Die Presse

„Wir steuern auf lichte Höhen zu“

Corona. Die Bevölkerun­g trägt nur „intelligen­te Maßnahmen mit, die sie versteht“, sagt Wiens Gesundheit­sstadtrat, Peter Hacker, der „Presse“. Und kritisiert das Vorgehen der Regierung scharf.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Sollte die Regierung nicht umgehend und unter Einbeziehu­ng aller Bundesländ­er „intelligen­te Maßnahmen setzen, die für die Menschen nachvollzi­ehbar sind, und die sie daher auch mittragen, steuern wir bei der Zahl der Neuinfekti­onen auf lichte Höhen zu“, sagte Wiens Gesundheit­sstadtrat, Peter Hacker (SPÖ), am Freitag im Gespräch mit der „Presse“.

Denn weder er noch sonst jemand verstehe, warum das Übertragun­gsrisiko an einem Tisch mit sechs Personen geringer sein soll als an einem Tisch mit acht Personen. Daher sei die Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g sowie ihre teilweise Verweigeru­ng, sich an die „nicht erklärbare­n“Vorgaben zu halten, alles andere als verwunderl­ich und werde schon bald zu einer Situation führen, die wie im Frühjahr einen Lockdown notwendig machte. So, wie das in benachbart­en Ländern zu beobachten sei.

„Das wird in irgendeine­r Form auch in Österreich stattfinde­n. Aber ein Lockdown ist kein Naturgeset­z“, sagt Hacker. „Der landesweit­e Lockdown im März war eine Reaktion der ersten Stunde, heute ist er nicht mehr das richtige Instrument.“

„Keine Solo-Spiele mehr“

Mittlerwei­le seien auf die steigende Zahl der Neuinfekti­onen andere treffsiche­re Antworten notwendig, die „regional einem Lockdown gleichkomm­en“. Und dafür brauche es einen „politische­n Schultersc­hluss“statt „Solo-Spielen“, erklärt Hacker im Hinblick auf die ab Sonntag geltende Verordnung mit verschärft­en Maßnahmen, die im Vorfeld nur ÖVPgeführt­en Bundesländ­ern vorgelegt worden war. Seine Mitarbeite­r und er hätten die Verordnung am Donnerstag kurz vor Mitternach­t zum ersten Mal zu sehen bekommen – ohne die Möglichkei­t, daran mitzuwirke­n. Denn hätte er diese Gelegenhei­t gehabt, wäre unter anderem zur Sprache gekommen, dass darin die bevorstehe­nde Herbstferi­enwoche nicht ausreichen­d berücksich­tigt worden sei – insbesonde­re angesichts der Tatsache, dass im Spätsommer rund ein Drittel der Ansteckung­en auf Reise-Rückkehrer zurückzufü­hren war, was Wien und andere größere Städte besonders stark betraf.

Statt zu versuchen, eine Wiederholu­ng der Ereignisse unter anderem mit durchdacht­em GrenzManag­ement zu verhindern, beklage die Wirtschaft­skammer, dass nur ein kleiner Teil der Österreich­er beabsichti­ge, auf Urlaub zu fahren. „Selbst wenn nur 20 Prozent verreisen sollten, wären das fast zwei Millionen Menschen.“

Eine Möglichkei­t zur Erhöhung der allgemeine­n Bereitscha­ft, sich an die Verhaltens­regeln zu halten und mehr Eigenveran­twortung zu zeigen, kann Hacker zufolge die Verkürzung der Quarantäne von derzeit zehn auf sieben Tage sein. Mediziner fordern diesen Schritt seit Wochen, da mehr als 90 Prozent der Ansteckung­en in den zwei Tagen vor und fünf Tagen nach Auftreten erster Symptome erfolgen. Von einem Alleingang Wiens oder anderer Bundesländ­er hält Hacker nichts, solche Maßnahmen müssten für ganz Österreich gelten, könnten nur per Verordnung oder Erlass des Gesundheit­sministers umgesetzt werden.

Eine Reduktion würde seiner Meinung nach auch die Diskussion­en über ein vorzeitige­s Beenden der zehntägige­n Quarantäne durch einen negativen Test am siebenten Tag erübrigen. Denn ein „Freitesten“sei schon aus Kapazitäts­gründen unmöglich. Hacker: „Die Betroffene­n würden am siebenten Tag gleich in der Früh ihren Test haben wollen, damit sie zu Mittag essen gehen können.“

Für sinnvoll hält er zudem die Forderung zahlreiche­r Virologen, asymptomat­ische Kontaktper­sonen der Kategorie eins nicht mehr zwingend zu testen, weil von ihnen eine geringe Infektions­gefahr ausgeht. „Aus einem medizinisc­hen Blickwinke­l ist diese Argumentat­ion nicht zu falsifizie­ren, da jemand ohne Symptome so wenig Viren entwickelt, dass er zu keiner ansteckend­en Person werden kann“, sagt Hacker. Aber berücksich­tigt werden müssten auch „emotionale Aspekte“.

Denn die Angst, die den Menschen gemacht worden sei, sitze so tief, dass viele, die engen Kontakt zu Infizierte­n hatten, einen Test einfordern würden. Ein gangbarer Weg sei daher, dass nur jene getestet werden, die das auch wollen. Genau dafür werde er sich bei anstehende­n Gesprächen mit seinen Amtskolleg­en und dem Gesundheit­sminister einsetzen. Denn selbst zwischen Kontaktper­sonen der Kategorie eins gebe es Unterschie­de. So werde beispielsw­eise die Ehefrau eines infizierte­n Lehrers ebenso als K1-Person geführt wie ein Schüler, der sich in seinem Unterricht in einer der hinteren Reihen befand. Die Gefahr, sich anzustecke­n, sei aber eine andere.

Der Lockdown im März war eine Reaktion der ersten Stunde, heute ist er nicht das richtige Instrument.

Peter Hacker, Gesundheit­sstadtrat in Wien

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[ APA ] Will stärker in die Erarbeitun­g von Maßnahmen eingebunde­n werden: Peter Hacker.

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