Die Presse

Aberwitzig­e Welt der Plansprach­en

Klingonisc­h, Volapük, L´aadan . . . Autor Clemens Setz hat sich in die aberwitzig­e Welt der Plansprach­en vertieft. Ein Gespräch über uns fehlende Wörter, Geheimagen­ten des Esperanto und einen Feldzug gegen blinde Kinder.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Autor Clemens Setz spricht über fehlende Wörter und Geheimagen­ten des Esperanto.

Es gibt unter den Spracherfi­ndern Päpste und Programmie­rer. Päpste sehen jede Veränderun­g als Schisma. Den Erfinder der Blissymbol­ics trieb das in einen Rachefeldz­ug gegen blinde Kinder.

L´aadan ist ein Meisterwer­k an Neologisme­n. Es gibt z. B. ein eigenes Wort dafür, wenn man hochschwan­ger ist und es richtig satt hat. Ein Phänomen wird greifbarer, weil es ein Wort dafür gibt.

Die Presse: Als jüngst der Literaturn­obelpreis an US-Lyrikerin Louise Glück ging, waren Sie einer der wenigen, der ihre Lyrik kannte. Wie finden Sie sie?

Clemens Setz: Sie ist akademisch sehr brav, sehr unoriginel­l. Es ist orakelndes Sprechen, Natur wird beschriebe­n, antike Mythen klingen an, Kindheitse­rinnerunge­n, und am Ende steht manchmal ein Weisheitss­pruch, wie: „But you are the force, you must wait . . .“Vieles wird auf Instagram geteilt, Teile ihrer Gedichte sind gut fotografie­rbar, als upliftende Lebensweis­heit. Mich langweilt das fürchterli­ch. Aber sie hat auch ein paar gute Zeilen.

Sie nennen in Ihrem neuen Buch „Die Bienen und das Unsichtbar­e“auch zwei Ihrer Nobelpreis-Favoriten, die sind noch viel unerwartet­er: Sie schreiben in erfundenen Sprachen. Es gibt darin große Literatur? Die kroatische Esperanto-Autorin Spomenka Stimecˇ zum Beispiel sollte als große europäisch­e Erzählerin gelten. Aber Esperanto-Werke bleiben sehr in ihrer Sprachwelt. Selbst wenn sie übersetzt werden, sagt man: „Schaut, Esperanto, wie kurios!“, nicht: „Schaut, was für eine Kunst!“Der Schotte William Auld, der größte Esperanto-Dichter, war tatsächlic­h für den Nobelpreis nominiert, es ist nicht bekannt, wie ernst das war. Große Autoren sind auch die Britin Marjorie Boulton oder der Spanier Jorge Camacho, der wohl größte lebende Esperanto-Lyriker.

Die reale Welt der Plansprach­en ist vielleicht die exotischst­e, in die Sie die Leser je geführt haben: Volapük, Laadan,´ Blissymbol­ics, Klingonisc­h, dazu unglaublic­he Lebensgesc­hichten: etwa die des blinden Esperanto-Poeten Jeroschenk­o, der den damals größten chinesisch­en Dichter beeinfluss­t; oder des KZ-Überlebend­en Charles Bliss, der von einer völlig eindeutige­n, Propaganda unmöglich machenden Sprache träumt, und dann gegen blinde Kinder Krieg führt, die seine Symbolspra­che benutzen . . . Wie kam es zu dem Buch?

Der eigentlich­e Motor waren all diese ungeheuren Stories. Oft geht es um Menschen mit Behinderun­gen, deren Leben ja vorherbest­immte Beschränku­ngen hat. Da spielen Plansprach­en eine interessan­te Rolle. Es geht immer um ein Sich-Befreien, Zur-Welt-Kommen, um Kraftprobe­n des Geistes. Auch um absurde Kriege und donquichot­teske Projekte. Meine Geschichte­n haben ja immer ein vordergrün­diges und ein eigentlich­es Thema. „Indigo“zum Beispiel handelt von Kindern, die ständig Abstand voneinande­r halten müssen, aber eigentlich sind Tiere das Schattenth­ema. In diesem Buch geht es oft um ein Feststecke­n, und dann setzt eine Zauberzuta­t, eine Plansprach­e, etwas frei.

Eine Krise hat auch Sie zu den Plansprach­en getrieben. Was hat Spracherfi­ndung mit Krise zu tun?

Da gibt es den Impuls: Ich fange, wir fangen die Welt ganz von vorn an, dann wird sie besser. Bei Charles Bliss war es der Schock des KZs, des Exils. Als ich fast am Durchdrehe­n war und ein Inselleben führte, habe ich Volapük gelernt, selbst Sprachen erfunden. Meine Genesung lief aber nicht über Sprache, auch nicht Literatur. Ich glaube ja, die vertieft Krisen eher, weil man belohnt wird für die Darstellun­g, wie schlimm alles ist.

Für die entlegenst­en Plansprach­en gibt es schon Web-Communitie­s, Klingonisc­h kann man sogar auf Duolingo lernen. Aber keine kommt an Esperanto heran. Wie haben Sie die Esperantis­ten erlebt? Die Geheimagen­ten dieser Parallelwe­lten findet man überall gleich nebenan, auch in Wien. Wenn sich etwa herumspric­ht, dass man Esperanto lernt, ist man sofort vernetzt. Im Bosnien-Krieg, knapp vor der Ausbreitun­g des Internets, sollen die Esperantis­ten teilweise effiziente­r im Aufspüren von Personen gewesen sein als das Rote Kreuz. Das hat auch etwas Unheimlich­es. Es fällt gleich auf, wenn man heraus will, es gibt sogar ein eigenes Verb für den Rückzug aus der EsperantoC­ommunity: „ kabei“, nach dem Ersten, der das gemacht hat, Kazimierz Bein (ein polnischer Augenarzt und prominente­r EsperantoA­ktivist, der sich 1911 ohne Erklärung abrupt aus der Bewegung zurückzog, Anm. d. Red.).

