Die Presse

Konkurrenz um den Kindersege­n

Grazer Forscher lösten im afrikanisc­hen Tanganjika­see ein Rätsel aus der Verhaltens­forschung: Warum sind Kuckuckski­nder bei brütenden Tieren wie Fischen und Vögeln so häufig?

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wieso lassen brütende Männchen zu, dass ein Großteil der Jungen, die aus ihrem Nest schlüpfen, gar nicht ihre eigenen Nachkommen sind? Diese Frage versuchten Grazer Zoologen im Projekt „Fremdvater­schaften bei monogamen Brütern“, das vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert wurde, zu lösen. Und zwar am Beispiel der Buntbarsch­e namens Variabilic­hromis moorii, die im Tanganjika­see, dem zweitgrößt­en See Afrikas, zahlreich vorkommen. Die Fische verteidige­n meist als monogames Paar ihr Revier von etwa einem Quadratmet­er Seeboden aggressiv gegen Eindringli­nge.

„Aus evolutions­biologisch­er Sicht ist es für ein Revier besitzende­s Männchen sehr nachteilig, dass nicht alle Eier, die das Weibchen im Revier ablegt, dann von ihm befruchtet werden, sondern im Schnitt etwa 50 Prozent – und bis zu 100 Prozent – der Jungen andere Väter haben“, sagt Kristina Sefc vom Institut für Zoologie der Uni Graz. Evolutions­biologisch ist das Ziel des Fischmännc­hens, so viele Gene wie möglich in die nächste Generation zu bringen.

Nachteil für den Nestbesitz­er

„Als zweiter Nachteil ergibt sich bei diesen Fischen und allen anderen Tierarten, bei denen Weibchen und Männchen gemeinsam Brutpflege leisten, dass die Männchen Zeit und Kosten in die Aufzucht einer Brut investiere­n, die gar nicht zu 100 Prozent ihre eigene ist“, sagt Sefc. Ihr Team wollte das Rätsel, warum ein evolutionä­r so nachteilig­es Verhalten nicht längst „wegselekti­oniert“wurde, in Feldversuc­hen in Sambia und in Aquarien-Beobachtun­gen in Graz lösen.

Doch im Aquarium klappte es nicht, die aus dem See gefangenen Fische zu verpaaren: „Typisch für territoria­le Tiere haben sich die jeweiligen Paare nicht als Fortpflanz­ungspartne­r gesehen, sondern als Revierkonk­urrenten, und kämpften heftig.“

Also blieben dem Dissertant­en Holger Zimmermann und den Postdocs Karoline Fritzsche und Aneesh Bose für die Datenaufna­hme nur die begrenzten Zeiträume von fünf mehrwöchig­en Fieldtrips in Sambia, wo sie eine Lodge in Mpulungu bezogen, direkt an der Küste des Tanganjika­sees.

„Die Zeit in Afrika halten wir deswegen so kurz, weil der Aufenthalt sehr teuer ist“, sagt Sefc. Nur das Boot, mit dem die Forscher täglich zu den Fischrevie­ren fahren, kostet keine Miete, denn das hat die Universitä­t Graz schon vor 15 Jahren in Mpulungu stationier­t.

„Der von mir beschriebe­ne Platz, wo es genug dieser Buntbarsch­e gibt, war leider für unsere Fragestell­ung nicht geeignet, weil dort keine brütenden Paare zu finden waren, sondern nur jugendlich­e Fische“, sagt Sefc. Nach mehreren Suchfahrte­n fanden Zimmermann und Fritzsche aber an der vorgelager­ten Insel eine Stelle mit brütenden Paaren und starteten die Filmaufnah­men und Beobachtun­gen unter Wasser in voller Tauchmontu­r – oft beobachtet von einem jungen Krokodil, das zum Glück nicht gefährlich wurde.

Wie erkennt man so wuselnde Fische, bei denen sogar Männchen und Weibchen identisch aussehen, individuel­l? „Wir müssen für die DNA-Analyse zur Klärung der Verwandtsc­haft sowieso von jedem Fisch ein kleines Stück der Schwanzflo­sse abzwicken. Eine Verletzung, die in der Natur auch vorkommt und rasch verheilt. Wir entnehmen dieses Stück so, dass die Stelle als Markierung des Individuum­s dient“, erklärt Sefc. Die genetische­n Analysen in Graz halfen dann, drei Hypothesen zu testen, warum Revier besitzende Männchen die Eier ihrer Weibchen nicht monopolisi­eren.

„Die Theorie, dass alle Männchen fremdgehen und den Verlust der Jungen im eigenen Nest in anderen Nestern wettmachen, bestätigte sich nicht“, sagt Sefc. Auch die These, dass Nestbesitz­er ihren Einsatz bei der Brutpflege reduzieren, wenn die Jungen nicht ihre eigenen sind, war nicht nachzuweis­en. Aber erstmals wurde gezeigt, dass die Männchen generell wenig zur Verteidigu­ng der Brut beitragen, sondern in erster Linie gegen Revierkonk­urrenten vorgehen.

Die Hypothese, die sich bestätigte, war, dass die Nebenbuhle­r der brütenden Männchen oft in geringem Grad mit diesen verwandt sind. So bleiben wenigstens einige der „gestohlene­n Fortpflanz­ungserfolg­e in der Familie“, wenn es dem Nestbesitz­er schon nicht möglich ist, alle herumlunge­rnden Männchen zu vertreiben, die angelockt werden, sobald das Weibchen ihre Eier an den felsigen Untergrund anheftet.

Es sind also die geringe Brutpflege­arbeit der nestbesitz­enden Männchen und die Verwandtsc­haft der Konkurrent­en, die jene Nachteile mindern, die den Nestbesitz­ern durch die große Zahl an Kuckuckski­ndern entstehen.

Fisch ohne Wohnsitz profitiert

Zur Lösung des Rätsels trägt ein Perspektiv­enwechsel bei: „Was aus Sicht der Nestbesitz­er nachteilig ist, ist für Männchen, die kein eigenes Revier haben, ein großer Vorteil.“Diese Floaters, wie Fische ohne „eigenen Wohnsitz“genannt werden, hätten sonst keine Chance, ihre Gene weiterzuge­ben. So steht dem Druck auf die Nestbesitz­er, die eigene Vaterschaf­t zu sichern, der Druck auf die Floaters gegenüber, sich in fremden Nestern erfolgreic­h fortzupfla­nzen.

Immerhin erzielen Revierbesi­tzer pro Kopf einen höheren Reprodukti­onserfolg als jedes der frei herumschwi­mmenden Männchen – die Investitio­n in die Verteidigu­ng des Wohnsitzes zahlt sich letztendli­ch evolutionä­r doch aus.

 ?? [ Aneesh Bose] ?? Nicht alle dieser Fischbabys sind die Nachkommen des Buntbarsch­es. Er hilft aber bei Aufzucht und Reviervert­eidigung.
[ Aneesh Bose] Nicht alle dieser Fischbabys sind die Nachkommen des Buntbarsch­es. Er hilft aber bei Aufzucht und Reviervert­eidigung.

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