„Der Weg muss gegangen werden“
Interview. Swarovski-Chef Robert Buchbauer über den Stellenabbau in Wattens, einen möglichen Gang an die Börse, darüber, wie das Unternehmen in die schwierige Lage kam, und über die Streitereien innerhalb der Familie.
Die Presse: Sie tragen als einer von nur wenigen Geschäftsführern in der Geschichte von Swarovski nicht den Firmennamen. Ist es leichter, 1800 Mitarbeiter am Stammsitz in Wattens zu kündigen, wenn man nicht Swarovski heißt und diese lange Familiengeschichte hat?
Robert Buchbauer: Einfach ist es nie, solche Entscheidungen treffen zu müssen. Es sind schwerwiegende, aber notwendige Maßnahmen – das ist völlig unabhängig vom Familiennamen zu sehen.
Sie sind jedenfalls weit weg von der direkten Betroffenheit, Sie leben in der Schweiz.
Aber ich bin häufig in Wattens und begegne natürlich laufend auch Mitarbeitern.
Wie geht man damit um, wenn man einen gekündigten Mitarbeiter auf der Straße trifft?
Wir vollziehen den Abbau der Mitarbeiter so sozial verträglich wie möglich. Direkte Konfrontationen hat es bisher noch nie gegeben, das spricht für unsere Vorgangsweise und das breite Verständnis.
Die Swarovski-Gruppe hat 2019 einen Umsatz von 3,5 Milliarden Euro gemacht, der Gewinn wird nicht bekannt gegeben. Schlittert irgendjemand von der Eigentümerfamilie in die Privatinsolvenz, wenn der Umsatz jetzt nur noch zwei Milliarden Euro ist? Ich kenne die Vermögensverhältnisse unserer Gesellschafter zu wenig. Ganz einfach wird es sicher nicht sein, in die Privatinsolvenz zu schlittern, aber darum geht es gar nicht. Es geht um die schwierige Situation, in der wir und das Unternehmen sind, und um die herausfordernden Jahre, die vor uns liegen. Darauf muss das Unternehmen reagieren.
Geht es nur um das Unternehmen? Hat man nicht auch Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern in Wattens, die teilweise seit mehreren Generationen bei Swarovski arbeiten?
Absolut, wir haben gegenüber allen Mitarbeitern eine Verantwortung. Aber das Wohl des Unternehmens steht ja nicht im Gegensatz zum Wohl der Mitarbeiter, das ist eine gegenseitige Wechselwirkung. Wir mussten im ersten Halbjahr einen Umsatzrückgang von 50 Prozent verzeichnen, am Ende des Jahres wird sich das Umsatzminus bei etwa 35 Prozent einpendeln. Das sind enorme Einbußen, die man erst verdauen muss, da kommt sogar das gesündeste Unternehmen – und das ist Swarovski aktuell nicht – unter Druck.
Die Swarovski-Gruppe hat weltweit 33.000 Mitarbeiter, gehört hat man nur vom Stellenabbau in Tirol. Gab es auch an anderen Standorten Kündigungen?
Leider ja. Wir haben heuer neben Wattens 6000 Stellen abgebaut, vor allem in Thailand, Vietnam und auch in unseren Geschäften weltweit. Das waren notwendige Anpassungen über alle Geschäftsbereiche hinweg.
Wie kam Swarovski in diese schwierige Situation?
Im B2B-Bereich, bei den Geschäftskunden, kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem enormen Preiskampf, weil immer mehr Mitbewerber auf den Markt kamen und unsere Produkte kopiert haben – natürlich nicht mit der gleichen Qualität, aber doch nicht schlecht. Dadurch kam es zu einem Preisverfall. In anderen Bereichen haben uns kleinere Unternehmen sehr gezielt Konkurrenz gemacht. Der B2C-Bereich, der Konsumentenbereich mit unserer globalen Retail-Struktur, konnte den Einbruch eine Zeit lang kompensieren, dann kamen immer mehr Plagiate unserer Produkte auf den Markt und haben uns zugesetzt. Wir müssen jetzt genau prüfen, in welchen Bereichen wir noch sinnvollerweise mitmachen können beziehungsweise wollen und wo nicht.
Und wo kann man das?
Wir haben uns entschieden, im B2B-Bereich nur noch das oberste Marktsegment zu bedienen, den Luxusbereich. Damit kann man auch verhindern, dass man nur noch mit Diskont und Promotion Wachstum erzielen kann. Im Konsumgüterbereich werden wir weniger Händler bedienen, wir werden auch die Anzahl unserer Geschäfte reduzieren.
Das klingt nach weniger Umsatz in den kommenden Jahren.
Das Ziel ist es, weniger Leerumsätze zu machen. Es ist sinnlos, im unteren Preisbereich nur auf Menge zu produzieren, wenn es keine Profitabilität mehr gibt. Das Gleiche gilt im Konsumgüterbereich: Wenn ich meine Markenprodukte immer öfter über Promotions und Discounts verkaufen muss, dann leidet die Marge. Jetzt ziehen wir eine Grenze und versuchen, im oberen Bereich zu wachsen. Über ein, zwei Jahre wird man mit einem geringeren oder gar keinem
Gewinn rechnen müssen. So ein Wandel geht nicht von heute auf morgen, man muss jetzt in die Zukunft investieren – in das Design, die Marke, die Kommunikation –, um den Wandel auf dem Markt glaubhaft darstellen zu können.
