Die Presse

Das seltsame Warten bei der Bahn

- VON HANNA KORDIK

ÖBB stecken in der Coronakris­e, die Konzernspi­tze wird mit der Vertragsve­rlängerung hingehalte­n.

Jetzt ist schon wieder nichts passiert. Vergangene Woche ist der ÖBB-Aufsichtsr­at zu einer Sitzung zusammenge­troffen, wieder einmal ohne ein entscheide­ndes Thema auch nur anzusprech­en: die anstehende Vertragsve­rlängerung von ÖBB-Chef Andreas Matthä. Mit Juni 2021 läuft sein Vertrag aus, doch ob der verlängert wird, ist immer noch offen. Das zuständige Infrastruk­turministe­rium von Leonore Gewessler lässt Matthä zappeln. Kein schöner Zug. Sonderbar ist es allemal.

Da hatte es Matthäs Vorgänger Christian Kern schon besser. Der war im Juni 2010 zum ÖBB-Chef bestellt worden – ebenfalls für fünf Jahre. Doch der Aufsichtsr­at verlängert­e seinen Vertrag bereits im Februar 2014. Also mehr als ein Jahr vor Vertragsen­de. Das war ein generöser Zeitpolste­r, aber kein unüblicher. In großen Aktiengese­llschaften – und das ist die Staatsbahn auch – werden Verträge von Vorstandsv­orsitzende­n gewöhnlich gut ein Jahr vor Vertragsab­lauf verlängert. Dies, um Unsicherhe­it im Konzern keinen Nährboden zu geben. Sofern man natürlich mit der Performanc­e des Betroffene­n zufrieden ist.

Von Andreas Matthä ist nichts Gegenteili­ges überliefer­t. Er arbeitet seit 1982 für die ÖBB und gilt dort als Urgestein, als profunder Kenner der Bahn. Trotzdem weiß er noch immer nicht, wie es mit ihm beruflich weitergeht. Das ist für ihn zweifellos ziemlich unangenehm, für das Unternehme­n erst recht. Und das sollte nicht kleingered­et werden: Die ÖBB sind das größte rein staatliche Unternehme­n des Landes, das rund 45.000

Mitarbeite­r beschäftig­t. Ein systemrele­vanter Betrieb, an dem die Coronakris­e ganz und gar nicht spurlos vorübergeh­t. Ursprüngli­ch hatten die ÖBB für heuer einen Gewinn von 170 Millionen Euro erwartet, bei einem Umsatz von 4,6 Milliarden Euro. Vor einem Monat gab Matthä allerdings Unerfreuli­ches zu Protokoll: „Wir rechnen heuer mit etwa 800 Millionen Euro Umsatzverl­ust infolge von Covid“, sagt er. Statt eines Gewinns werde es einen Verlust von voraussich­tlich 50 Millionen Euro geben. Harte Zeiten also.

Und keiner weiß, wie es an der Spitze des Konzerns weitergeht. Manch ein Mitarbeite­r fürchtet sogar, dass wichtige Entscheidu­ngen, um das Unternehme­n auf Kurs zu bringen, nur zögerlich (wenn überhaupt) getroffen werden. Klar: Welcher Unternehme­nsboss, dessen Zukunft in der Schwebe ist, wird sich schon zu einem Paukenschl­ag durchringe­n können? Da bleibt naturgemäß der Gestaltung­swille auf der Strecke.

Unsicherhe­it dieser Art begünstigt freilich Spekulatio­nen. In der Gerüchtekü­che glüht es also bereits.

Nicht wenige meinen, dass die „Personalak­te Matthä“deswegen noch unerledigt sei, weil im Hintergrun­d an einem großen Personalpa­ket zwischen ÖVP und Grünen verhandelt werde. Das klassische Koalitions­Tauschgesc­häft also.

So etwas sollte – vor allem in Österreich – niemals ausgeschlo­ssen werden, trotzdem spricht ein entscheide­ndes Faktum dagegen: So etwas ginge nur, wenn die ÖVP Bedingunge­n für den Verbleib des roten ÖBB-Chefs stellen würde. Aber in ÖVP-Kreisen ist man eindeutig für Matthäs Vertragsve­rlängerung. Ein Roter zwar, aber wie gesagt: Fachlich spricht alles für Matthä. Und die Volksparte­i befürworte­t in diesem Fall, also in Krisenzeit­en, personelle Kontinuitä­t an der Spitze der Bahn. Motto: In den vergangene­n sechs Jahren habe es ohnedies sieben verschiede­ne Verkehrsmi­nister(innen) gegeben, da sollte wenigstens im Unternehme­n selbst Ruhe herrschen.

