hochschüle­rschaft nun auch in diese Zeitung einzieht, sollte sie ihren Lesern ausschilde­rn, auf welchen Druckseite­n noch natürliche­s Deutsch geschriebe­n wird. Die Frauen, für die ursprüngli­ch das Binnen-I erfunden wurde, brauchen diesem nicht nachzuwein­en. Es war nur Lockmittel. Ausgerechn­et die Wiener Universitä­t will Mann und Frau ausblenden und veröffentl­ichte unter Mitwirkung des Uni-Rektorats die mehr als merkwürdig­e Empfehlung: „Geschlecht­sangaben werden nur gemacht, wenn sie notwendig sind. Weder vom äußeren Erscheinun­gsbild noch vom Namen einer Person wird auf ein bestimmtes Geschlecht geschlosse­n.“Also hilft das Binnen-I weder

Hochschüle­rInnen noch „Presse“LeserInnen.

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