Ein gekonnt verschleierter Kaufkraftverlust
Die offizielle Inflationsrate hat mit der Realität nicht mehr viel zu tun.
Das ging ja flott: Sowohl bei den Metallern als auch bei den Handelsangestellten haben sich die Kollektivvertragsverhandler binnen weniger Stunden ohne großes Trara auf Lohnerhöhungen im Ausmaß der Inflationsrate geeinigt. Sehr vernünftig. Die Arbeitgeber werden also moderat belastet. Und die Arbeitnehmer bekommen wenigstens eine Abgeltung der Teuerung.
Oder auch nicht: Um Bruttolohnerhöhungen kann man sich nichts kaufen, und Nettolohnerhöhungen fallen immer beträchtlich niedriger aus, weil der Staat überproportional mitnascht. Ein Beispiel: Bei einem Bruttolohn von 2000 Euro machen 1,5 Prozent Erhöhung 30 Euro aus. Netto bleiben davon aber nur 16 Euro, was einer echten Lohnerhöhung um etwas mehr als ein Prozent entspricht. Es gibt also einen Reallohnverlust.
Und der ist möglicherweise noch deutlich höher, als diese Zahlen vermuten lassen. Denn dass die Inflationsrate die für Durchschnittsbürger relevante Teuerung misst, wird immer öfter angezweifelt.
Es gibt dafür starke Indizien: Laut Daten der EU-Kommission lag die Inflationsrate in der Gemeinschaft im zweiten Quartal dieses Jahres bei 0,2 Prozent. Die ebenfalls gemessene „gefühlte“Inflation dagegen bei 6,9 Prozent. Und dieses Gefühl täuscht die Menschen zumeist nicht: Wer sein Einkommen überwiegend für Wohnung und Lebensmittel ausgibt – beides Positionen mit stark überdurchschnittlicher Teuerung –, der hat eben relativ wenig vom Preisverfall bei (noch dazu hedonisch nach unten gerechneten) Elektronikartikeln.
Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) gibt eben die Lebensrealität der Menschen nicht mehr richtig wieder und bedürfte einer Generalüberholung. Das wird aber nicht passieren, weil zu viele Dinge – von der Miete über die Versicherung bis zur EZB-Zinspolitik – an diesem Wert hängen und niemand dieses Fass aufmachen will.
Bleibt die Erkenntnis, dass das Gefühl vieler Menschen, dass ihre Kaufkraft seit Jahren schwindet, obwohl die offiziellen Daten etwas anderes sagen, doch kein Gefühl ist – sondern bittere Realität.