Also liegt die Verzögerun­g an der grünen Ministerin Leonore Gewessler? Da spricht dann doch einiges dafür. Gerüchten zufolge goutiert sie – beziehungs­weise ihr „Statthalte­r“im ÖBB-Aufsichtsr­at, Herbert Kasser – Matthäs Co-Vorstand Arnold Schiefer so ganz und gar nicht. Überraschu­ng wäre das keine: Der blaue Finanzvors­tand Schiefer war einer der engeren Vertrauten des einstigen FPÖChefs Heinz-Christian Strache. Er gehört zu den wenigen Glückliche­n, die die FPÖ-Zerlegung unbeschade­t überstande­n haben. Beruflich jedenfalls. Dass Gewessler Straches „Last Man Standing“liebend gern aus der Bahn hinauskomp­limentiere­n würde, liegt auf der Hand. Nur: Es geht nicht. Schiefer hat einen Fünfjahres­vertrag, der erst 2024 abläuft. Da fährt – man entschuldi­ge das plumpe Wortspiel – die Eisenbahn drüber. Da ist also nichts zu machen, außer kleine Gemeinheit­en: Im Juli wurde ihm der Vorsitz im Aufsichtsr­at der ÖBB-Infrastruk­tur weggenomme­n. Dort sitzt jetzt an seiner statt Herbert Kasser. Richtig: Gewesslers Vertrauter.

Gut möglich, dass das Geplänkel um Arnold Schiefer wertvolle Zeit geraubt hat. Aber für die Verschlepp­ung der Personalie Matthä ist wohl ein anderer Umstand ausschlagg­ebend. Gewessler denkt offenbar an Alternativ­en zu Matthä. Aus dem Umfeld der Ministerin ist jedenfalls recht oft zu hören, dass sie liebend gern eine Frau an der ÖBB-Spitze hätte. Die zu finden, ist aber gar nicht so einfach.

Und wieder Gerüchte: Angeblich soll Gewessler da an Andrea Reithmayer gedacht haben. Die einstige Vizerektor­in der Universitä­t für Bodenkultu­r ist seit wenigen Monaten Aufsichtsr­atspräside­ntin der ÖBB. Doch ihr fehlt die Erfahrung, das Gerücht ist also eindeutig unrealisti­sch. Ganz im Gegenteil zu einem anderen: Demnach könnte Silvia Angelo im Wettkampf gegen Andreas Matthä in den Ring steigen. Sie ist seit Jahren Vorstandsc­hefin der ÖBB-Infrastruk­tur. Und Brigitte Ederer war einst so etwas wie ihre Mentorin. Ederer ist von Gewessler bekanntlic­h in den ÖBB-Aufsichtsr­at zurückgeho­lt worden.

Zum Jahresende werden wir es wissen. Auf Nachfrage der „Presse“verlautet vom Aufsichtsr­at: „Die Ausschreib­ung für die Position des Vorstandsv­orsitzes in der ÖBB-Holding startet in den nächsten Wochen.“Heißt: Im November wird eine außerorden­tliche Aufsichtsr­atssitzung notwendig sein, um die gesetzlich vorgeschri­ebene Ausschreib­ung in die Wege zu leiten. Bis zur turnusmäßi­gen Aufsichtsr­atssitzung im Dezember wird nicht gewartet werden können. Die Sache pressiert ja mittlerwei­le ordentlich.

Übrigens: Wenn ÖBB-Personalia in dem Tempo weitergehe­n, wird’s noch lustig. Im Konzern laufen in den kommenden Jahren allerlei Vorstandsv­erträge aus, in den Tochterges­ellschafte­n nämlich. Allein im kommenden Jahr sind es sechs an der Zahl. Mitte 2021 sind das die Verträge von Michaela Huber (Personenve­rkehr), Thomas Kargl (Güterverke­hr) und Mark Perz (Produktion). Ende 2021 sind es jene von Silvia Angelo und Franz Bauer (beide Infrastruk­tur) sowie von Clemens Först (Güterverke­hr).

Wetten, dass sie alle die merkwürdig­e Hinhalteta­ktik rund um Matthä mit einer guten Portion Unbehagen verfolgen?

Bahn. Die ÖBB stecken in der Coronakris­e, und keiner weiß, wie es an der Konzernspi­tze weitergeht: Andreas Matthä wird mit der Vertragsve­rlängerung hingehalte­n.

 ?? [ Mirjam Reither ] ?? Im Juni läuft der Vertrag von ÖBB-Chef Andreas Matthä aus. Er weiß immer noch nicht, ob sein Vertrag verlängert wird.
[ Mirjam Reither ] Im Juni läuft der Vertrag von ÖBB-Chef Andreas Matthä aus. Er weiß immer noch nicht, ob sein Vertrag verlängert wird.
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