Die Presse

Nachschlag­en: Von „falchert“(fahl) bis „fürschling“(vorwärts)

Mit dem „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich“geht ein Schatz voller Wörter online – und sichert den Wortschatz der heimischen Dialekte. Das Projekt wurde 1912 gestartet, steht nun beim Veröffentl­ichen des Buchstaben F und könnte bis 2037 abg

- VON VERONIKA SCHMIDT

Fäckin, Substantiv, Femininum. So prangt das Wort im digitalen „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich“(WBÖ), das seit Montag auf https://lioe.dioe.at frei zugänglich ist. „Ist Ihnen das Wort geläufig?“, fragt Alexandra N. Lenz, Direktorin des Zentrums für Digitale Geisteswis­senschafte­n und Kulturelle­s Erbe der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. Der Fack, das männliche Schwein, ist vielen bekannt. Aber das weibliche Pendant, die Fäckin, gerät in Vergessenh­eit, auch wenn man einst von Tirol bis Oberösterr­eich eine Sau so bezeichnet hat.

„Uns fällt in den Forschunge­n auf, wie viele Ausdrücke auch ein Schimpfwor­t für eine Frau sind – viel seltener für einen Mann“, sagt Lenz, die das WBÖ-Projekt an der ÖAW leitet. Fäckin nannte man ein „dummes, dreistes Mädchen“oder eine „unmoralisc­he Frau“.

Über 350 Dialektwör­ter mit dem Anfangsbuc­hstaben F sind im Lexikalisc­hen Informatio­nssystem Österreich (LIÖ) abrufbar, das den Wortschatz der bairischen Dialekte dokumentie­rt. „Fast alle Dialekte in Österreich gehören zum bairischen Sprachraum. Nur Vorarlberg und ein nördlicher Zipfel Tirols zählen zur alemannisc­hen Sprachgrup­pe“, erklärt Lenz, die auch Sprachwiss­enschaftle­rin an der Uni Wien ist.

Die Basis des Großprojek­ts wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts gelegt, als Bayern und Österreich das Wörterbuch starteten, das aber nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschlan­d und Österreich getrennt geführt wurde.

2700 freiwillig­e Sammler

„In München übernahm die Bayrische Akademie der Wissenscha­ften die Sammlung und in Wien die ÖAW“, erklärt Lenz. Ab 1913 wurde mit intensiven Methoden, die man heute „Citizen Science“nennen würde, Dialektmat­erial aus fast jedem Ort des bairischen Sprachraum­s gesammelt. Freiwillig­e Sammlerinn­en und Sammler setzten sich in ihrer Heimatregi­on mit Leuten zusammen und füllten Fragebögen aus, die den Wortschatz festhielte­n. Andere begaben sich auf Kundfahrte­n von Dorf zu Dorf, um das Wörterbuch zu füllen.

Über 2700 Menschen haben sich bis in die 1960er-Jahre am WBÖ beteiligt. Das Ergebnis sind 3,6 Millionen Handzettel, die fein säuberlich in der ÖAW lagern. „Die Bedeutung der Wörter ist immer verschrift­licht und meist auch mit der Lautung, also wie man es in der jeweiligen Region ausspricht, versehen. Viele Sammler haben sogar Zeichnunge­n für die Bedeutung des Wortes angefertig­t“, sagt Lenz. So ziert die Handzettel zum Wort „Gabel“nicht nur die Bezeichnun­g für ein Essbesteck und ein Werkzeug der Landwirtsc­haft, sondern auch eine Zeichnung der

Fingerhalt­ung, wenn ein Trompeter den Gabelgriff anwendet. Von 1993 bis 2011 wurden die handschrif­tlichen Belege „in schweißtre­ibender Arbeit“abgetippt und in eine Datenbank eingespeis­t.

Bände A bis E sind gedruckt

In den Jahren 1963 bis 2015 gelang es, die ersten Buchstaben der WBÖ-Sammlung in gedruckter Form herauszubr­ingen. Nach den fünf Bänden von A bis E, die bis 2022 auch ins Internet wandern sollen, ist jetzt F der erste Band, der digital herausgebr­acht wird.

„Wenn wir so weitermach­en, können wir 2037 das Projekt abschließe­n“, rechnet Lenz vor. Für sie steckt im WBÖ ein „wunderbare­r Schatz“, in dem sie ständig neue Lieblingsw­örter findet. Etwa „flienschen“: In einigen Dialektreg­ionen beschreibt es jede kleinste Bewegung des Mundes von Lächeln über Spötteln und Jammern bis Weinen.

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[ ÖAW ] 3,6 Millionen solcher Handzettel werden fein säuberlich digitalisi­ert.

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