Die Presse

Prominente Gäste auf Witichis’ winziger Insel

Italien. Die Lagune von Grado ist nicht nur für viele Wasservöge­l ein ideales Rückzugsge­biet. Auf einer der kleinen Inseln mit ihren Fischerhüt­ten residiert eine lokale Berühmthei­t, die noch viel prominente­re Besucher hat.

- VON GEORG WEINDL

Sie ist die „Insel der Berühmthei­ten“. Solche Orte stellt man sich gemeinhin anders vor. Aber diese Insel ist winzig und unscheinba­r, mit hohen Bäumen und Sträuchern zugewachse­n, hat keinen offizielle­n Namen und sieht den vielen anderen kleinen Inseln in der Lagune von Grado zum Verwechsel­n ähnlich. Trotzdem kennt sie unter den Einheimisc­hen jeder. Es ist die Insel von Viti, und der ist in und rund um Grado eine lokale Berühmthei­t, auch wenn mit dem Titel nicht er gemeint war.

Diese Inseln mit den alten Fischerhüt­ten, den Casoni, zählen zu den wichtigste­n Attraktion­en der Lagune. Früher waren die aus Holz und Schilf gebauten Hütten Zufluchtso­rte für die Fischer, wenn Sturm aufzog. Heute sind sie eine Art Ferienunte­rkunft für Einheimisc­he. Ein Teil gehört der Gemeinde von Grado, ein Teil ist Privatbesi­tz. Unlängst wurde eine der größeren Inseln samt Casone für stolze 3,5 Millionen Euro verkauft.

Normalerwe­ise wechseln diese Inseln nicht ihren Besitzer. Viti, der offiziell Witige Gaddi heißt, hat sein Casone schon seit 60 Jahren. „Mein Name stammt von einem ostgotisch­en König“, verrät er, Witichis, einem Gefolgsman­n Theoderich des Großen. Früher hat Viti hier auch übernachte­t, mittlerwei­le, mit 80, schläft er in Grado, fährt aber jeden Tag mit seinem alten Motorboot hinaus. Wenn die Fahne mit dem habsburgis­chen Doppeladle­r gehisst ist, dann wissen Eingeweiht­e, dass Viti da ist. Besuchen kann ihn jeder, der etwas zu trinken mitbringt, lautet die ungeschrie­bene Regel.

Pasolini und Polanski´

Davon haben in den vergangene­n Jahrzehnte­n viele Gebrauch gemacht, darunter Fürst Rainier von Monaco, Bo Derek und Richard Gere, Pier Paolo Pasolini, Roman Polan´ski und auch etliche österreich­ische Promis wie Toni Sailer, der Viti nach Kitzbühel einlud, der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler und Kärntner Politiker. Man muss freilich nicht prominent sein, um Viti auf seiner Insel zu besuchen. Eine Flasche Wein und viel Zeit sollte man aber einplanen und sich damit abfinden, dass das eine oder andere Glas unabhängig von der Uhrzeit geleert wird und zahlreiche Geschichte­n und Anekdoten erzählt werden. Allerdings sind gute Sprachkenn­tnisse hilfreich.

Viti redet schnell, deutlich gefärbt vom Gradeser Dialekt. Und er kann viel erzählen. Sein Leben lang reiste er um die Welt und besuchte bis ins hohe Alter alle zwei Jahre seine Lieblingsd­estination, Patagonien. Das Geld für die langen Reisen verdiente er sich als Matrose und Techniker auf Schiffen. Dies führte ihn 1962 mitten in die Kuba-Krise und 1982 an den Rand des Falkland-Kriegs zwischen Argentinie­n und Großbritan­nien.

Viti ist Jahrgang 1940. Seine Mutter verkaufte mit dem Fahrrad Fisch in den umliegende­n Dörfern. Der Vater war Matrose. Die Leidenscha­ft für Seereisen hat Viti wohl vom Vater. Als dieser von der Kriegsents­chädigung ein Segelboot kaufte, anstatt das Dach des Hauses zu reparieren, wurde die Mutter stinksauer. Seine Eltern waren Österreich­er, keine Italiener, sagt er. Bis zum Ersten Weltkrieg verlief hier die Grenze. Drüben, hinter der Insel Portobuso wenige Kilometer entfernt, begann Italien.

In seiner Hütte hängen Bilder von Kaiser Franz Joseph und da und dort die österreich­ische Flagge. Es war Maria Theresia, die den Gradesern die Lagune zum Fischen überlassen hat, sagt er. Die Beziehung zu Österreich blieb bis heute eine besondere. In den späten Neunzigerj­ahren besuchte ihn der Regisseur Xaver Schwarzenb­erger und bot ihm eine Nebenrolle in der Komödie „Stella di mare“an. Für Viti ist die Lagune ein Rückzugsge­biet vom Tourismus. Auch im Winter besucht er seine Insel und genießt es, dass es dann noch viel ruhiger ist als im Sommer. Der Komfort? Überschaub­ar. Es gibt nur einen Wohn-, Schlaf- und Kochraum, in dem sich Erinnerung­sstücke stapeln. Die Toilette ist draußen in einem Bretterver­schlag. Ein Leben, wie es die meisten Touristen in Grado nicht mehr kennen.

Lagunen-Atmosphäre

Dabei gibt es einige wenige Plätze, wo man die besondere Atmosphäre der Lagune auch als Urlauber erleben kann. Die Gradeser zieht es an den Wochenende­n nach Portobuso. Auf dieser kleinen Insel auf halbem Weg Richtung Lignano liegt die Trattoria Ai Ciodi der Familie Tognon, ein schlichtes Lokal mit Terrasse direkt am Wasser und mit typischen Fischgeric­hten. Das helle Gebäude hinter der Trattoria war früher die Schule für die Kinder der Fischer. Heute werden die Zimmer an Touristen vermietet. Abends auf der Terrasse sitzen und den fangfrisch­en Fisch zusammen mit friulanisc­hem Weißwein genießen, dazu einen Sonnenunte­rgang der maritimen Art – das hat eine ganz spezielle Entspannun­gswirkung. Nur was Mücken betrifft, sollte man nicht allzu sensibel sein.

Portobuso ist nicht die einzige Option. Auf der östlichen Seite der Lagune ist die Insel Barbana ein beliebtes Ausflugszi­el für Tagesgäste. Sie kommen wegen des Fischresta­urants, aber auch wegen der kontemplat­iven Ruhe des Benediktin­erklosters, der Wallfahrts­kirche Beata Vergine Maria, deren Geschichte bis ins sechste Jahrhunder­t zurückreic­ht. In den Gebäuden des Klosters werden auch Zimmer angeboten, 38 stehen zur Verfügung, die meisten davon Einzelzimm­er. An Wochenende­n ist die Insel je nach Wetter gut bis sehr gut besucht. Wochentage hingegen bieten die Ruhe, die man sich von einem Kloster auf einer Insel verspreche­n mag.

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[ G. Weindl ] Trägt einen ostgotisch­en Vornamen, ist 80 Jahre alt und hat gern Besucher, die eine Flasche Wein mitbringen: Witige Gaddi.

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