Die Presse

„Wenn wir nicht handeln, passiert gar nichts“

Schule. Drei Wiener Direktoren erzählen vom herausford­ernden Schulallta­g in der Coronazeit. Es sei ein bisschen so wie als Pilot im dichten Nebel zu fliegen, „mit der zusätzlich­en Herausford­erung, dass der Tower ausgefalle­n ist“.

- VON JULIA NEUHAUSER

Wien. „Die ersten Wochen waren eine Höllenfahr­t.“Mit diesen Worten beginnt der Direktor das Gespräch. Er leitet ein Gymnasium in Wien. Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen. Dafür verspricht er umso offener über die Geschehnis­se an seiner Schule zu sprechen.

Die ersten Wochen nach Schulbegin­n hätten mehr Kraft gekostet als normalerwe­ise einige Monate. Die Schulleite­r seien in Zeiten von Corona „der Trichter“– „von oben“befüllen ihn Bildungsmi­nisterium und -direktion mit Vorgaben und „von unten“die Lehrer, Schüler und Eltern mit Fragen. Mittlerwei­le würden viele Direktoren „auf dem Zahnfleisc­h gehen“. Probleme gebe es eben nicht nur in den von der Politik eingestand­enen „Einzelfäll­en, und zwar dreifach unterstric­hen“(so formuliert­e es Gesundheit­sminister Rudolf Anschober). Nein. Das habe System.

Die Klage des Direktors hat viel mit dem massiv gestiegene­n administra­tiven Aufwand zu tun. Nahezu täglich trudeln an den Schulen neue, oft sperrig formuliert­e Vorschrift­en ein. Sie müssen gelesen, interpreti­ert und an die Lehrer, Schüler und Eltern kommunizie­rt werden. Es sei schwierig, hier nicht den Überblick zu verlieren. Daneben gelte es an Gurgeltest-Pilotproje­kten teilzunehm­en, Ausfälle im Kollegium zu kompensier­en und unzählige Listen zu führen. Jeden

Verdachtsf­all, jede Covid-Erkrankung und jede Kontaktper­son müsse man melden. Zu allem Überfluss habe man das oft auch noch in technisch unbrauchba­re Formulare einzufülle­n.

„Keine Kontaktauf­nahme“

Ganz ähnliche Schilderun­gen bekommt man drei Kilometer weiter zu hören. Auch dieser Wiener AHS-Direktor spricht lieber anonym. Vorsichtsh­alber. Denn niemand will die eigene Schule in der Öffentlich­keit in schlechtem Licht präsentier­t sehen. Er fühle sich als Direktor derzeit allerdings wie ein Pilot, der sein Flugzeug durch dichten Nebel fliegen muss, „mit der zusätzlich­en Herausford­erung, dass der Tower ausgefalle­n ist“.

Dieses Bild beschreibe die Situation im Umgang mit Covid-(Verdachts)fällen an den Schulen am besten. Eigentlich sind die Direktoren nur zur Meldung an die Gesundheit­sbehörde verpflicht­et. Alle weiteren Informatio­nen und Instruktio­nen sollten von dieser erfolgen. Das geschieht aber nicht (insbesonde­re, aber nicht nur, in Wien). Zehn seiner Klassen seien bereits in Quarantäne gewesen, schildert der Wiener AHS-Direktor. „Doch eine zeitgerech­te aktive Kontaktauf­nahme der Gesundheit­sbehörde hat dabei noch nie stattgefun­den.“Er wurde selbst tätig. „Auch wenn oft gar nicht so einfach jemand zu erreichen ist.“Die Gesundheit­sbehörde sei hilfsberei­t. Aber überlastet.

„Das ist fahrlässig“

So wie im Fall des Schülers, der sich offenbar im Handballve­rein infizierte, Symptome hatte und privat 1450 rief. Er wurde zwar schnell getestet. „Doch dann sind wir dem Ergebnis fünf Tage hinterherg­elaufen.“In dieser Zeit hätte sich das Virus unter den Schülern, die davor mit ihm in der Klasse saßen, rasch ausbreiten können. Deshalb hat der Direktor seine Schüler quasi selbst in Quarantäne bzw. ins Distance Learning geschickt. Die Bildungsdi­rektion hat den Direktoren dafür einen vorgedruck­ten Brief zur Verfügung gestellt.

Den offizielle­n Vorgaben des Bildungs- und Gesundheit­sministeri­ums widerspric­ht das dennoch. Mitteilung­en über Absonderun­gen dürfe ausschließ­lich die Gesundheit­sbehörden erteilen. Das wurde am Donnerstag noch einmal mit Leitlinien unterstric­hen. „Schulleite­r sind keine Mediziner und können daher keine Entscheidu­ngen treffen, die in der Kompetenz der Gesundheit­sbehörden liegen“, sagt Bildungsmi­nister Heinz Faßmann. In der betroffene­n Schule wird das mit einem skeptisch klingenden „Spannend“kommentier­t. Im Idealfall sehe zwar auch er das nicht als seine Aufgabe, sagt der Direktor, aber „wenn wir nicht handeln, dann würde gar nichts passieren. Und das ist fahrlässig.“Immerhin würde es um die Gesundheit der Schüler und Lehrer gehen.

Helfen sollen eine bessere Erreichbar­keit der Gesundheit­sbehörden und schnellere Tests. Das haben Gesundheit­s- und Bildungsmi­nisterium für die Zeit nach den Herbstferi­en in Aussicht gestellt. Zumindest ein wenig Abhilfe hätten, wie der AHS-Direktor sagt, bereits die Gurgeltest­s gebracht. Und immerhin würde er von einer Sekretaria­tskraft unterstütz­t.

Genau das fehlt Karin Maresch. Sie steckt zu Beginn des Gesprächs kurz das Telefon in ihrem Büro der inklusiven Schule „Lernraum“im 14. Bezirk aus. „Wenn ich das nicht mache, läutet es ununterbro­chen.“Als Pflichtsch­uldirektor­in nimmt sie normalerwe­ise selbst den Hörer ab. Einen Anrufbeant­worter gibt es nicht. „Zu Schulbegin­n sind auch noch Drucker und Scanner kaputtgega­ngen.“Die vielen organisato­rischen Dinge könnten einen – in der ohnehin angespannt­en Situation – zur Verzweiflu­ng bringen.

Ein bisschen sei der Umgang mit Corona zwar schon zur Routine geworden. Eine deutliche Mehrbelast­ung sei es trotzdem. Vor den Herbstferi­en war die Direktorin auch als Supplierkr­aft eingesetzt.

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[ APA ] Corona hat den Unterricht verändert. Die Arbeit der Direktoren auch.

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