Die Presse

„Wir lassen uns unsere Angst nicht nehmen!“

Das Wiener Filmfestiv­al widmet Christoph Schlingens­ief einen Schwerpunk­t, zeigt seine Filme und die erste Doku über ihn. Im Schauspiel­haus wird dem Verstorben­en am Samstag ein Fest zum Sechziger ausgericht­et.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Christoph Schlingens­ief, der Peter Pan der Kunst, der morgen, Samstag, 60 wird? Genauso wenig möglich wie ein Schlingens­ief, der Maske trägt und Abstand hält. Abstand zu einer Welt, die sich in diesen zehn Jahren, seit er am 21. August 2010 gestorben ist, so verändert hat, dass man sich diesen Künstler, der seine Zeit und ihre Kunst so geprägt hat wie kein anderer, darin nicht mehr vorstellen kann. Es ist erstaunlic­h, wie spürbar das wird in dem wunderbar dicht montierten Dokumentar­film „In das Schweigen hineinschr­eien“von Bettina Böhler, der heute, Freitag, und am Sonntag bei der Viennale im Rahmen eines ganzen Schwerpunk­ts zu Schlingens­iefs filmischem Werk läuft (und ab 6. 11. regulär im Kino).

Dieser permanent agierende und agitierend­e Künstlerme­nsch, die reine Energie, der sich selbst und seine Kunst genauso für wie gegen sich verwendete, so wie alles andere auch, wirkt in dieser müden Zeit wie ein romantisch­er Held aus längst vergangene­n Tagen. Hauptsache keine Normalität. Hauptsache Megafon, Erregung, Brüche. Nur diese bringen uns weiter, war er überzeugt. „Wir sind zum Platzen satt. [. . .] Katastroph­en sind das Einzige, was die Zeitschien­e unterbrich­t, auf der wir alle geradeaus fahren. Ungestört. Was spüren tun wir doch nur, wenn diese Schiene unterbroch­en wird“, liest man in dem im Sommer erschienen­en Interviewb­and „Kein falsches Wort jetzt“, das seine Frau Aino Laberenz herausgebr­acht hat.

Am Samstag, seinem Geburtstag, wird es in Wien präsentier­t, nur ein Partikel von unvermeidl­ich unfassbar vielen des eintägigen Schlingens­ief-Festivals, das Claus Philipp und Paul Poet im Schauspiel­haus organisier­en. Ausverkauf­t, übrigens. Auch Elfriede Jelinek, Schlingens­ief-„Fan“, wie sie es ausdrückte, wird per Video lesen – aus ihrem für ihn geschriebe­nen Text „Tod-krank.doc“. Wie dieser öffentlich­e Mensch auch als Künstler mit seinem Lungenkreb­s umging, wie er sein Verzweifel­n und sein Leid und sein Aufbäumen und seine Wut in Inszenieru­ngen wie „Mea Culpa“am Burgtheate­r oder Installati­onen wie im Kunstverei­n Innsbruck vorführte, war so überforder­nd in seiner Intensität, wie sein ganzes Werk es war. Er, der Macher, der Regisseur von Filmen, Opern, Ausstellun­gen, am besten alles gleichzeit­ig.

Erlebnisse, die man nie vergessen wird: In den ersten „Animatogra­fen“hinunterkl­ettern, 2005 war das, in einem Keller irgendwo in Reykjavik, Island. Es war der fast mystische Auftakt dieser monströsen Drehbühnen-Installati­on, die sich von der „Parsifal“-Inszenieru­ng in Bayreuth ein Jahr davor verselbsts­tändigt hatte, und nun durch die Welt touren sollte. Der „Animatogra­f“fasst so gut wie sonst nichts zusammen, was Schlingens­ief ausmachte, dieses Überborden­de, von allem, von Medien, Genres, Inhalten und Formen, das in anarchisti­schem Gestus zu einer dampfenden Brühe aus Performanc­e, Film, High und Low, Musik, Theater, Malerei, Skulptur, Privatmyth­ologie und dadaistisc­hem Populismus verrührt wurde. Einen „Seelenschr­eiber“nannte er ihn einmal. Unermüdlic­h drehte sich diese grandiose Gedankenmü­ll-Maschineri­e, auf der Schlingens­ief mal performte, man mal selbst zum Performer wurde, beim Durchschre­iten und Erforschen der Räume in all ihrer verspielte­n Freude und all ihrem Grauen, gar Ekel.

Alles passiert gleichzeit­ig

Hier legte er alles übereinand­er, arbeitete er mit Montage, mit Überblendu­ngen, Techniken, derer sich auch Böhler bediente bei ihrem, diesem ersten Film über Schlingens­ief. Seine Manie, seine Höhen, ein wenig auch die Tiefen schafft sie zu vermitteln, einen Überblick zu geben zu seinen Methoden, seinem ununterbro­chenen Kommunizie­ren. Atemlos hetzt man mit ihm von seiner Kindheit (Apothekerf­amilie) in Richtung seines Todes mit nur 49, von einem Projekt zum Nächsten – der Wiener „Ausländer raus“-Aktion im Container vor dem Burgtheate­r, dem Zürcher Hamlet mit den bekehrten Neonazis, Bayreuth natürlich, was essenziell für sein schwierige­s Verhältnis zu seiner deutschen Heimat stand. Schlingens­ief steht in einer Reihe mit Joseph Beuys und den Aktioniste­n, charismati­sch und manipulati­v, voll Lust an Provokatio­n und Selbstprov­okation (so sah er es) und auch an Pathos, um diesem dann eine Cremetorte zu verpassen.

Was für ein Gestus, was für Verschwend­ung, welch ein Spaß. In diesem Heute, das dieser verrottend­en Opulenz so fremd wurde, hallt dennoch ein Satz deutlich nach, das Mantra seiner 2003 gegründete­n „Church of Fear“: „Wir lassen uns unsere Angst nicht nehmen!“

 ?? [ Viennale] ?? Schlingens­ief, immer Filmemache­r, arbeitete auch in Theater und Kunst mit Montage, Überschnei­dung.
[ Viennale] Schlingens­ief, immer Filmemache­r, arbeitete auch in Theater und Kunst mit Montage, Überschnei­dung.

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