Die Presse

Auf einen Zungenkuss mit Jesus Christus

Geheiligt sei der Sex der Seele: In „Diesseits von Eden“sucht der Ethnologe Hans Peter Duerr mit Unmengen an verstörend­em Material nach dem Ursprung des religiösen Gefühls. Das macht ratlos, regt aber zum Weiterdenk­en an.

- VON KARL GAULHOFER

Die Frau liegt hingesunke­n da, die Augen zu, der Kopf zurückgewo­rfen, der Mund halb offen. Ein schöner junger Engel, auch er aus feinst poliertem Carraramar­mor, ist gerade lächelnd dabei, ihr einen goldenen Pfeil in den Leib zu stoßen: So hat der große Barockbild­hauer Gian Lorenzo Bernini ein mystisches Erlebnis dargestell­t, die „Verzückung der heiligen Teresa“– für viele Kunstliebh­aber allein Grund genug, nach Rom zu pilgern. Aber sie zog stets auch Spötter an. „Wenn das die himmlische Liebe ist, kenne ich sie auch“, lästerte der Aufklärer Charles de Brosses. „Welche Wollust!“, mokierte sich Stendhal. Weniger elegant drückte es in jüngerer Zeit der Psychoanal­ytiker Jacques Lacan aus: „Sie kommt gerade, daran besteht kein Zweifel.“

Hat der Künstler damit Teresa von A´vila, die Patronin Spaniens, „in den Schmutz gezogen“, wie ihm manche noch zu Lebzeiten vorwarfen? Bernini zeigt die Vision genauso, wie die Mystikerin sie schildert. Mehrmals, schreibt sie, habe der Engel ihr Herz durchbohrt. Das tat weh, aber zugleich empfand sie „eine so unendliche Süße, dass ich dem Schmerz ewige Dauer wünschte“. Ein geistiges Erlebnis, gewiss, „wiewohl der Leib in nicht geringem Maße daran teilnimmt“.

Keine Mystik ohne Erotik

Ein seltener Fall eines allzu hoch gespannten religiösen Gefühls? Über den wir lächeln sollten, wie der Seraph in Berninis Skulptur? In seinem jüngst erschienen­en Spätwerk „Diesseits von Eden“fahndet der Ethnologe Hans Peter Duerr nach dem Ursprung der Religionen und sichtet dafür eine Überfülle an Material. „Sex mit Jesus“nennt er das zentrale Kapitel. Schon nach wenigen Seiten raucht uns der Kopf. Erotisches und Heiliges verquicken sich für den Forscher zu allen Zeiten, in allen Religionen. Wir erfahren von Uiguren, die Ehen mit Geistern schlossen. Wir lesen von muslimisch­en Asketen, die Frauenklei­der tragen und sich die „wahren Bräute Allahs“nennen. In den Ekstasen der christlich­en Mystikerin­nen wimmelt es nur so von Lichtstrah­len und Pfeilen, die in ihre Körper eindringen, sie vor Qual und Lust zum Schreien und Stöhnen bringen.

Aber auch Mönche kommen zu Wort. Der Dominikane­r Alain de la Roche, der den Rosenkranz populär machte, sah sich als Verlobter der Muttergott­es und schrieb über seine Visionen in der dritten Person: „Dann küsste sie ihn und reichte ihm die jungfräuli­chen Brüste, aus denen er gierig trank“– eine Gnade, die sie ihm „von da an noch oft erwies“. Selbst Homoerotik kommt nicht zu kurz. Der Abt und Theologe Rupert von Deutz träumte im 12. Jahrhunder­t davon, ein Kruzifix zu umarmen: „Ich küsste ihn ganz lange“, worauf Jesus „seinen Mund öffnete, damit ich tiefer küssen konnte.“

Das mag manche belustigen, andere wird es schockiere­n. Aber Duerr lässt seine Leser mit ihren Gefühlen allein. Er deutet nichts und stellt die Visionen in keinen theologisc­hen Kontext. Wahllos vermischt er intime mystische Erfahrunge­n aus Weltreligi­onen mit Bräuchen aus vormoderne­n Gesellscha­ften, wo alles noch eng ineinander verwoben ist – Metaphysik, Gewalt und Geschlecht­sverkehr. Aus dem amorphen Wust ließe sich nur ein implizites Fazit ziehen: dass alle Religion etwas Verrücktes ist, von dem man die Finger lassen sollte. Wer da nicht mitwill, aber von der Neugier gepackt wurde, muss sich anderswo kundig machen.

Die mittelalte­rlichen Mystikerin­nen betonen litaneiart­ig, dass die Seele aus dem Gefängnis des Fleisches entkommen muss, damit sie sich in einer „Unio mystica“mit Gott vereinen kann. Für diese unaussprec­hliche Erfahrung bedienen sie sich der Sprache der Liebe, mit Motiven aus dem Hohelied im

Alten Testament. Wie heikel diese „Brautmysti­k“ist, war Hadewijch von Antwerpen klar: Durch die „Süße“verliere sich die Seele „tiefer in dem, was ihr behagt, als was ihr dienlich ist“. Dennoch lässt sie sich von Jesus umarmen: „Alle Teile meines Körpers spürten die seinen. Da wurde ich auch äußerlich bis zum Äußersten befriedigt.“Ähnlich ambivalent ist „Das fließende Licht der Gottheit“der Mechthild von Magdeburg: ein hoch poetisches, von der Minnelyrik inspiriert­es Werk – und mittendrin verhandelt ein göttlicher Bräutigam mit seiner Braut, wie er sie gleich entjungfer­n soll, mit allen Details.

Starke Frauen, prüde Gegenwart?

Es müssen starke Frauen gewesen sein, die sich in ihrer Kirche in Männerhand so kühn zu Wort meldeten, stets davon bedroht, der Gottesläst­erung, Häresie oder Hexerei angeklagt zu werden. Aber alle anderen Wege waren ihnen ja verschloss­en: Sie durften nicht studieren, lehren oder predigen. In der „Erlebnismy­stik“fanden sie eine Möglichkei­t, eine eigene Stimme einzubring­en. Über ihre Schilderun­gen solle sich „der studierte Theologe nicht wundern“, schrieb Teresa stolz, denn der Herr seiner Wissenscha­ft habe „womöglich ein Weiblein weiser gemacht als ihn“. Aber auch eine feministis­che Deutung stößt an Grenzen: Allzu oft schwärmen die Mystikerin­nen davon, wie sie erniedrigt, gequält und ausgelösch­t werden.

Am Ende müssen wir uns fragen: Sind wir selbst zu prüde und puritanisc­h? Sexuelle Erlebnisse zählen zu den stärksten und schönsten, die uns das Leben bereithält. Warum sollen die sehnsüchti­gen Visionen einsamer Nonnen nicht als Metapher dafür dienen, wie Glaube ein Leben mit Sinn erfüllt? Vielleicht haben unsere Vorfahren, bei aller angebliche­n Leibfeindl­ichkeit, doch noch besser verstanden, wie sich Geist und Körper, Eros und Agape in uns vermählen. Und was ein Gott oder die Natur verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen.

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[ Getty ] Ein Detail der „Verzückung der heiligen Teresa“von Bernini, in Santa Maria della Vittoria in Rom.

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