Prominente Gäste auf Witichis’ winziger Insel
Italien. Die Lagune von Grado ist nicht nur für viele Wasservögel ein ideales Rückzugsgebiet. Auf einer der kleinen Inseln mit ihren Fischerhütten residiert eine lokale Berühmtheit, die noch viel prominentere Besucher hat.
Sie ist die „Insel der Berühmtheiten“. Solche Orte stellt man sich gemeinhin anders vor. Aber diese Insel ist winzig und unscheinbar, mit hohen Bäumen und Sträuchern zugewachsen, hat keinen offiziellen Namen und sieht den vielen anderen kleinen Inseln in der Lagune von Grado zum Verwechseln ähnlich. Trotzdem kennt sie unter den Einheimischen jeder. Es ist die Insel von Viti, und der ist in und rund um Grado eine lokale Berühmtheit, auch wenn mit dem Titel nicht er gemeint war.
Diese Inseln mit den alten Fischerhütten, den Casoni, zählen zu den wichtigsten Attraktionen der Lagune. Früher waren die aus Holz und Schilf gebauten Hütten Zufluchtsorte für die Fischer, wenn Sturm aufzog. Heute sind sie eine Art Ferienunterkunft für Einheimische. Ein Teil gehört der Gemeinde von Grado, ein Teil ist Privatbesitz. Unlängst wurde eine der größeren Inseln samt Casone für stolze 3,5 Millionen Euro verkauft.
Normalerweise wechseln diese Inseln nicht ihren Besitzer. Viti, der offiziell Witige Gaddi heißt, hat sein Casone schon seit 60 Jahren. „Mein Name stammt von einem ostgotischen König“, verrät er, Witichis, einem Gefolgsmann Theoderich des Großen. Früher hat Viti hier auch übernachtet, mittlerweile, mit 80, schläft er in Grado, fährt aber jeden Tag mit seinem alten Motorboot hinaus. Wenn die Fahne mit dem habsburgischen Doppeladler gehisst ist, dann wissen Eingeweihte, dass Viti da ist. Besuchen kann ihn jeder, der etwas zu trinken mitbringt, lautet die ungeschriebene Regel.
Pasolini und Polanski´
Davon haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Gebrauch gemacht, darunter Fürst Rainier von Monaco, Bo Derek und Richard Gere, Pier Paolo Pasolini, Roman Polan´ski und auch etliche österreichische Promis wie Toni Sailer, der Viti nach Kitzbühel einlud, der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler und Kärntner Politiker. Man muss freilich nicht prominent sein, um Viti auf seiner Insel zu besuchen. Eine Flasche Wein und viel Zeit sollte man aber einplanen und sich damit abfinden, dass das eine oder andere Glas unabhängig von der Uhrzeit geleert wird und zahlreiche Geschichten und Anekdoten erzählt werden. Allerdings sind gute Sprachkenntnisse hilfreich.
Viti redet schnell, deutlich gefärbt vom Gradeser Dialekt. Und er kann viel erzählen. Sein Leben lang reiste er um die Welt und besuchte bis ins hohe Alter alle zwei Jahre seine Lieblingsdestination, Patagonien. Das Geld für die langen Reisen verdiente er sich als Matrose und Techniker auf Schiffen. Dies führte ihn 1962 mitten in die Kuba-Krise und 1982 an den Rand des Falkland-Kriegs zwischen Argentinien und Großbritannien.
Viti ist Jahrgang 1940. Seine Mutter verkaufte mit dem Fahrrad Fisch in den umliegenden Dörfern. Der Vater war Matrose. Die Leidenschaft für Seereisen hat Viti wohl vom Vater. Als dieser von der Kriegsentschädigung ein Segelboot kaufte, anstatt das Dach des Hauses zu reparieren, wurde die Mutter stinksauer. Seine Eltern waren Österreicher, keine Italiener, sagt er. Bis zum Ersten Weltkrieg verlief hier die Grenze. Drüben, hinter der Insel Portobuso wenige Kilometer entfernt, begann Italien.
In seiner Hütte hängen Bilder von Kaiser Franz Joseph und da und dort die österreichische Flagge. Es war Maria Theresia, die den Gradesern die Lagune zum Fischen überlassen hat, sagt er. Die Beziehung zu Österreich blieb bis heute eine besondere. In den späten Neunzigerjahren besuchte ihn der Regisseur Xaver Schwarzenberger und bot ihm eine Nebenrolle in der Komödie „Stella di mare“an. Für Viti ist die Lagune ein Rückzugsgebiet vom Tourismus. Auch im Winter besucht er seine Insel und genießt es, dass es dann noch viel ruhiger ist als im Sommer. Der Komfort? Überschaubar. Es gibt nur einen Wohn-, Schlaf- und Kochraum, in dem sich Erinnerungsstücke stapeln. Die Toilette ist draußen in einem Bretterverschlag. Ein Leben, wie es die meisten Touristen in Grado nicht mehr kennen.
Lagunen-Atmosphäre
Dabei gibt es einige wenige Plätze, wo man die besondere Atmosphäre der Lagune auch als Urlauber erleben kann. Die Gradeser zieht es an den Wochenenden nach Portobuso. Auf dieser kleinen Insel auf halbem Weg Richtung Lignano liegt die Trattoria Ai Ciodi der Familie Tognon, ein schlichtes Lokal mit Terrasse direkt am Wasser und mit typischen Fischgerichten. Das helle Gebäude hinter der Trattoria war früher die Schule für die Kinder der Fischer. Heute werden die Zimmer an Touristen vermietet. Abends auf der Terrasse sitzen und den fangfrischen Fisch zusammen mit friulanischem Weißwein genießen, dazu einen Sonnenuntergang der maritimen Art – das hat eine ganz spezielle Entspannungswirkung. Nur was Mücken betrifft, sollte man nicht allzu sensibel sein.
Portobuso ist nicht die einzige Option. Auf der östlichen Seite der Lagune ist die Insel Barbana ein beliebtes Ausflugsziel für Tagesgäste. Sie kommen wegen des Fischrestaurants, aber auch wegen der kontemplativen Ruhe des Benediktinerklosters, der Wallfahrtskirche Beata Vergine Maria, deren Geschichte bis ins sechste Jahrhundert zurückreicht. In den Gebäuden des Klosters werden auch Zimmer angeboten, 38 stehen zur Verfügung, die meisten davon Einzelzimmer. An Wochenenden ist die Insel je nach Wetter gut bis sehr gut besucht. Wochentage hingegen bieten die Ruhe, die man sich von einem Kloster auf einer Insel versprechen mag.