Warum fällt man beim Schlafen nicht aus dem Bett?
Der Mensch sammelt als Kind Erfahrungen mit der Schwerkraft. Ein Erwachsener weiß unbewusst, wo sein Bett endet – außer er ist berauscht.
VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY
Schläft ein kleines Kind im Bett der Eltern, bauen diese oft richtige Schutzwälle auf. Sie montieren Absperrgitter an den Seiten und legen Stillkissen ans Bettende, damit es sich nicht stößt oder gar hinausfällt. Woher aber wissen Erwachsene, wo das Bett endet und wie weit sie sich wälzen können?
„Das Gehirn ist niemals völlig inaktiv, sondern überwacht die Umgebung auch im unbewussten Zustand ständig auf relevante Reize“, erklärt Schlafforscher Manuel Schabus von der Uni Salzburg. Es merkt also, dass der Widerstand fehlt, wenn man sich gefährlich nah zum Bettrand dreht. Das löst eine Regung aus, man rollt sich in die andere Richtung.
Das Gehirn prüft aber auch bei akustischen Reizen, ob es sinnvoll ist, aufzuwachen: „Hört man den eigenen Namen, wacht man eher auf als bei einem anderen“, erzählt Schabus.
Doch wann lernen Kinder, nicht aus dem Bett zu fallen? „Vermutlich in etwa dann, wenn sie begreifen, dass ein Sturz aus der Höhe wehtut“, sagt Schabus. Dieses Erfahrungswissen müsse durch Erlebnisse mit der Schwerkraft erst wachsen. Wann genau das passiert, lässt sich schwer festmachen und unterscheidet sich abhängig von der Entwicklung eines Kindes. Bei Säuglingen, die sich noch nicht fortbewegen können, sieht man Unterschiede in der Herzrate, wenn sie Tiefe beobachten, berichtet Schabus. Und Versuche mit Babys, die man auf einer Glasplatte über einen kleinen Abgrund krabbeln lässt, zeigen, dass die Kleinen bei der – gefahrlosen – Übung zunächst vor der „visuellen Klippe“innehalten. Von der Mutter ermutigt, klettern sie dann aber doch darüber.
Erwachsene fallen normalerweise nicht aus dem Bett. In extrem inaktivem Zustand, etwa nach einer durchzechten Nacht, seien aber auch sie nicht davor gefeit. Oder auch, wenn der Schlaf nach starkem Schlafentzug unüblich tief sei, könne es zu Fehlfunktionen kommen, so Schabus. Auch Gewohnheiten spielen hinein: Wer meist im Doppelbett und dann im Hoteleinzelbett schläft, hat vielleicht die falsche Erfahrung präsent.
Niemand schläft durch
Wobei niemand die ganze Nacht lang ruhig schläft: Leicht-, Tief- und Traumschlaf sowie kurze Wachphasen wechseln sich in 90-Minuten-Zyklen ab. „Ein 45-jähriger Mann hat durchschnittlich 148 Schlafstadienwechsel pro Nacht und wacht 20 Mal kurz auf. Eine Frau um die 50 wechselt circa 120 Mal die Schlafstadien und wacht zehn Mal auf“, sagt der Schlafforscher. Das merkt man aber nicht, weil die Wachphasen oft nur wenige Sekunden dauern. So deckt man sich im Schlaf auch immer wieder zu oder ab und regelt so die Temperatur, ohne aufzuwachen.
Schabus will den Österreichern mit seiner 2018 gestarteten Studie „Wie schläft Österreich (besser)?“beim Einschlafen helfen. Am sechswöchigen Programm beteiligen kann sich jeder unter gesunderschlaf.coach. Das gesammelte Wissen fließt in – medikamentenfreie – Therapien ein. Bis Sommer 2021 soll es eine App mit Entspannungs- und Atemübungen geben. Denn: „Wer gestresst ins Bett steigt, schläft meist schlecht ein. Das kann biologisch gar nicht funktionieren“, sagt Schabus. Das Gehirn müsse zuerst herunterfahren wie ein Computer. Damit man schläft wie ein Baby, lohne es sich also, vor dem Zubettgehen zehn Minuten zu investieren.
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