Konkurrenz um den Kindersegen
Grazer Forscher lösten im afrikanischen Tanganjikasee ein Rätsel aus der Verhaltensforschung: Warum sind Kuckuckskinder bei brütenden Tieren wie Fischen und Vögeln so häufig?
Wieso lassen brütende Männchen zu, dass ein Großteil der Jungen, die aus ihrem Nest schlüpfen, gar nicht ihre eigenen Nachkommen sind? Diese Frage versuchten Grazer Zoologen im Projekt „Fremdvaterschaften bei monogamen Brütern“, das vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert wurde, zu lösen. Und zwar am Beispiel der Buntbarsche namens Variabilichromis moorii, die im Tanganjikasee, dem zweitgrößten See Afrikas, zahlreich vorkommen. Die Fische verteidigen meist als monogames Paar ihr Revier von etwa einem Quadratmeter Seeboden aggressiv gegen Eindringlinge.
„Aus evolutionsbiologischer Sicht ist es für ein Revier besitzendes Männchen sehr nachteilig, dass nicht alle Eier, die das Weibchen im Revier ablegt, dann von ihm befruchtet werden, sondern im Schnitt etwa 50 Prozent – und bis zu 100 Prozent – der Jungen andere Väter haben“, sagt Kristina Sefc vom Institut für Zoologie der Uni Graz. Evolutionsbiologisch ist das Ziel des Fischmännchens, so viele Gene wie möglich in die nächste Generation zu bringen.
Nachteil für den Nestbesitzer
„Als zweiter Nachteil ergibt sich bei diesen Fischen und allen anderen Tierarten, bei denen Weibchen und Männchen gemeinsam Brutpflege leisten, dass die Männchen Zeit und Kosten in die Aufzucht einer Brut investieren, die gar nicht zu 100 Prozent ihre eigene ist“, sagt Sefc. Ihr Team wollte das Rätsel, warum ein evolutionär so nachteiliges Verhalten nicht längst „wegselektioniert“wurde, in Feldversuchen in Sambia und in Aquarien-Beobachtungen in Graz lösen.
Doch im Aquarium klappte es nicht, die aus dem See gefangenen Fische zu verpaaren: „Typisch für territoriale Tiere haben sich die jeweiligen Paare nicht als Fortpflanzungspartner gesehen, sondern als Revierkonkurrenten, und kämpften heftig.“
Also blieben dem Dissertanten Holger Zimmermann und den Postdocs Karoline Fritzsche und Aneesh Bose für die Datenaufnahme nur die begrenzten Zeiträume von fünf mehrwöchigen Fieldtrips in Sambia, wo sie eine Lodge in Mpulungu bezogen, direkt an der Küste des Tanganjikasees.
„Die Zeit in Afrika halten wir deswegen so kurz, weil der Aufenthalt sehr teuer ist“, sagt Sefc. Nur das Boot, mit dem die Forscher täglich zu den Fischrevieren fahren, kostet keine Miete, denn das hat die Universität Graz schon vor 15 Jahren in Mpulungu stationiert.
„Der von mir beschriebene Platz, wo es genug dieser Buntbarsche gibt, war leider für unsere Fragestellung nicht geeignet, weil dort keine brütenden Paare zu finden waren, sondern nur jugendliche Fische“, sagt Sefc. Nach mehreren Suchfahrten fanden Zimmermann und Fritzsche aber an der vorgelagerten Insel eine Stelle mit brütenden Paaren und starteten die Filmaufnahmen und Beobachtungen unter Wasser in voller Tauchmontur – oft beobachtet von einem jungen Krokodil, das zum Glück nicht gefährlich wurde.
Wie erkennt man so wuselnde Fische, bei denen sogar Männchen und Weibchen identisch aussehen, individuell? „Wir müssen für die DNA-Analyse zur Klärung der Verwandtschaft sowieso von jedem Fisch ein kleines Stück der Schwanzflosse abzwicken. Eine Verletzung, die in der Natur auch vorkommt und rasch verheilt. Wir entnehmen dieses Stück so, dass die Stelle als Markierung des Individuums dient“, erklärt Sefc. Die genetischen Analysen in Graz halfen dann, drei Hypothesen zu testen, warum Revier besitzende Männchen die Eier ihrer Weibchen nicht monopolisieren.
„Die Theorie, dass alle Männchen fremdgehen und den Verlust der Jungen im eigenen Nest in anderen Nestern wettmachen, bestätigte sich nicht“, sagt Sefc. Auch die These, dass Nestbesitzer ihren Einsatz bei der Brutpflege reduzieren, wenn die Jungen nicht ihre eigenen sind, war nicht nachzuweisen. Aber erstmals wurde gezeigt, dass die Männchen generell wenig zur Verteidigung der Brut beitragen, sondern in erster Linie gegen Revierkonkurrenten vorgehen.
Die Hypothese, die sich bestätigte, war, dass die Nebenbuhler der brütenden Männchen oft in geringem Grad mit diesen verwandt sind. So bleiben wenigstens einige der „gestohlenen Fortpflanzungserfolge in der Familie“, wenn es dem Nestbesitzer schon nicht möglich ist, alle herumlungernden Männchen zu vertreiben, die angelockt werden, sobald das Weibchen ihre Eier an den felsigen Untergrund anheftet.
Es sind also die geringe Brutpflegearbeit der nestbesitzenden Männchen und die Verwandtschaft der Konkurrenten, die jene Nachteile mindern, die den Nestbesitzern durch die große Zahl an Kuckuckskindern entstehen.
Fisch ohne Wohnsitz profitiert
Zur Lösung des Rätsels trägt ein Perspektivenwechsel bei: „Was aus Sicht der Nestbesitzer nachteilig ist, ist für Männchen, die kein eigenes Revier haben, ein großer Vorteil.“Diese Floaters, wie Fische ohne „eigenen Wohnsitz“genannt werden, hätten sonst keine Chance, ihre Gene weiterzugeben. So steht dem Druck auf die Nestbesitzer, die eigene Vaterschaft zu sichern, der Druck auf die Floaters gegenüber, sich in fremden Nestern erfolgreich fortzupflanzen.
Immerhin erzielen Revierbesitzer pro Kopf einen höheren Reproduktionserfolg als jedes der frei herumschwimmenden Männchen – die Investition in die Verteidigung des Wohnsitzes zahlt sich letztendlich evolutionär doch aus.