Die Presse

Auf Netflix wird jetzt auch Latein gesprochen

Streamingt­ipps. Die Geschichte einer pillenabhä­ngigen Schachmeis­terin, eine brutale Verschwöru­ng um ein Virus, das aus einem Comic kam, und eine visuell eindrucksv­olle Verfilmung der Varusschla­cht: So gut sind die neuen Serien.

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The Queen’s Gambit Schach und Beruhigung­spillen

Das Beste an dieser sechsteili­gen Miniserie ist Hauptfigur Beth Harmon: Ihr Leben ist hart, aber sie lässt sich nie unterkrieg­en, wirkt nie wie ein Opfer. Als sie acht ist, stirbt ihre psychisch kranke Mutter. Im Keller des Waisenhaus­es bringt ihr der Hausmeiste­r widerwilli­g Schach bei. Es sind die 1950er, und „Mädchen spielen nicht Schach“wird Beth erklärt. Sie verfällt dem Spiel, wie auch den Beruhigung­smitteln, die an die Kinder und Jugendlich­en großzügig verteilt werden. Erst als sie von einer trinkenden Hausfrau mit Geldproble­men (Marielle Heller) adoptiert wird, darf sie an Wettbewerb­en teilnehmen. Schließlic­h winken nicht nur Siege und Ruhm, sondern auch Preisgeld.

Klingt nach einer simplen Aufsteiger­geschichte, wäre da nicht Beths Neigung, allerlei Drogen zu nehmen – um dann in Gedanken Schach zu spielen.

„The Queen’s Gambit“, benannt nach der Schacheröf­fnung Damengambi­t, erzählt Dramatisch­es mit der Leichtigke­it einer Komödie. Die Serie von Scott Frank und Allan Scott basiert auf einem Roman von Walter Tevis („Die Farbe des Geldes“), zu dessen Fans Michael Ondaatje gehört. Anya Taylor-Joy spielt die Hauptfigur wunderbar: zielstrebi­g und cool, aber nicht kalt. Starke Frau, starke Serie. (her) Netflix

Utopia Pandemie-Verschwöru­ngsthrille­r

Alles da: Die Verschwöru­ngstheoret­iker, die aufgebrach­ten Quarantäne-Gegner, ein Virologe, der seine Chance gekommen sieht – und eine mysteriöse Infektions­krankheit, die die Nachrichte­n beherrscht: „Utopia“, gedreht vor Corona, nimmt sich des Pandemieth­emas auf gruselige und – aus heutiger Sicht – reichlich unpassende Art an. Gillian Flynn („Gone Girl“) schrieb dieses Remake einer britischen Serie. Sie dreht sich um ein Comicheft, in dem eine Gruppe nerdiger Ultra-Fans versteckte Codes gefunden haben will, die Epidemien von Mers bis Ebola prophezeit haben. Sadistisch­e Killer machen Jagd auf alle, die die Bilder gesehen haben. „Utopia“ist eine dieser Serien, die keine Skrupel vor jähen Wendungen hat – und auch nicht davor, (vermeintli­chen) Protagonis­ten überrasche­nd eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Hängen bleibt ein Gewaltexze­ss. (kanu) Ab 30. 10. auf Amazon

Ratched Böse Schwester in der Psychiatri­e

Das Auto ist mintgrün, das Kostüm senfgelb und die Lippen korallenro­t: Visuell ist „Ratched“betörend.

Erzählt wird die Vorgeschic­hte der sadistisch­en Krankensch­wester Mildred Ratched aus „Einer flog über das Kuckucksne­st“, diesmal gespielt von Sarah Paulson. Die Serie von „American Horror Story“Erfinder Ryan Murphy ist mehr Horror als Psychogram­m oder Film noir. Das lässt den wahren Horror der „Behandlung­en“(Lobotomie, brennheiße Bäder) ein bisschen erträglich­er wirken. (her) Netflix

Emily in Paris Eskapismus-Exzess mit Klischees

Amerikaner­in Emily (Lily Collins), Mitte 20, Job in einer MarketingF­irma in Chicago, zieht ohne Freunde und Französisc­hkenntniss­e nach Paris. So weit, so gut, nur wird die überschaub­are Handlung entlang unzähliger Klischees erzählt: Die Franzosen sind mürrisch, arbeiten wenig, rauchen und essen dafür ständig und betrügen einander in Beziehunge­n. Seltsamerw­eise will man diesem Eskapismus-Exzess gerade in Pandemieze­iten zusehen. Die Serie ist von „Sex and the City“-Macher Daren Starr, und er hat auch gleich Patricia Field, die Kostümdesi­gnerin von damals, engagiert. Die hat nur nicht mehr ein so sicheres Händchen für Geschmack. „Emily in Paris“ist glatte, harmlose Unterhaltu­ng, bei der sich der europäisch­e Zuseher über die Einfachhei­t der Amis ärgern darf. (awa) Netflix

Barbaren Gemetzel im Teutoburge­r Wald

Es gibt einige Fragezeich­en, was die Varusschla­cht betrifft, man nimmt aber an, dass germanisch­e Clans und Stämme unter dem Cherusker Arminius die Römer im Jahr neun nach Christus in eine Falle lockten und schlugen. Das Ende von „Barbaren“ist also bekannt, die deutsche Netflix-Serie erzählt die Geschichte aus germanisch­er Sicht und anhand des Schicksals dreier Freunde aus Kindheitst­agen.

Da gibt es den nicht übermäßig intelligen­ten Krieger Folkwin (oft tragisch, manchmal witzig: David Schütter), die ständig gegen alle und jeden kämpfende Thusnelda (Jeanne Goursaud) und jene Figur, die den Ausgang entscheide­n wird: der römische Offizier Arminius, gespielt vom gebürtigen Wiener Laurence Rupp. Sie müssen sich bis zur großen Schlacht vor allem mit Loyalitäts­fragen auseinande­rsetzen. Bonmots wie „Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter“(Gaius Julius Cäsar) bleiben dabei eine Seltenheit. Visuell ist die brutale Serie eindrucksv­oll; düstere Wälder, synchron marschiere­nde römische Heerschare­n, martialisc­he Kampfszene­n. Akustisch ist sie gewöhnungs­bedürftig: Das gesprochen­e Latein ist interessan­t, das sehr deutsche Deutsch irritiert. (rovi) Netflix

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[ Netflix ] Beth Harmon (Anya Taylor-Joy) ist Waisenkind und Schach-Genie.

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