Wie Karl Löbl vom Plan des Todes abkam
Aktive Sterbehilfe. Der Doyen der Musikkritik wollte mit seiner Frau selbstbestimmt sterben – und kam davon ab. Eine Erinnerung der Tochter.
Der Doyen der Musikkritik wollte mit seiner Frau selbstbestimmt sterben. Eine Erinnerung seiner Tochter.
Es war oft Thema, verkam zu Scherzen, zu fallweiser Blasphemie und mündete in tiefe Demut. Das Sterben. Das Beenden, wenn es unwürdig wird.
Damit wurde ich groß und empfand es als normal, dass man gehen darf, wenn das Leben nichts mehr taugt, wenn man anderen zur Belastung wird.
Es war klar und wurde als ungeschriebenes, abstraktes Gebilde zum Gesetz der Familie.
Ich erinnere mich noch an die ewigen Diskussionen über Kapseln, gefüllt mit Strychnin, einer Überdosis Coffein intravenös verabreicht oder den Sprung vom Stephansdom für den Fall, dass das Leben nicht mehr lebenswert ist.
Dignitas gab es damals noch nicht.
Auch meine Mutter meinte, gehen zu dürfen, als sie es für richtig hielt. Als ich sie beinahe leblos im Bett fand, begann meine Zeitrechnung. Als mein Vater seinen letzten Atemzug tat, verstand ich, warum man das Leben aushaucht.
Ein eisiges Etwas entschwindet, löst sich und mischt sich mit dem Rest der Welt. Minuten vorher war er noch da, seine Hand in meiner. Da endete meine Zeitrechnung.
Der große Vater. Der mächtige Vater. Der Vater, der bei so vielem den Ton bestimmt hat. Meine große Liebe.
Jener Mann, welcher zu Lebzeiten stets davon gesprochen hatte, sein Ende selbstbestimmt gestalten zu wollen, hatte seine Meinung grundlegend geändert.
Er wollte ursprünglich gemeinsam mit seiner Frau in den Tod gehen. Das war der Plan.
Sie wurde schwer krank und wollte gehen, doch er hielt sie fest. Ich denke, dass sie den Sinneswandel nie nachvollziehen konnte.
Von einem „Schalter zum Umlegen“hat sie stets gesprochen und sie hätte es getan, wäre da eine Möglichkeit gewesen.
Die Kehrtwende meines Vaters kam, als er verstand, dass er sie verlieren würde.
***
Allein oder miteinander.
Mein Vater nahm meiner Mutter die Entscheidung ab. Es wurde weitergelebt, um jede kostbare Minute gekämpft und es taten sich Welten auf, welche keiner von uns jemals vorher auch nur im Ansatz vermutet hätte.
Aus dem Wunsch, gemeinsam zu gehen, wurde ein Kampf um das Leben. Er pflegte sie und gab ihr wohl auf diese Weise einiges von dem zurück, was er ihr in der gemeinsamen Zeit genommen hatte. Diese Pflege war von einer derartigen Hingabe und Aufopferung, dass Außenstehende sich daneben winzig fühlten.
Er hat sie bewacht, sich in ihrer Pflege aufgelöst.
Als sie still und leise ging, brach sein Gerüst und wieder war da ein Moment, ein Wendepunkt, an welchem er ihr folgen hätte können. So vieles wäre nicht gelebt, nicht ausgesprochen,