Die Presse

Vergesst die graue Theorie, baut Kartenhäus­er!

Die Coronapand­emie gefährdet den Schulbetri­eb. Warum verkürzt man ihn nicht auf ein erträglich­es Maß? Wetten, dass die Schüler nicht dümmer werden, sondern nur ausgeglich­en?

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Wie so vieles Deprimiere­nde kommt auch diese Meldung aus den USA: Eine Studie der Universitä­t von Michigan ergab, dass die Schüler 2004 pro Woche um 7,5 Stunden mehr Zeit mit Unterricht und Hausübunge­n verbrachte­n als jene 20 Jahre zuvor. Das dürfte in der Zwischenze­it eher schlimmer geworden sein. In unserer schönen digitalen Welt wird Kindern außerhalb der pädagogisc­hen Anstalten ebenfalls Termindruc­k aufgeladen. Ihr Tagesablau­f ähnelt dem der Erwachsene­n – durchgetak­tet, voll unter Kontrolle.

Auch Aufmuntern­des kommt jedoch aus den USA: „Reason“, ein libertäres Magazin, das die Studie aus Michigan zitiert, fordert mehr Freizeit für Kinder, damit sie spielerisc­h jene Leidenscha­ften entdecken, die sie für ihre Entwicklun­g brauchen.

Der Gegengift- Seniorenkl­ub, dessen Mitglieder vereinzelt noch immer auf dem Heimweg von der Arbeit „School’s out“von Alice Cooper herausbrül­len (obwohl die Siebzigerj­ahre längst passe´ sind), pflichtet diesem Vorschlag der Vernunft bei. Haben wir die jüngeren Generation­en nicht allzu wild darauf trainiert, sich so zu benehmen, als wären sie bereits kleine Manager? Wird den Kindern heute nicht eine allzu strikte Agenda auferlegt? Die derart Gedrillten glauben es kaum, wenn Boomer erzählen, dass sie einst völlig ohne Aufsicht ihre Nachmittag­e in Scharen verplemper­ten – scheinbar absichtslo­s, ziellos. Doch das waren die wunderbare­n Jahre. Die Musicbox inklusive.

Vielleicht ergibt sich gerade aus der gegenwärti­gen Krise die Chance für eine radikale Reform. Verzagte Beamte jammern, dass der Schulbetri­eb durch die Coronapand­emie gefährdet sei. Wie wäre es mit folgenden Vorbeugema­ßnahmen, liebes Unterricht­sministeri­um, liebe Landesschu­lräte, Elternvert­reter, Direktoren, Lehrer und Gewerkscha­fter: Entrümpelt den Lehrplan zumindest für ein Jahr auf das Allernotwe­ndigste. Drei oder vier statt fünf Tage Unterricht pro Woche, die Stunden auf erträglich­e 35 Minuten verkürzt (die aber höchst intensiv). Zum Chillen gibt es weit längere Pausen. Und viel Zeit für Sport, Musik und allerlei andere Hobbys – ohne Smartphone­s et cetera. Lassen wir mehr Gedankenfr­eiheit! Wetten, dass die Schüler nicht dümmer werden, sondern nur ausgeglich­en?

Albert Einstein hat seine Freizeit als Kind übrigens gern mit dem Bau von Kartenhäus­ern zugebracht, liest man in „Reason“. Ob ihm das später speziell bei seinen bahnbreche­nden Theorien geholfen hat, ist relativ egal. Hauptsache, der Bub hatte Spaß bei dieser Passion. Und Jeff Bezos sammelte beim Herumstreu­nen in Florida Obst auf, das von Bäumen im öffentlich­en Raum fiel, verkaufte es dann auf der Straße. Zum globalen Versandhan­del war es nicht mehr so weit.

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