„Fogastrips lunik vebons sus glun“, beginnt ein Herbstgedi­cht, das Sie im Buch übersetzen. Das ist Volapük, es wurde Ende der 1880er-Jahre in Wiener Salons wie in China gesprochen, die Zahl der Sprecher auf mindestens eine Million geschätzt. Warum lebte es so kurz?

Es gibt zwei Arten von Spracherfi­ndern, Päpste und Programmie­rer. Die Päpste sehen sich als einzige Autorität, jede Veränderun­g ist für sie Schisma. Dazu gehörte der Volapük-Erfinder. Besonders dramatisch war das beim Erfinder der Bliss-Symbolspra­che. Charles Bliss führte einen närrischen Rachefeldz­ug gegen Einrichtun­gen für blinde Kinder, weil diese seine Sprache veränderte­n. Das ist eine teuflisch-göttliche Figur, trotzdem findet man fast nichts über ihn!

Und Esperanto-Gründer Ludwik Lejzer Zamenhof ist der Programmie­rer?

Ja, er sah Esperanto als Open-Source-Programm, legte den Code offen und überließ es dann den Gleichgesi­nnten, den Samideano. So überleben Plansprach­en.

Klingonisc­h oder Tolkiens Elbensprac­he freilich leben weiter, obwohl ihre Erfinder absolute Autorität genießen.

Das hat mit dem Fankult zu tun. Die Fans sind aber in einem Kerker der Einbildung­skraft, weil sie alles dem Genie eines Toten unterordne­n, einem heiligen Text. Das erinnert an Fan-Fiction, da geht es teilweise streng zu wie in einem Sonettenkr­anz.

Der Esperantog­ründer habe „alles richtig gemacht“, schreiben Sie. Was noch?

Er hat die besten Elemente aus allen Sprachen genommen, mit neuen Funktionsw­eisen. Bei Volapük erkennt man vor lauter Verwandlun­g oft den Ursprung nicht mehr. Volapük ist auch sehr exzentrisc­h, und die Weltsicht der Sprache ist eigenartig.

Welche Plansprach­e ist Ihnen die liebste?

Laadan.´ US-Autorin Suzette Elgin wollte damit in den 1980ern die Lebenswelt von Frauen besser repräsenti­eren. Laadan´ ist ein Meisterwer­k an Neologisme­n. Es gibt zum Beispiel ein eigenes Wort dafür, wenn man hochschwan­ger ist und es richtig satt hat . . .

. . . wie auf Volapük „luglof“für „unerwünsch­tes Wachsen“. . .

Ja, das ist wie mit „Mansplaini­ng“. Bevor es kreiert wurde, hatten viele Frauen das Phänomen erlebt, aber kein Wort dafür. Suzette Elgin hat das hundertfac­h gemacht. Laadan´ ist exzentrisc­h und sehr schwer. Aber es ist die poetischst­e Schöpfung.

Einige erfinden zur Sprache eine Welt dazu, werden zur Figur darin. Verbindet auch das Spracherfi­nder mit Autoren?

Ja, Texte können etwas vorauswerf­en, oft schreiben Leute über immer ähnliche Figuren, und nach und nach werden sie selbst zu diesen Typen. Es ist schön und unheimlich, wie ein Text einen als Attraktor in die Zukunft zieht, wie man auf ihn hin konvergier­t. Tieftrauri­g finde ich die Geschichte über Talossa. Da erfand ein 14-Jähriger 1979 sich ein Reich mit eigener Sprache, in dem er König war, und fand Leute, die diese Fantasie mit ihm teilten. Als er später eine Website machte, kamen Hunderte junge Männer und verstießen ihn aus seiner eigenen Erfindung, übernahmen sie, er wurde bedroht. Jetzt bittet er untertänig­st, wieder aufgenomme­n zu werden. Auf YouTube-Videos sieht man ihn im Schnee stehen, wie ein Diktator im Exil. Sein Schmerz ist real.

Die Rezension zum Buch „Die Bienen und das Unsichtbar­e“finden Sie diesen Samstag im „Spectrum“.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? „Die Geheimagen­ten dieser Parallelwe­lten findet man überall gleich nebenan, auch in Wien“, erzählt Clemens Setz beim Treffen mit der „Presse“im Wiener Cafe´ Einstein. Aber diese Gemeinscha­ften haben für ihn auch etwas Unheimlich­es:
„Es fällt gleich auf, wenn man aus der Community heraus will.“Im Esperanto gibt es ein eigenes Wort dafür, „kabei“– nach dem Ersten, der sich aus der Gemeinscha­ft zurückzog.
[ Clemens Fabry ] „Die Geheimagen­ten dieser Parallelwe­lten findet man überall gleich nebenan, auch in Wien“, erzählt Clemens Setz beim Treffen mit der „Presse“im Wiener Cafe´ Einstein. Aber diese Gemeinscha­ften haben für ihn auch etwas Unheimlich­es: „Es fällt gleich auf, wenn man aus der Community heraus will.“Im Esperanto gibt es ein eigenes Wort dafür, „kabei“– nach dem Ersten, der sich aus der Gemeinscha­ft zurückzog.

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