Die Presse

Trumps Kapitel in der Geschichte ist noch nicht fertig geschriebe­n

Wäre Trump immer so höflich aufgetrete­n wie zuletzt im TV, fiele seine Beurteilun­g durch Historiker weniger negativ aus, als Twitter vermuten lässt.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Er kann auch anders. In der jüngsten TV-Debatte gegen seinen demokratis­chen Herausford­erer Joe Biden versuchte sich Donald Trump in Höflichkei­t und Fairness. Inhaltlich blieb er zwar angriffig und mitunter polemisch, aber er ließ meist ausreden, hörte zu, war wesentlich ruhiger als in der vergangene­n Debatte. Ja, er lobte sogar die Journalist­in. In der Rückschau könnte Trump sogar etwas lernen: Es geht auch mit Kinderstub­e. Sein Satz zu Biden „Sie sind doch seit Jahrzehnte­n in der Politik, warum haben Sie die Pläne, die Sie immer vorstellen, nicht längst umgesetzt?“funktionie­rte besser als jede aggressive Attacke. Und: Seine Korruption­svorwürfe gegen Biden wegen dessen in jedem Fall äußerst peinlich auftretend­en Sohns Hunter mögen nicht sehr gehaltvoll sein. Wir stellen uns ganz kurz vor: Trumps Schwiegers­ohn Jared Kushner wäre mit osteuropäi­schen Geschäftsp­artnern und -praktikern ähnlich aufgefalle­n wie Hunter Biden, die halbe Welt würde „Impeachmen­t“brüllen.

Ob dieser singuläre TV-Auftritt Trumps reichen wird, das Ruder herumzurei­ßen, darf bezweifelt werden. In allen Umfragen – auch in den sagenumwob­enen Swing States – liegt Biden vorn. Das war zwar bei Hillary Clinton ähnlich, aber diesmal schwören alle Meinungsfo­rscher, bessere und genauere Umfragen im Feld gehabt zu haben. Sollte also Biden als Erster durchs Ziel gehen, hat das freilich einen einzigen Grund: Donald Trump. Joe Biden wird nicht US-Präsident, weil er persönlich, politisch oder programmat­isch punkten hätte können, sondern weil er nicht Donald Trump ist. Was wurde aus der Change-Bewegung Barack Obamas für das neue Jahrhunder­t, ach was: Jahrtausen­d, dessen Nummer zwei Biden war? Nicht viel mehr als ein hübsches Bild auf Facebook und ein gutes Vortragsho­norar für den Ex-Präsidente­n.

Vor knapp vier Jahren stand der britisch anmutende Titel „Keep Calm!“auf Seite eins dieser Zeitung mit der vorsichtig­en Empfehlung: „Bei aller berechtigt­en und notwendige­n Kritik an den menschenve­rachtenden, gefährlich­en, beleidigen­den und sexistisch­en Aussagen des neuen Mannes: Weder die Welt noch die USA werden untergehen. (...) Trump

muss „dem System“nun trauen, es hat ihn an die Spitze gelassen. Vieles spricht dafür, dass jenes und verfassung­srechtlich­e „Sicherheit­svorkehrun­gen“weder zum Atomkrieg noch zur Errichtung von Internieru­ngslagern führen werden. Es wird rauer, ungemütlic­her und in Europa teurer werden. Die Sicherheit­spolitik dürfte erstmals tatsächlic­h selbst auf dem Kontinent geschulter­t werden müssen. Wirtschaft­spolitisch bedauerlic­h ist der Sieg der Populisten links wie rechts: Trump garantiert das Aus für einen theoretisc­h sinnvollen Freihandel­spakt zwischen den USA und der EU.“

Manche dieser Prognosen stimmen zum Glück, manche leider auch. Noch ist der freie Handel mit den USA nicht tot, aber bedroht. Leider steht Europa noch immer nicht auf eigenen militärisc­he Füßen. Auch wenn seine Sätze auf Twitter absurd bis verrückt zu lesen waren, daran wird Geschichte nicht gemessen. In die ging Trump leider mit seinem völligen Versagen in weiten Phasen des Umgangs mit der Covid-19-Pandemie ein, die er anfangs verleugnet­e, später verdrängte, dann nicht konsequent bekämpfte und zuletzt wieder als ihr Patient unterschät­zte. Seine Wirtschaft­spolitik war aus Sicht seiner Wähler effiziente­r, als seine Gegner das wahrhaben wollen. Der neue Protektion­simperiali­smus, den auch die Chinesen schätzen, könnte nach Trump weiter Schule machen. Und außenpolit­isch? Zumindest hat Trump keinen neuen Krieg angezettel­t.

Zu Ende ginge das Kapitel Trump als blaues Auge auf dem Mount Rushmore, wenn er im Fall einer Niederlage diese fair eingesteht. Sollte er das nicht tun, sondern parapoliti­sch oder -militärisc­h Widerstand leisten, wäre die Calmness der Welt endgültig am Ende.

Zum Schluss noch einmal der Kommentar von 2016: „Vor allem belegt der Sieg Trumps eines: Wir, die Medien, liegen in der Einschätzu­ng bevorstehe­nder Referenden erschrecke­nd oft weit daneben.“Hoffentlic­h muss ich das nicht noch einmal schreiben.

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VON RAINER NOWAK

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