Angst vor fremden Mächten
Studie. Viele Österreicher und noch mehr Osteuropäer sehen ihre Werte durch fremde Mächte und die EU bedroht. Wer an Verschwörungen glaubt, hat Sympathien für autoritäre Führer.
Studie. In den meisten Ländern Osteuropas und in geringerem Ausmaß auch in Österreich sieht ein wesentlicher Teil der Bevölkerung sein Land von äußeren Mächten, Migranten und der EU bedroht. Das belegt eine neue Studie des slowakischen Thinktanks Globsec und der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Gepaart mit Verschwörungstheorien ergibt sich dadurch ein Stimmungsbild, das Populismus und autoritären Regierungsformen Vorschub leistet. In Bevölkerungen mit dem größten Glauben an Verschwörungen (Slowakei, Bulgarien, Rumänien) ist auch der Anteil jener Befragten deutlich höher, die für eine Abkehr von der liberalen Demokratie eintreten. In Österreich sind laut der Studie 20 Prozent der Bevölkerung für Verschwörungstheorien zugänglich. Sieben Prozent wünschen sich einen starken Führer.
Die Stimmungslage ist explosiv. In den meisten Ländern Osteuropas und in geringerem Ausmaß auch in Österreich sieht ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ihr Land von äußeren Mächten, Migranten und der EU bedroht. Das belegt eine neue Studie des slowakischen Thinktank Globsec und der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Das Ergebnis muss Verfechtern einer westlichen demokratischen Ordnung zu denken geben. Denn wer solche Ängste verspürt, ist auch anfälliger für Desinformation und wünscht sich eher autoritäre Führungspersönlichkeiten als der Rest der Gesellschaft. Die Studie relativiert aber auch manche bestehenden Vorurteile wie jene gegen Ungarn.
Gefragt, ob sie einer liberalen Demokratie den Vorzug vor einem starken, entschlossenen Führer geben würden, antworten nicht nur die Österreicher (92 %) mit einem klaren Bekenntnis für eine Staatsform mit individueller Freiheit, freien Wahlen und einem Mehrparteiensystem. Auch 81 Prozent der Ungarn, deren Ministerpräsident, Viktor Orban,´ für eine Abkehr von der liberalen Demokratie wirbt, bekennen sich dazu. Lediglich in Bulgarien zeichnet sich eine relative Mehrheit (45 %) für das Führerprinzip ab. Starke Sympathien gibt es dafür auch in der Slowakei (38 %), Lettland (35 %) und Rumänien (34 %).
Dieser Hang zu autoritären Regierungsformen hängt, wie die Studie belegt, mit Ängsten vor dem Einfluss fremder Mächte zusammen. Sie korrelieren mit der Überzeugung, es gebe im Hintergrund eine geheime Macht, die alles lenkt. „Jene, die an Verschwörungstheorien glauben und offen für Desinformation sind, sprechen sich eher für einen starken Führer aus“, heißt es in der Zusammenfassung der Globsec-Studie.
„Fehlendes Vertrauen“
In allen zehn untersuchten Ländern spricht ein erheblicher Teil der Bevölkerung auf Verschwörungstheorien an. 60 Prozent der Slowaken etwa sind der Ansicht, dass das Weltgeschehen nicht von gewählten Politikern bestimmt wird, sondern von geheimen Gruppen, die auf eine Weltherrschaft abzielen. In Bulgarien (52 %) und Rumänien (51 %) ist dieser Glaube ebenfalls weit verbreitet. Diese
Ländergruppe stimmt mit jener überein, deren Bevölkerung sich vom Wunsch nach einer liberalen Demokratie verabschiedet.
„Fehlendes Demokratie- und Medienvertrauen, ungenügende Transparenz und Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation sind ein idealer Nährboden für Verschwörungstheorien und machen anfällig für Desinformation“, so ÖGfE-Generalsekretär Paul Schmidt gegenüber der „Presse“. Tatsächlich zeigt die von Russland seit Jahren betriebene Diskreditierung der EU und der USA durch Verbreitung von Falschinformationen Wirkung. Mittlerweile sehen 45 Prozent der Tschechen die EU als Gefahr für ihre Identität und Werte. In der Slowakei sind 53 Prozent davon überzeugt, dass die USA für ihre Identität die größte Bedrohung darstellen.
Auch in Österreich erachten 36 Prozent die USA als eine solche Bedrohung. Hierzulande ist im selben
Bevölkerungssegment eine hohe Affinität zu Verschwörungstheorien vorhanden. Nicht weniger als 14 Prozent sind überzeugt, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001 nicht von al-Qaida, sondern von der US-Regierung selbst initiiert wurden. 18 Prozent glauben übrigens auch, dass Jörg Haider nicht durch einen Autounfall starb, sondern ermordet wurde.
Geheimer jüdischer Einfluss?
„Krisen und Umbrüche haben in den vergangenen Jahren zu einem Erstarken populistischer Kräfte und einer gesellschaftlichen Polarisierung geführt“, warnt ÖGfEGeneralsekretär Schmidt. „In diesem Umfeld fallen Verschwörungstheorien auf einen fruchtbaren Boden.“Nach wie vor wird in vielen europäischen Ländern die Angst vor jüdischem Einfluss geschürt. 51 Prozent der Slowaken und 49 Prozent der Ungarn sind denn auch davon überzeugt, dass
Juden zu viel Macht hätten und weltweit Regierungen und Institutionen kontrollierten. Konkret gefragt, waren 49 Prozent der Ungarn und 56 Prozent der Tschechen der Ansicht, dass George Soros die Anti-Regierungsdemonstrationen in ihrem Land orchestriere.
Oft widersprechen sich freilich die Ängste. So überlagert sich die Meinung vieler Befragter, es gebe die Gefahr einer schleichenden Islamisierung, mit Ängsten derselben Gruppe vor einer verborgenen jüdischen Einflussnahme. Österreich ist hier keine Ausnahme: 42 Prozent der heimischen Bevölkerung sind überzeugt, ihr Land erlebe eine geheime Islamisierung. 21 Prozent glauben an eine ebenso geheime jüdische Okkupation.
Die Angst vor dem Islamismus dürfte mit der empfundenen Bedrohung der eigenen Werte durch Migranten einhergehen. 72 Prozent der Slowaken, 72 Prozent der Tschechien, 56 Prozent der Esten, 52 Prozent der Ungarn und 42 Prozent der Österreicher sind der Ansicht, dass Migranten ihre nationale Identität und Werte bedrohen.
Für die Studie wurden pro Land zwischen 1000 und 1047 Personen befragt. Globsec ist eine unabhängige Organisation, die zu rund 40 Prozent von privaten Geldgebern finanziert wird. Den Rest tragen internationale Organisationen wie die EU und Partner wie die slowakische Regierung bei. Die Gesellschaft für Europapolitik wird von den Sozialpartnern und der Nationalbank finanziert.