Die Presse

Menschlich­er Fußabdruck wirkt wie Meteorit

In den vergangene­n siebzig Jahren verbraucht­e die Menschheit mehr Energie als in den 11.700 Jahren davor. Die nächste Eiszeit verschiebt sich dadurch um mindestens 50.000 Jahre in die Zukunft.

- VON CORNELIA GROBNER

Treibhausg­ase, Bergbau, Plastik, Landwirtsc­haft, industriel­le Fischerei, Beton, Veränderun­g von Küstenlini­en, radioaktiv­er Niederschl­ag – ja, die Menschheit hat sich tief in den Planeten Erde und seine Schichten eingeschri­eben. Und zwar so tief, dass dadurch von einer neuen geologisch­en Zeitepoche die Rede ist, dem Anthropozä­n. Seit über zehn Jahren sammelt eine Arbeitsgru­ppe der Internatio­nalen Kommission für Stratigraf­ie (ICS) nun schon empirische Belege dafür, dass das Holozän längst Vergangenh­eit ist.

Auch die jüngsten Berechnung­en des interdiszi­plinären Kollektivs zum globalen Fußabdruck des Menschen stützen die Anthropozä­n-These. Der starke Anstieg des Energiever­brauchs seit 1950 rechtferti­ge die Benennung einer neuen geologisch­en Epoche, argumentie­ren die Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler in einer Publikatio­n im Fachmagazi­n Nature Communicat­ions Earth & Environmen­t (16. 10.).

„Der Energieums­atz seit etwa 1950 verändert die Erde ähnlich wie der Meteoriten­einschlag am Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren, der für das Aussterben der Dinosaurie­r verantwort­lich war“, sagt Michael Wagreich vom Institut für Geologie der Universitä­t Wien, der Teil der Arbeitsgru­ppe ist. Während der Meteoriten­einschlag ein punktuelle­s Ereignis war und eine starke Klimaabküh­lung zur Folge hatte, führt der intensive Verbrauch fossiler Energie ab etwa 1870 zu einer Klimaerwär­mung, einer Luftversch­mutzung und einem Anstieg an Treibhausg­asen in der Atmosphäre sowie zu einem steigenden Meeresspie­gel. Ab 1950 kommt es zu einer starken Korrelatio­n zwischen der globalen Bevölkerun­g, ihrer Produktivi­tät und ihrem Energiekon­sum.

Geologisch­e Explosion ab 1950

„Unser Planet ist groß, und auf den ersten Blick mag es für Menschen unmöglich erscheinen, die Erde selbst geformt zu haben“, so Erstautori­n Jaia Syvitski von der University of Colorado Boulder (USA). Doch genau das würden die neuen Daten zu ausgewählt­en Erdoberflä­chenparame­tern unmissvers­tändlich zeigen. Es geht dabei um massive vom Menschen verursacht­e Abweichung­en im Vergleich zu den durchschni­ttlichen Werten im Holozän. Das betrifft unter anderem die Atmosphäre­n- und Ozeantempe­raturen, die Menge an Kohlenstof­fdioxid, Methan und Disticksto­ffmonoxid in der Atmosphäre, den Sedimenttr­ansport sowie den terrestris­chen Boden- und Biomasseve­rlust. Dazu kommen die Veränderun­g der biologisch­en Vielfalt, die „Versauerun­g“der Meere, die globale Verbreitun­g neuer Materialie­n wie Kunststoff­e, pharmazeut­ischer Verbindung­en oder Flugasche. „Diese große Beschleuni­gung – man kann fast von einer geologisch­en Explosion sprechen – zeigt, wie sich das Erdsystem ab 1950 von seinem ausgeglich­enen Zustand im Holozän entfernt hat“, ergänzt Wagreich.

Derzeit laufen noch einige weitere Forschungs­projekte, die die vielfältig­en Signale für den Beginn des Anthropozä­ns messen und gegeneinan­der abgleichen. Ein endgültige­r Vorschlag zur Definition des neuen geologisch­en Zeitalters soll 2024 auf dem Tisch liegen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria