Das Spiel als kulturelle Errungenschaft
Martin Pichlmair unterrichtet in Kopenhagen, wie man Computer- und Handyspiele entwickelt. In seiner Forschung untersucht er, was das Erlebnis „Spiel“für den Menschen so besonders macht.
In Dänemark habe ich mich sehr schnell heimisch gefühlt, denn viele Aspekte sind Österreich so ähnlich“, sagt Martin Pichlmair, der seit fünf Jahren an der IT-Universität Kopenhagen lehrt und forscht. „Es ist ein kleines, reiches Land, das sehr international sein will, aber gleichzeitig so provinziell ist“, schmunzelt Pichlmair, der seine Ausbildung an der TU Wien absolvierte und dort im Bereich der Games-Informatik geforscht hat. „Dank eines glücklichen Zufalls war ich nach meiner Dissertation circa sechs Jahre als Assistenzprofessor an der TU Wien, bevor ich beschloss, eine eigene Firma aufzumachen.“
Diese Firma war das Studio Broken Rules, das Spiele für verschiedene Plattformen entwickelt: Zuletzt etwa „Old Man’s Journey“, das international sehr erfolgreich wurde. „Akademiker zu sein war eine gute Vorbereitung, um bei Wirtschaftsförderungen anzusuchen“, erinnert sich Pichlmair.
Nach intensiven Jahren der technischen und kreativen Entwicklung von Computer- und Handyspielen war Pichlmair aber an einem Punkt im Leben, der große Veränderungen verlangte: „Und ich war ausgebrannt, hatte zu einem gewissen Grad also ein Burn-out.“
Über Medienkunst zur Uni
Auf der Suche, was er abseits der Spiele-Industrie machen könnte, kontaktierte Pichlmair Freunde aus der Zeit, als er neben der Dissertation künstlerisch aktiv war. „Meine Ausstellungen der Medienkunst kamen bis nach Hongkong, waren aber sonst hauptsächlich in Europa. Einen Sommer habe ich auch im Ars Electronica Center in Linz gearbeitet, und eine meiner Bekannten von damals erzählte mir von einer Stellenausschreibung an der ITU in Kopenhagen.“
Gesucht wurde jemand mit technischem Background, Erfahrung aus der Praxis und designbasiertem Denken. „Das ist genau das, was ich mache“, dachte sich Pichlmair. Er bekam die Stelle und zog, ohne viel über Dänemark zu wissen, 2015 nach Kopenhagen.
Die ITU gefiel ihm als kleine, moderne Institution sofort. Damals waren hier etwa 1800 Studierende, heute sind es 3000. „Da es die Uni erst seit circa 20 Jahren gibt, fehlt hier der belastende bürokratische Überbau, den ich von großen Universitäten in Österreich kannte“, sagt Pichlmair, der das Werken an der ITU als eine Mischung zwischen FH und Uni erlebt. „Ich bin nun so etwas wie der Brückenkopf zur Anwendung, weil ich gute Connections habe zur Industrie – international und lokal in Dänemark“, sagt Pichlmair.
Das Verständnis für Spiele sei in der dänischen Gesellschaft fester verankert als in Österreich, meint er. „Als Totschlag-Argument geht immer das Beispiel Lego, das wirtschaftlich so wichtig ist für Dänemark. Aber auch sonst gibt es eine viel intensivere Spielkultur – nicht nur für Kinder.“Manche Spiele für Erwachsene tarnen sich zwar als Trinkspiele, doch „die Sichtbarkeit von Spielen ist hier nicht nur in Parks sehr hoch“.
Mentalität der Wikinger
Von Kartenspielen bis zu relativ gefährlichen körperlichen Aktionen hat Pichlmair in Dänemark schon viel erlebt: „Es gibt ein gewisses furchtloses Denken, das vielleicht auf die Wikingerkultur zurückgeht. Aus Österreich war ich viel mehr Sicherheitsvorkehrungen gewöhnt, etwa Geländer an der Hafenkante über dem Wasser.“
Für Studierende schafft das Land Dänemark hingegen eine Art Sicherheitsnetz: Jeder EU-Bürger kann ohne Studiengebühr an die Uni, und Einheimische bekommen automatisch eine Studienbeihilfe für eine sorgenlose Ausbildung – und für den leichteren Aufstieg durch soziale Schichten.
„Man merkt, dass sich die Leute hier gut überlegen, was sie studieren, und dementsprechend motiviert sind.“Pichlmair lacht: „Aber die exzentrischen Studierenden waren in Wien genauso drauf wie hier, die gibt es im Games-Bereich immer: Von diesen Leuten kann man am meisten lernen.“
Als Programmleiter des Studiengangs „Games“hat Pichlmair einen „halb administrativen, halb visionären Job“, der vor allem in Coronazeiten herausfordernd ist – von technischer wie von psychologischer Seite.
Dazwischen klingelt immer wieder das Telefon, wenn Journalisten wissen wollen, was eine neue Konsole oder Virtual Reality für Videospiele bedeuten, oder wenn gefragt wird, ob Computerspiele Massenkultur sind. „Wir haben hier weltweit führende Forscher der Game-Studies, die auch die humanistische Sicht auf Spiele einbringen. Ich werde eher gefragt, was eine neue Entwicklung für die lokale Game-Industrie bedeutet.“
Macht versus Unsicherheit
In Pichlmairs Forschung geht es hauptsächlich um die Interaktion des Menschen mit dem Computer. Wie wird aus dem Spiel ein Erlebnis und wie verändert das Spieldesign dieses Erlebnis? „Gibt man der Spielfigur mehr Gewicht, erfährt der Mensch zwar eine unmittelbarere Kontrolle über den Spielverlauf, aber ist dafür auch schuld an Fehlern, die die Spielfigur dann macht“, beschreibt Pichlmair.
Spiele-Entwickler steuern also, wie viel Macht oder Unsicherheit die Spielenden erleben. Das Team der ITU erforscht Videospiele auch als kulturelle Errungenschaft und dominante Ausdrucksweise in unserer Gesellschaft. „Erst durch ein präzises Vokabular kann man den Unterschied beschreiben zwischen Glücksspiel, Unterhaltung und Kultur – und auch zwischen Sport, Gesellschaftsspiel und digitalem Spiel. So hat diese Forschung nicht zuletzt Einfluss auf Regelungen und Gesetzgebung.“
Forschung an digitalen Spielen hat nicht zuletzt Einfluss auf Regelungen und Gesetzgebung.
Martin Pichlmair, Informatiker, ITU Kopenhagen