Bei der letzten Gesellschafterversammlung haben nicht alle Familienmitglieder Ihren Kurs mitgetragen.
Man muss hier zwei Dinge unterscheiden. Einerseits geht es um die strategische Neuausrichtung, die wird weiter vorangetrieben, da hat der Transformationszug bereits den Bahnhof verlassen und ist auf Schiene. Andererseits geht es um eine neue Rechtsstruktur für das Unternehmen, damit man zukunftssicher aufgestellt ist. Wir sind als Gruppe lose organisiert, über die Eigentümer verbunden, aber unternehmerisch nicht sauber und einheitlich führbar. Wir brauchen eine konzernmäßige Governance, und die möchten wir durch eine Erneuerung unserer Strukturen erreichen.
Mit einer Holding, die in der Schweiz sitzt und alles verwaltet? Nein. Mit einer Familienholding, die in Österreich sitzt und als überspannende Holding alles verwaltet und alles kontrolliert. Der oberste Firmensitz, die Zentrale, ist ganz klar in Wattens und wird auch in Wattens bleiben.
Innerhalb der Familie wird der rechtliche Umbau abgelehnt. Unser derzeitiger Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 1977 ist auf eine kleine Gruppe von Gesellschaftern zugeschnitten. Diese kleine Gruppe gibt es heute nicht mehr, wir haben aktuell 80 Gesellschafter. Für Veränderung größeren Ausmaßes braucht es eine extrem hohe Zustimmung. Selbst die über 80 Prozent, die es in der letzten Versammlung für eine Strukturreform gab, genügen für manche Veränderungen nicht. Swarovski ist aus diesem Vertragswerk herausgewachsen. Es ist nicht mehr zeitgemäß. Deshalb braucht es ein neues Vertragswerk, damit Entscheidungen von der Unternehmensleitung getroffen und klar in allen Bereichen durchgesetzt werden können. Um das zu erreichen, braucht es teilweise Einstimmigkeit. Die haben wir eben nicht erreicht. Jetzt versuchen wir, den Weg anders zu gehen, mit dem Ziel, eine entsprechende Corporate Governance umsetzen zu können.
Als Aktiengesellschaft?
Die Frage ist, ob es eine Aktiengesellschaft (AG) wird oder ob die
Struktur eine Holding ist, die unter einer AG aufbaut. Es gibt eine Palette von Möglichkeiten. Die Kommanditgesellschaft, die wir haben, ist auf jeden Fall ein Auslaufmodell für ein Unternehmen dieser Größe. Das geht bei einem kleinen Betrieb, aber bei über 80 Gesellschaftern plus einer Geschäftsleitung – da braucht es ein Regelwerk, das unabhängig von den Personen funktioniert.
Was hätten Sie gern?
Eine klassische AG-Struktur wäre ein guter Rahmen. Man muss nicht lang über Ausnahme- und Sonderregelungen diskutieren, sondern kann klare Entscheidungen treffen.
Eine AG, die auch an der Börse gehandelt wird?
Das kann in der Zukunft durchaus ein Weg sein. Wir leben in einem Umfeld, in dem sich auch ein so großes Unternehmen wie Swarovski alle Möglichkeiten offenhalten muss, wenn es etwa darum geht, Allianzen auf dem Markt zu schließen oder neue Finanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen. Man braucht Flexibilität, um im Wettbewerb bestehen zu können, und dafür ist wichtig, alle Möglichkeiten zu haben.
Die öffentlich ausgetragenen Familienstreitereien sind neu. Hielt man die Unstimmigkeiten früher besser geheim oder gab es keine? Wir sind eine große Familie mit 250 Mitgliedern, 80 davon Gesellschafter. Da gehen die Meinungen naturgemäß bisweilen auseinander, der größte Teil aber zieht in eine Richtung. Meinungsverschiedenheiten hat es immer schon gegeben, das ist etwas ganz Natürliches. Jetzt wird es halt ernst, dringlich umzusetzende Maßnahmen werden nicht mehr nur theoretisch diskutiert, sondern ergriffen. Daher spitzt es sich zu. Unser Weg ist steinig und schwierig, aber der Weg muss gegangen werden.
Wird man in Wattens langfristig 3000 Mitarbeiter beschäftigen können?
Das ist eine Zielgröße, zu der wir stehen. Made in Austria spielt bei unseren Produkten eine große Rolle und wird in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Der Standort wird infrastrukturmäßig kleiner werden, einerseits wegen der Mitarbeiter, andererseits wegen der notwendigen Anpassung von Anlagen. Wir werden in den kommenden Jahren substanziell investieren müssen, um diese Neuskalierung in Wattens vornehmen zu können.
Also ein grundlegender Umbau. Absolut. Wir haben in der Vergangenheit bereits in den Aufbau beispielsweise einer Manufaktur investiert, um die Arbeit mit dem Geschäftskunden direkt am Produkt zu ermöglichen. Das wird in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen.
Wie geht man damit um, dass bei diesem Umbau das ganze Land mitspricht?
Swarovski hat einen gewissen Stellenwert in Österreich und vor allem in Tirol, deshalb ist der Fokus besonders stark. Ich kann das nachvollziehen und habe viel Verständnis dafür, ich stehe auch immer für Gespräche zur Verfügung. Aber auf der anderen Seite ist klar, dass der Weg gegangen werden muss, sonst kommt es möglicherweise zu einer noch viel schlimmeren Situation. Und das wollen wir alle nicht.