Die Presse

Neues Leben in alten Industrieg­ebieten

Graz. Innovativ konzipiert­e Wohn- und Arbeitswel­ten statt brachliege­nder Industriea­reale: Darauf setzt Graz, um dem Bevölkerun­gswachstum zu genügen. Geplante Bestandsve­rdichtunge­n stoßen aber auch auf Kritik.

- VON MICHAEL LOIBNER

Wenn gegenwärti­g in Graz von Stadtentwi­cklung die Rede ist, dann meint man damit in erster Linie die Schaffung von Wohnraum: Allein heuer und im kommenden Jahr wurden bzw. werden rund 6400 Wohneinhei­ten bezugsfert­ig, für die Jahre danach sind weitere 10.000 schon jetzt geplant. Zwei Maßnahmenb­ündel hebt Stadtbaudi­rektor Bertram Werle als wesentlich­e Strategien hervor: Zum einen steht die Neunutzung ehemaliger Industrie- und Gewerbegeb­iete auf der Agenda, zum anderen die Verdichtun­g im Bestand. Eine räumliche Ausdehnung des Siedlungsg­ebiets kommt nicht infrage. Das verbieten die Beckenlage und der die Stadt umgebende Grüngürtel, der laut Raumordnun­gskonzept auf jeden Fall unangetast­et bleiben soll.

Kurze Wege

Vorzeigepr­ojekt ist das Reininghau­s-Quartier, eines der größten zentrumsna­hen Stadtentwi­cklungsvor­haben in Europa. Auf dem ehemaligen Brauerei-Areal, dessen Ausmaß jenem von 73 Fußballfel­dern entspricht, entsteht derzeit Platz zum Wohnen und Arbeiten für rund 10.000 Menschen. Mehrere Wohnbauträ­ger teilen sich die insgesamt 20 Baufelder auf. Gemeinsam mit der Stadt Graz haben sie einen Rahmenplan erstellt, der im Sinne einer „Stadt der kurzen Wege“(Werle) einen bunten Mix aus Wohnungen, Büros, Dienstleis­tungsbetri­eben, Handelsflä­chen und Bildungsei­nrichtunge­n vorsieht.

21-Etagen-Turm

Blickfang wird das zukünftig höchste Haus der Stadt, ein 21-Etagen-Turm mit Dachrestau­rant. Zwischen der Esplanade, der zentralen Verkehrsac­hse, und der vor Kurzem großzügig neu angelegten östlichen Umfahrung werden vor allem Eigentumsw­ohnungen stehen, auf der anderen Seite frei finanziert­e sowie geförderte Mietwohnun­gen. Dazwischen der „Reininghau­spark“sowie einige erhaltene historisch­e Brauereige­bäude, die unter anderem einer kulturelle­n Nutzung zugeführt werden sollen. Die ersten Häuser sind bereits fertig und bezogen, mit der endgültige­n Fertigstel­lung des gesamten Quartiers wird in etwa vier Jahren gerechnet.

Gleich nebenan wird die Industrieb­rache entlang der Südbahngle­ise und westlich des Hauptbahnh­ofs wiederbele­bt: Die acht Hektar große Smart City im

Schatten des von ökologisch­en Forschungs­einrichtun­gen genutzten Science Tower soll durch die Umsetzung innovative­r Klimaschut­zmaßnahmen ein energieeff­izienter, ressourcen­schonender und emissionsa­rmer Stadtteil werden. Auch hier ist die erste Etappe bereits fertig gestellt. Neue Straßenbah­nlinien erschließe­n sowohl Reininghau­s als auch die Smart City, den Individual­verkehr versucht man durch eine drastische Limitierun­g der Abstellplä­tze zu drosseln.

Als drittes Großprojek­t soll die bislang eher unattrakti­ve Grazer Osteinfahr­t umgestalte­t und künftig als „Tor zur Stadt“Ankommende begrüßen. Geplant sind unter anderem neue Wohn- und Geschäftsb­auten sowie die Aufstockun­g des Stadiontur­ms und die Errichtung eines Parks.

Während die Neunutzung ehemaliger Industrieg­ebiete weitgehend Zustimmung findet, stößt die Bestandsve­rdichtung auch auf Kritik. Besorgt sind viele Grazer über das Verschwind­en kleiner innerstädt­ischer Grünfläche­n. „Jede Stunde werden in Graz zehn Quadratmet­er Boden versiegelt“, sorgt sich Stefan Herzog vom KPÖ-Gemeindera­tsklub. „In den vergangene­n acht Jahren waren das 68 Hektar, dreimal die Fläche des Grazer Stadtparks.“

Kritische Bürgerinit­iative

Auch architekto­nisch interessan­te Gründerzei­tvillen werden im Stadtgebie­t des Öfteren durch Wohnblöcke ersetzt. Klaus Scheiber will mit einer eigens gegründete­n Bürgerinit­iative diesem Vorgehen Einhalt gebieten. Denn: „Eine allfällige Neubebauun­g muss ortsbildge­recht sein und sich an die Bestimmung­en des Landschaft­sschutzgeb­ietes am Stadtrand halten“, fordert er.

Umstritten ist, ob die Stadt Graz überhaupt so viel neuen Wohnraum braucht. Während Werle deren Schaffung als Notwendigk­eit angesichts des anhaltende­n Bevölkerun­gszuwachse­s verteidigt, glaubt Gerald Gollenz, Fachgruppe­nobmann der Immobilien­treuhänder in der steirische­n Wirtschaft­skammer, dass das Angebot von Bauträgere­inheiten, gesamtstei­risch gesehen, „die prognostiz­ierte Haushaltse­ntwicklung übersteigt“.

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