„Wenn wir nicht handeln, passiert gar nichts“
Schule. Drei Wiener Direktoren erzählen vom herausfordernden Schulalltag in der Coronazeit. Es sei ein bisschen so wie als Pilot im dichten Nebel zu fliegen, „mit der zusätzlichen Herausforderung, dass der Tower ausgefallen ist“.
Wien. „Die ersten Wochen waren eine Höllenfahrt.“Mit diesen Worten beginnt der Direktor das Gespräch. Er leitet ein Gymnasium in Wien. Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen. Dafür verspricht er umso offener über die Geschehnisse an seiner Schule zu sprechen.
Die ersten Wochen nach Schulbeginn hätten mehr Kraft gekostet als normalerweise einige Monate. Die Schulleiter seien in Zeiten von Corona „der Trichter“– „von oben“befüllen ihn Bildungsministerium und -direktion mit Vorgaben und „von unten“die Lehrer, Schüler und Eltern mit Fragen. Mittlerweile würden viele Direktoren „auf dem Zahnfleisch gehen“. Probleme gebe es eben nicht nur in den von der Politik eingestandenen „Einzelfällen, und zwar dreifach unterstrichen“(so formulierte es Gesundheitsminister Rudolf Anschober). Nein. Das habe System.
Die Klage des Direktors hat viel mit dem massiv gestiegenen administrativen Aufwand zu tun. Nahezu täglich trudeln an den Schulen neue, oft sperrig formulierte Vorschriften ein. Sie müssen gelesen, interpretiert und an die Lehrer, Schüler und Eltern kommuniziert werden. Es sei schwierig, hier nicht den Überblick zu verlieren. Daneben gelte es an Gurgeltest-Pilotprojekten teilzunehmen, Ausfälle im Kollegium zu kompensieren und unzählige Listen zu führen. Jeden
Verdachtsfall, jede Covid-Erkrankung und jede Kontaktperson müsse man melden. Zu allem Überfluss habe man das oft auch noch in technisch unbrauchbare Formulare einzufüllen.
„Keine Kontaktaufnahme“
Ganz ähnliche Schilderungen bekommt man drei Kilometer weiter zu hören. Auch dieser Wiener AHS-Direktor spricht lieber anonym. Vorsichtshalber. Denn niemand will die eigene Schule in der Öffentlichkeit in schlechtem Licht präsentiert sehen. Er fühle sich als Direktor derzeit allerdings wie ein Pilot, der sein Flugzeug durch dichten Nebel fliegen muss, „mit der zusätzlichen Herausforderung, dass der Tower ausgefallen ist“.
Dieses Bild beschreibe die Situation im Umgang mit Covid-(Verdachts)fällen an den Schulen am besten. Eigentlich sind die Direktoren nur zur Meldung an die Gesundheitsbehörde verpflichtet. Alle weiteren Informationen und Instruktionen sollten von dieser erfolgen. Das geschieht aber nicht (insbesondere, aber nicht nur, in Wien). Zehn seiner Klassen seien bereits in Quarantäne gewesen, schildert der Wiener AHS-Direktor. „Doch eine zeitgerechte aktive Kontaktaufnahme der Gesundheitsbehörde hat dabei noch nie stattgefunden.“Er wurde selbst tätig. „Auch wenn oft gar nicht so einfach jemand zu erreichen ist.“Die Gesundheitsbehörde sei hilfsbereit. Aber überlastet.
„Das ist fahrlässig“
So wie im Fall des Schülers, der sich offenbar im Handballverein infizierte, Symptome hatte und privat 1450 rief. Er wurde zwar schnell getestet. „Doch dann sind wir dem Ergebnis fünf Tage hinterhergelaufen.“In dieser Zeit hätte sich das Virus unter den Schülern, die davor mit ihm in der Klasse saßen, rasch ausbreiten können. Deshalb hat der Direktor seine Schüler quasi selbst in Quarantäne bzw. ins Distance Learning geschickt. Die Bildungsdirektion hat den Direktoren dafür einen vorgedruckten Brief zur Verfügung gestellt.
Den offiziellen Vorgaben des Bildungs- und Gesundheitsministeriums widerspricht das dennoch. Mitteilungen über Absonderungen dürfe ausschließlich die Gesundheitsbehörden erteilen. Das wurde am Donnerstag noch einmal mit Leitlinien unterstrichen. „Schulleiter sind keine Mediziner und können daher keine Entscheidungen treffen, die in der Kompetenz der Gesundheitsbehörden liegen“, sagt Bildungsminister Heinz Faßmann. In der betroffenen Schule wird das mit einem skeptisch klingenden „Spannend“kommentiert. Im Idealfall sehe zwar auch er das nicht als seine Aufgabe, sagt der Direktor, aber „wenn wir nicht handeln, dann würde gar nichts passieren. Und das ist fahrlässig.“Immerhin würde es um die Gesundheit der Schüler und Lehrer gehen.
Helfen sollen eine bessere Erreichbarkeit der Gesundheitsbehörden und schnellere Tests. Das haben Gesundheits- und Bildungsministerium für die Zeit nach den Herbstferien in Aussicht gestellt. Zumindest ein wenig Abhilfe hätten, wie der AHS-Direktor sagt, bereits die Gurgeltests gebracht. Und immerhin würde er von einer Sekretariatskraft unterstützt.
Genau das fehlt Karin Maresch. Sie steckt zu Beginn des Gesprächs kurz das Telefon in ihrem Büro der inklusiven Schule „Lernraum“im 14. Bezirk aus. „Wenn ich das nicht mache, läutet es ununterbrochen.“Als Pflichtschuldirektorin nimmt sie normalerweise selbst den Hörer ab. Einen Anrufbeantworter gibt es nicht. „Zu Schulbeginn sind auch noch Drucker und Scanner kaputtgegangen.“Die vielen organisatorischen Dinge könnten einen – in der ohnehin angespannten Situation – zur Verzweiflung bringen.
Ein bisschen sei der Umgang mit Corona zwar schon zur Routine geworden. Eine deutliche Mehrbelastung sei es trotzdem. Vor den Herbstferien war die Direktorin auch als Supplierkraft eingesetzt.