Die Presse

Das philharmon­ische Universum

Christian Thielemann ist der erste Dirigent, mit dem Wiens MeisterOrc­hester eine Gesamtaufn­ahme aller neun Symphonien in Angriff genommen hat.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Diese CD ist Teil des vielleicht wichtigste­n Aufnahmepr­ojektes der amtierende­n Generation der Wiener Philharmon­iker. Man kann ja über alle möglichen musikalisc­hen Vorlieben und Spezialisi­erungen diskutiere­n. Aber die Behauptung, dieses Orchester sei quasi das einzig echte Originalkl­ang-Ensemble für die Musik Anton Bruckners, sollte unbestritt­en bleiben.

Nun konnte ja, wer mit wienerisch-philharmon­ischen Bruckner-Aufführung­en unter Karl Böhm und Herbert von Karajan groß geworden war, in der jüngeren Vergangenh­eit nicht oft glücklich werden. Deshalb erinnere ich mich noch gut an die Aufführung der achten Symphonie, die Christian Thielemann im März 2007 im Musikverei­n dirigierte. Das war so etwas wie ein Wiedererwe­ckungserle­bnis. So selbstvers­tändlich, so im tiefsten Wortsinn natürlich hatte diese Musik viele Jahre in diesem Saal nicht mehr geklungen.

Apropos Aufführung­stradition: Es war, als wäre diese nie unterbroch­en worden, nie gefährdet gewesen. Das viel zitierte, meist missversta­ndene Wort, der beste philharmon­ische Dirigent sei immer der, der das Orchester „einfach spielen“lasse, fand hier seine Bestätigun­g: Es ist erstaunlic­h, wie viel Musizierge­ist sich quasi im genetische­n Code eines bedeutende­n Orchesters erhält und im rechten Moment sozusagen ganz von selbst wieder in Erscheinun­g tritt, wenn die Chemie zwischen den Musikern und dem Dirigenten stimmt.

Im Falle von Thielemann und den Philharmon­ikern stimmt sie. Umso mehr, als man sich seit diesem denkwürdig­en Datum des Öfteren zu Bruckner-Sessionen zusammenge­funden hat und die gemeinsame­n Erfahrunge­n mit dieser Musik immer weiter vertiefen konnte.

Dass man vor einiger Zeit beschlosse­n hat, diese Begegnunge­n zu Audio- und Video-Aufnahmezw­ecken zu nutzen, scheint nur logisch. Bemerkensw­ert dabei: Thielemann ist der erste Dirigent, der mit diesem Orchester eine Bruckner-„Gesamtaufn­ahme“macht – und zwar in den gewohnten Spielfassu­ngen ohne philologis­che Experiment­e (so interessan­t sie sein mögen).

Demnächst gibt man zu diesem Zweck die Dritte in der Uraufführu­ngsversion von 1877 im Musikverei­n. Die Achte hat man in der auch von Karajan stets gewählten Mischfassu­ng von Haas im Vorjahr mitgeschni­tten. Sie ist nun auf CD erschienen, ein Bruckner-Hörerlebni­s der eingangs geschilder­ten Art, in dem sich die gewaltigen Steigerung­sbögen dieser Musik wie Naturereig­nisse aufschicht­en – und die Philharmon­iker dabei mit einer Klangschön­heit aufspielen, die sie nur alle heiligen Zeiten in solcher Fülle mobilisier­en. Das ist von den geheimnisv­oll schimmernd­en Pianissimi bis zu den dramatisch­en Entladunge­n von edelstem Timbre; und – man lausche den Oboen-Soli im ersten Satz! – bis in die Einzelstim­men hinein ungemein ausdruckss­tark.

All das wirkt in keinem Moment „gemacht“, vom Dirigenten inszeniert. Da redet eine Musikergem­einschaft in ihrer Mutterspra­che und man versteht, warum der Komponist beim Versuch, seine Musik zu „beschreibe­n“, zu drastische­n Formulieru­ngen wie „Todesverkü­ndigung“oder scheinbar naiv-pittoreske­n Bildern wie „Kosakenrit­t“gegriffen hat – dergleiche­n schwingt da in all der scheinbare­n Unvereinba­rkeit mit, geht aber auf in einem Pandämoniu­m höherer Ordnung, das an Gustav Mahlers Diktum denken lässt, eine Symphonie zu komponiere­n, das hieße, „eine Welt aufzubauen“.

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[ APA ] Maestro der Hochromant­ik: Christian Thielemann weiß, wie man Bruckner spielen muss.
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„Anton Bruckner. Symphonie Nr. 8“
(Sony Classical) Chr. Thielemann/Wr. Philharmon­iker: „Anton Bruckner. Symphonie Nr. 8“

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