Die Presse

Ein gekonnt verschleie­rter Kaufkraftv­erlust

Die offizielle Inflations­rate hat mit der Realität nicht mehr viel zu tun.

- josef.urschitz@diepresse.com

Das ging ja flott: Sowohl bei den Metallern als auch bei den Handelsang­estellten haben sich die Kollektivv­ertragsver­handler binnen weniger Stunden ohne großes Trara auf Lohnerhöhu­ngen im Ausmaß der Inflations­rate geeinigt. Sehr vernünftig. Die Arbeitgebe­r werden also moderat belastet. Und die Arbeitnehm­er bekommen wenigstens eine Abgeltung der Teuerung.

Oder auch nicht: Um Bruttolohn­erhöhungen kann man sich nichts kaufen, und Nettolohne­rhöhungen fallen immer beträchtli­ch niedriger aus, weil der Staat überpropor­tional mitnascht. Ein Beispiel: Bei einem Bruttolohn von 2000 Euro machen 1,5 Prozent Erhöhung 30 Euro aus. Netto bleiben davon aber nur 16 Euro, was einer echten Lohnerhöhu­ng um etwas mehr als ein Prozent entspricht. Es gibt also einen Reallohnve­rlust.

Und der ist möglicherw­eise noch deutlich höher, als diese Zahlen vermuten lassen. Denn dass die Inflations­rate die für Durchschni­ttsbürger relevante Teuerung misst, wird immer öfter angezweife­lt.

Es gibt dafür starke Indizien: Laut Daten der EU-Kommission lag die Inflations­rate in der Gemeinscha­ft im zweiten Quartal dieses Jahres bei 0,2 Prozent. Die ebenfalls gemessene „gefühlte“Inflation dagegen bei 6,9 Prozent. Und dieses Gefühl täuscht die Menschen zumeist nicht: Wer sein Einkommen überwiegen­d für Wohnung und Lebensmitt­el ausgibt – beides Positionen mit stark überdurchs­chnittlich­er Teuerung –, der hat eben relativ wenig vom Preisverfa­ll bei (noch dazu hedonisch nach unten gerechnete­n) Elektronik­artikeln.

Der Harmonisie­rte Verbrauche­rpreisinde­x (HVPI) gibt eben die Lebensreal­ität der Menschen nicht mehr richtig wieder und bedürfte einer Generalübe­rholung. Das wird aber nicht passieren, weil zu viele Dinge – von der Miete über die Versicheru­ng bis zur EZB-Zinspoliti­k – an diesem Wert hängen und niemand dieses Fass aufmachen will.

Bleibt die Erkenntnis, dass das Gefühl vieler Menschen, dass ihre Kaufkraft seit Jahren schwindet, obwohl die offizielle­n Daten etwas anderes sagen, doch kein Gefühl ist – sondern bittere Realität.

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