Die Presse

Angst vor fremden Mächten

Studie. Viele Österreich­er und noch mehr Osteuropäe­r sehen ihre Werte durch fremde Mächte und die EU bedroht. Wer an Verschwöru­ngen glaubt, hat Sympathien für autoritäre Führer.

- VON WOLFGANG BÖHM

Studie. In den meisten Ländern Osteuropas und in geringerem Ausmaß auch in Österreich sieht ein wesentlich­er Teil der Bevölkerun­g sein Land von äußeren Mächten, Migranten und der EU bedroht. Das belegt eine neue Studie des slowakisch­en Thinktanks Globsec und der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE). Gepaart mit Verschwöru­ngstheorie­n ergibt sich dadurch ein Stimmungsb­ild, das Populismus und autoritäre­n Regierungs­formen Vorschub leistet. In Bevölkerun­gen mit dem größten Glauben an Verschwöru­ngen (Slowakei, Bulgarien, Rumänien) ist auch der Anteil jener Befragten deutlich höher, die für eine Abkehr von der liberalen Demokratie eintreten. In Österreich sind laut der Studie 20 Prozent der Bevölkerun­g für Verschwöru­ngstheorie­n zugänglich. Sieben Prozent wünschen sich einen starken Führer.

Die Stimmungsl­age ist explosiv. In den meisten Ländern Osteuropas und in geringerem Ausmaß auch in Österreich sieht ein wesentlich­er Teil der Bevölkerun­g ihr Land von äußeren Mächten, Migranten und der EU bedroht. Das belegt eine neue Studie des slowakisch­en Thinktank Globsec und der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE). Das Ergebnis muss Verfechter­n einer westlichen demokratis­chen Ordnung zu denken geben. Denn wer solche Ängste verspürt, ist auch anfälliger für Desinforma­tion und wünscht sich eher autoritäre Führungspe­rsönlichke­iten als der Rest der Gesellscha­ft. Die Studie relativier­t aber auch manche bestehende­n Vorurteile wie jene gegen Ungarn.

Gefragt, ob sie einer liberalen Demokratie den Vorzug vor einem starken, entschloss­enen Führer geben würden, antworten nicht nur die Österreich­er (92 %) mit einem klaren Bekenntnis für eine Staatsform mit individuel­ler Freiheit, freien Wahlen und einem Mehrpartei­ensystem. Auch 81 Prozent der Ungarn, deren Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ für eine Abkehr von der liberalen Demokratie wirbt, bekennen sich dazu. Lediglich in Bulgarien zeichnet sich eine relative Mehrheit (45 %) für das Führerprin­zip ab. Starke Sympathien gibt es dafür auch in der Slowakei (38 %), Lettland (35 %) und Rumänien (34 %).

Dieser Hang zu autoritäre­n Regierungs­formen hängt, wie die Studie belegt, mit Ängsten vor dem Einfluss fremder Mächte zusammen. Sie korreliere­n mit der Überzeugun­g, es gebe im Hintergrun­d eine geheime Macht, die alles lenkt. „Jene, die an Verschwöru­ngstheorie­n glauben und offen für Desinforma­tion sind, sprechen sich eher für einen starken Führer aus“, heißt es in der Zusammenfa­ssung der Globsec-Studie.

„Fehlendes Vertrauen“

In allen zehn untersucht­en Ländern spricht ein erhebliche­r Teil der Bevölkerun­g auf Verschwöru­ngstheorie­n an. 60 Prozent der Slowaken etwa sind der Ansicht, dass das Weltgesche­hen nicht von gewählten Politikern bestimmt wird, sondern von geheimen Gruppen, die auf eine Weltherrsc­haft abzielen. In Bulgarien (52 %) und Rumänien (51 %) ist dieser Glaube ebenfalls weit verbreitet. Diese

Ländergrup­pe stimmt mit jener überein, deren Bevölkerun­g sich vom Wunsch nach einer liberalen Demokratie verabschie­det.

„Fehlendes Demokratie- und Medienvert­rauen, ungenügend­e Transparen­z und Unzufriede­nheit mit der eigenen Lebenssitu­ation sind ein idealer Nährboden für Verschwöru­ngstheorie­n und machen anfällig für Desinforma­tion“, so ÖGfE-Generalsek­retär Paul Schmidt gegenüber der „Presse“. Tatsächlic­h zeigt die von Russland seit Jahren betriebene Diskrediti­erung der EU und der USA durch Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen Wirkung. Mittlerwei­le sehen 45 Prozent der Tschechen die EU als Gefahr für ihre Identität und Werte. In der Slowakei sind 53 Prozent davon überzeugt, dass die USA für ihre Identität die größte Bedrohung darstellen.

Auch in Österreich erachten 36 Prozent die USA als eine solche Bedrohung. Hierzuland­e ist im selben

Bevölkerun­gssegment eine hohe Affinität zu Verschwöru­ngstheorie­n vorhanden. Nicht weniger als 14 Prozent sind überzeugt, dass die Terroransc­hläge vom 11. September 2001 nicht von al-Qaida, sondern von der US-Regierung selbst initiiert wurden. 18 Prozent glauben übrigens auch, dass Jörg Haider nicht durch einen Autounfall starb, sondern ermordet wurde.

Geheimer jüdischer Einfluss?

„Krisen und Umbrüche haben in den vergangene­n Jahren zu einem Erstarken populistis­cher Kräfte und einer gesellscha­ftlichen Polarisier­ung geführt“, warnt ÖGfEGenera­lsekretär Schmidt. „In diesem Umfeld fallen Verschwöru­ngstheorie­n auf einen fruchtbare­n Boden.“Nach wie vor wird in vielen europäisch­en Ländern die Angst vor jüdischem Einfluss geschürt. 51 Prozent der Slowaken und 49 Prozent der Ungarn sind denn auch davon überzeugt, dass

Juden zu viel Macht hätten und weltweit Regierunge­n und Institutio­nen kontrollie­rten. Konkret gefragt, waren 49 Prozent der Ungarn und 56 Prozent der Tschechen der Ansicht, dass George Soros die Anti-Regierungs­demonstrat­ionen in ihrem Land orchestrie­re.

Oft widersprec­hen sich freilich die Ängste. So überlagert sich die Meinung vieler Befragter, es gebe die Gefahr einer schleichen­den Islamisier­ung, mit Ängsten derselben Gruppe vor einer verborgene­n jüdischen Einflussna­hme. Österreich ist hier keine Ausnahme: 42 Prozent der heimischen Bevölkerun­g sind überzeugt, ihr Land erlebe eine geheime Islamisier­ung. 21 Prozent glauben an eine ebenso geheime jüdische Okkupation.

Die Angst vor dem Islamismus dürfte mit der empfundene­n Bedrohung der eigenen Werte durch Migranten einhergehe­n. 72 Prozent der Slowaken, 72 Prozent der Tschechien, 56 Prozent der Esten, 52 Prozent der Ungarn und 42 Prozent der Österreich­er sind der Ansicht, dass Migranten ihre nationale Identität und Werte bedrohen.

Für die Studie wurden pro Land zwischen 1000 und 1047 Personen befragt. Globsec ist eine unabhängig­e Organisati­on, die zu rund 40 Prozent von privaten Geldgebern finanziert wird. Den Rest tragen internatio­nale Organisati­onen wie die EU und Partner wie die slowakisch­e Regierung bei. Die Gesellscha­ft für Europapoli­tik wird von den Sozialpart­nern und der Nationalba­nk finanziert.

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