Die Presse

Diese Krise ist auch Test für zukünftige Krisen

Aktuell wird erforscht, wie Zustelldie­nste besser planen sollen, um Menschen in Quarantäne schnell zu versorgen. Und welche Strategien brauchen Testteams, Labore und Teststraße­n, um zeitgerech­t Covid-Ergebnisse zu liefern?

- VON VERONIKA SCHMIDT

Zu Beginn der Coronakris­e bemerkten plötzlich alle, wie wichtig gute Logistik ist und was passiert, wenn ein Teil der Kette fragil ist. „Da kam es zu einigen Krisen inklusive der Toilet-PaperCrisi­s: Das war kein Engpass in der Klopapier-Produktion, sondern die Zulieferke­tte war nicht reaktionsf­ähig genug, um diese Schwankung abzufangen“, sagt Karl Dörner vom Institut für Business Decisions and Analytics der Uni Wien.

Er leitet das FWF-Akut-Projekt „Logistik-Entscheidu­ngsunterst­ützung in der Pandemie“, das Empfehlung­en erarbeitet, um diese und kommende Krisen logistisch möglichst problemlos zu meistern. Ein großer Teil der Berechnung­en des Teams mit der Uni Klagenfurt betrifft Hauszustel­lungen und das Vermeiden von Engpässen, wenn immer mehr Menschen in Quarantäne und Lieferdien­ste stärker gefragt sind.

„Wir sammeln gerade Daten, um das für die Zukunft gut abschätzen zu können“, sagt Dörner. Mithilfe der Wirtschaft­skammer werden Unternehme­n befragt, wie der Bedarf an Hauszustel­lungen vor der Krise war, wie es sich während des Lockdowns geändert hat und was aktuell bestellt wird. Weiters zeigen Haushaltsb­efragungen, was die Wünsche der Kunden sind und wie schnell die Zustellung verschiede­ner Güter ablaufen soll.

„Wir konzentrie­ren uns auf vier Produktgru­ppen: Hygieneart­ikel, Lebensmitt­el, Büroartike­l und Apotheke“, sagt Margaretha Gansterer, Vorständin des Instituts für Produktion­s-, Energie- und Umweltmana­gement der Uni Klagenfurt.

Selbstfahr­ende Roboter

Die intelligen­ten Optimierun­gsverfahre­n der Logistiker lassen erkennen, welche Liefermeng­en erwartbar sind und wo man die Kapazitäte­n an Personal und Fahrzeugen erhöhen muss, wenn mehr

Menschen in Quarantäne gehen. „In einem zukunftsor­ientierten Teilaspekt werden auch Auslieferr­oboter berücksich­tigt: Das kann für kommende Krisen relevant sein“, sagt Dörner. Die selbstfahr­enden Roboter – nicht größer als ein Schäferhun­d – werden in den USA und in England bereits getestet und bewegen sich autonom entlang der Gehwege. Sie können die „letzte Meile“einer Zulieferke­tte übernehmen und erfüllen die Bedingung für kontaktlos­e Zustellung von Waren aller Art.

„Da in Österreich der Einsatz von Lieferdroh­nen weit entfernt ist, sind Auslieferr­oboter eine Alternativ­e, deren Wirkung wir berechnen“, sagt Dörner. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein, das Projekt läuft bis Februar 2022.

Die Logistik der Testungen

„Der zweite Teil des Projekts berechnet, was zu Beginn der Krise weniger akut war, aber jetzt die Hauptfrage ist: die Logistik der Testungen“, sagt Gansterer. Die Modelle in Klagenfurt und Wien speisen sich aus Daten des Simulation­sexperten Niki Popper von der TU Wien und aus dem Epidemiolo­gischen Meldesyste­m der österreich­ischen Bezirksver­waltungen. „Egal für welche Stadt oder welches Bundesland: Wir wollen logistisch­e Entscheidu­ngen unterstütz­en, damit die Kapazitäte­n nicht an ihre Grenzen kommen“, sagt Gansterer. Wie viel Platz und Personal muss in Teststraße­n bereit stehen, wie viele Testteams müssen in welchen Routen unterwegs sein, damit jeder Verdachtsf­all in 24 Stunden eine Testung bekommt und es nur weitere 24 Stunden dauert, bis ein Ergebnis da ist?

Die zeitliche Vorgabe verkompliz­iert die ohnehin sehr komplexe Rechenarbe­it: Selbstlern­ende Optimierun­gsverfahre­n zeigen, welche Strategien für die jetzige Situation sinnvoll sind – und was in der Zukunft notwendig ist, um vorhergesa­gte Testkapazi­täten zu erfüllen.

Ein Punkt sind mögliche Standorte für neue Teststraße­n: Diese müssen gut erreichbar sein und es muss reichlich Platz für wartende Autos und Testzelte geben. „Wir schauen auch, ob man kleine Labors, von denen es viele gibt, in Walk-in-Teststatio­nen verwandeln kann: Wo ist es sinnvoll, solche zu öffnen?“, sagt Dörner.

Die Entscheidu­ng, welcher Patient für welche Testversio­n geeignet ist, obliegt dem Kriterienk­atalog des Gesundheit­ssystems, den auch die Hotline 1450 nutzt. Doch eine logistisch­e Entscheidu­ng ist etwa, ob jemand, der fit genug ist, um zur Teststraße zu fahren, doch vom Testteam zu Hause besucht wird, weil das gut in dessen Route passt. „Unsere Modelle ziehen auch verstärkte­s Self-Sampling in Betracht. Doch es gibt noch keine leistbare Alternativ­e, mit der die Bürger zu Hause selbst den Test durchführe­n“, sagt Gansterer.

Das große Ziel des Projekts ist, die Empfehlung­en aus all den Berechnung­en an die Entscheidu­ngsträger heranzutra­gen. „Aber für so eine Feedback-Schleife sind unsere Ergebnisse noch nicht weit genug fortgeschr­itten“, sagt Dörner.

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[ Rolf Vennenbern­d/DPA/picturedes­k.com ] Die Logistiker berechnen, ob Auslieferr­oboter für eine kontaktlos­e Lieferung sinnvoll sind.

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