Nach Corona ein offenes Europa schaffen
„Ein Philosoph zu Pferd? Gefährdet die Gesundheit!“, „Subtext“von Karl Gaulhofer, 20. 10.
Ein weiteres großartiges Beispiel für die Freiheit des Reisens im Europa früherer Zeiten ist Franz Liszt, der in seiner Virtuosenzeit 1839–1847 in etwa 230 europäischen Städten über 600 Konzerte gab und oft seinen E´rard-Konzertflügel in einer eigenen Kutsche mitnahm (so wie nach Lissabon 1845). Dazu brauchte er lediglich einen Pass (natürlich noch ohne Foto!), in dem stand: „Celebritate sua sat notus est!“– „Durch seine Berühmtheit ausreichend bekannt!“Das mag exemplarisch für Stars seiner Zeit gewesen sein, aber auch ein päpstlicher Schreiber namens Poggio Bracciolini konnte zu Beginn des 15. Jahrhunderts ungehindert Klöster in Europa auf der Suche nach antiken Texten aufsuchen. Dieser Tatsache haben wir es zu verdanken, dass das verloren geglaubte Werk des römischen Dichters und Philosophen Titus Lucretius Carus (Lukrez), „De rerum natura“, wieder das Licht der Welt erblickte. Ein Werk, das mit seiner epikureischen Sicht und der Erkenntnis, dass die Welt nur aus Atomen bestehe (!), die Renaissance als Vorbotin der Aufklärung einleitete.
Vielleicht wäre es in Zeiten wie diesen gut, nach Corona die Grenzen Europas ganz zu öffnen, die überholte Nationalstaatlichkeit
zu verlassen und ein offenes Europa der Regionen zu schaffen, das sich nicht nur der gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur, sondern auch seiner schwer errungenen und heute höchst gefährdeten demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Werte und Fundamente besinnt.
Hannes Tretter, 1010 Wien