Enttäuscht von Gastbeiträgen zu Corona
Eine Leser-Kritik
Als jahrzehntelanger „Presse“Abonnent bin ich ziemlich enttäuscht von den Gastkommentaren und Querschreibereien über Corona. Einige Beispiele: Mehrfach erfuhr man, dass „der Österreicher“ein „obrigkeitshöriger Duckmäuser“mit insgeheimen „Blockwart“-Ambitionen sei, und deshalb der berühmte „starke Mann“leichtes Spiel hätte. Ich meine, es gibt viele Österreicher (darunter sicher auch sehr viele „Presse“-Leser), die sich an die Regeln halten, weil sie das vernünftig finden, und nicht aus erstgenannten Gründen. Und ich kenne wesentlich mehr Menschen, die sich vor der Krankheit mehr fürchten als vor einer Kurz-Anschober Diktatur.
Manchmal gab es auch Amüsantes: Ein sog. Philosoph meinte, wir hätten wegen der Beschränkungen unsere Würde verloren, um gleich darauf festzustellen, dass wir vorher eh keine gehabt haben. Immer wieder war auch zu lesen, dass die Maßnahmen überzogen seien, die eigentliche Katastrophe nicht die Krankheit, sondern die Gefährdung der Rechte und der Einbruch der Wirtschaft sei (letzteres ist wirklich eine Katastrophe). Das ist wohl eine Frage der Abwägung – als gesunder Mensch in Elfenbeintürmen jeglicher Art hat man andere Prioritäten als ein Betroffener.
Fast alle Kommentare kamen von Juristen, Historikern, Schriftstellern, Philosophen, (Ex)Politikern etc., ich kann mich kaum an Beiträge von Medizinern oder Naturwissenschaftlern erinnern. Wahrscheinlich wegen der viel beschworenen Meinungsvielfalt, denn letztere sind generell eher vorsichtig und daher einhellig in der Beurteilung der Situation, da ist kaum Vielfalt zu erwarten. Aber auch bei den erstgenannten „Experten“war die Meinungsvielfalt nicht ausgeprägt, nur eben in der anderen Richtung.
Die Meinung der Gast
kommentare muss nicht die der Redaktion sein, heißt es. Ja, aber wenn man sie in Summe betrachtet, kommt doch eine bestimmte Blattlinie zum Ausdruck. Und schließlich muss man die Kommentare ja auch nicht lesen. Aber vielleicht hört man dann irgendwann ganz auf, „Die Presse“zu lesen. Zum Schluss die gute Nachricht: Da es kaum inländische Alternativen gibt, werde ich mein Abonnement nicht kündigen.
Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Heinrich Gruber, 2500 Baden