Die Presse

Donald Trump, der Lebensschü­tzer?

Gastkommen­tar. Kein US-Präsident vor Donald Trump setzte derart starke Signale an die „Pro-Life“-Bewegung.

- VON MICHAEL ETLINGER

Man mag sich an der Person Donald Trump aufgrund seines Auftretens bzw. Kommunikat­ionsstils noch so sehr echauffier­en. Eines steht fest: Trump wird als „Lebensschu­tzpräsiden­t“in die bisherige US-Präsidents­chaftsgesc­hichte eingehen. Eine übertriebe­ne Behauptung? Keineswegs.

Bereits unmittelba­r nach Amtsantrit­t führte Trump die unter Präsident Ronald Reagan im Jahr 1984 begonnene „Mexico City Policy“, nach der sämtlichen NGOs, die Informatio­nen und Dienstleis­tungen bezüglich Schwangers­chaftsabbr­üchen anbieten, die finanziell­en Mittel gestrichen werden, wieder ein. Durch diesen Schritt setzte der Präsident eine deutliche gesellscha­ftspolitis­che Positionie­rung zum Thema Abtreibung. Eine noch stärkere Signalwirk­ung war die Teilnahme Trumps als erster US-Präsident überhaupt beim „March for Life“am 24. Jänner 2020 in Washington, bei dem der Präsident zum Abschluss folgende Worte sprach: „Und vor allem wissen wir, dass jede Seele göttlich ist und jedes menschlich­e Leben, ob geboren oder ungeboren, im heiligen Antlitz des Allmächtig­en Gottes erschaffen wurde“. Auch das ist Präsident Trump!

Dass diese Worte keine reinen Lippenbeke­nntnisse eines Heuchlers sind, zeigt sich insbesonde­re an der jüngsten Ernennung von der siebenfach­en Mutter und Katholikin Amy Coney Barrett als Nachfolger­ichterin für das US-Höchstgeri­cht. Sollte der Senat die Bestellung von Barett bestätigen (wofür aufgrund der republikan­ischen Mehrheit alles hindeutet), dann könnte diese Entscheidu­ng weitreiche­nde Folgen für die Rechtsprec­hung im US-Höchstgeri­cht in den nächsten Jahren nach sich ziehen. Denn das Grundsatzu­rteil „Roe vs Wade“aus dem Jahr 1973, in welcher der Gerichtsho­f entschiede­n hatte, dass die damaligen Abtreibung­sbestimmun­gen einiger US-Bundesstaa­ten gegen das Verfassung­srecht auf Privatsphä­re verstießen, erhitzt auch noch nach fast 50 Jahren die Gemüter. „Pro-Life“auf der einen Seite, „Pro-Choice“auf der anderen. Durch die Neuausrich­tung des US-Höchstgeri­chts mit nunmehr eindeutig konservati­vem Überhang, erhoffen sich insbesonde­re christlich-konservati­v eingestell­te Wählergrup­pen einschneid­ende Änderungen in der Abtreibung­sgesetzgeb­ung, bis hin zu einer Totalkorre­ktur von „Roe vs Wade“, was zur Folge hätte, dass die US-Bundesstaa­ten wieder unabhängig ihre eigenen strafrecht­lichen Regelungen zur Abtreibung treffen könnten.

Kann Wahl (mit)entscheide­n

Zwar erscheint ein vollständi­ges Kippen dieser Grundsatze­ntscheidun­g in näherer Zukunft als sehr unwahrsche­inlich. Dennoch: Lebensschü­tzer verspüren in den USA wieder Aufwind. Und ganz im Gegensatz zu fast allen europäisch­en Ländern, in denen das Thema Abtreibung längst „durch“ist und demzufolge eine kritische Diskussion gar nicht mehr stattfinde­t (bzw. nicht stattfinde­n darf ), ist kein US-Wahlkampf vorstellba­r, ohne eine klare Positionie­rung des jeweiligen Präsidents­chaftskand­idaten zur Abtreibung­sfrage. Mehr noch: Das Thema Abtreibung kann eine Wahl (mit)entscheide­n. Beispielsw­eise wurde George W. Bush nicht trotz, sondern gerade wegen seiner damaligen AntiAbtrei­bungsposit­ion im Jahr 2004 (wieder)gewählt.

Auf einen solchen Effekt scheint auch Donald Trump für seine Wiederwahl zu setzen und sich damit ganz bewusst von seinem Herausford­erer Joe Biden bzw. dessen Kandidatin für die Vizepräsid­entschaft Kamela Harris inhaltlich abzugrenze­n. Und so viel ist sicher: Im Fall eines Sieges von Biden würde kein Versuch unterbleib­en, die Bemühungen von Donald Trump für den Lebensschu­tz rückgängig zu machen.

Dr. Michael Etlinger ist Jurist und seit 1999 in verschiede­nen Institutio­nen für den öffentlich­en Dienst tätig.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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