Söldens stille Seite: ein veritables Alpen-Almen-Postkartenidyll
Tirol. Viele Urlaubsorte tragen ein Prädikat, bei Sölden lautet es „Mekka großer Sportevents“. Aber es gibt noch ein anderes, ruhigeres Ötztal
Seinen Ruf verdankt Sölden Veranstaltungen wie dem Skiweltcup (vor Kurzem), dem Ötztaler Radmarathon und dem Gletscherschauspiel „Hannibal“. Auch lockt in Corona-freien Zeiten das Apr`es-Ski-Leben eine feierfreudige Community an Eisbars, in Discos und Bierpubs.
So klingt es auf den ersten Blick wie ein Widerspruch: Söldens stille Seite. Doch es gibt sie. Kaum bekannt und wenig erschlossen. Zu allen Jahreszeiten, auch jetzt, wenn Gipfel schon weiß sind, ist sie zugänglich am Osthang oberhalb des belebten Bergorts. Wie ein weiches Tuch breitet sich die Stille in dem Naturschutzgebiet über Wälder und Almen, als Klangverstärker sozusagen für das Pfeifen prallrunder Murmeltiere und den Ruf der Steinadler. Ein Paralleluniversum, eine unerwartet andere, überraschend einladende Welt. Als Inbegriff aller Alpen-Almen-Postkartenidyllen mit glucksenden Wildbächen, weidenden Kühen, heilen Wäldern und urigen
Holzstadeln. Durchzogen von einem weit gewebten Netz aus Wanderwegen.
Im Herzen der Stubaier Alpen, die sich östlich des Ötztals ausbreiten, liegt das wildromantische Windachtal als Ausgangspunkt auch für anspruchsvolle Bergtouren zum Brandenburger Haus, zur Hildesheimer- und SiegerlandHütte. Sowie zur höchsten, auf 3174 Metern, der Hochstubai-Hütte. Damit diese Welt hinter dem Spiegel gut erreichbar ist, windet sich mehrmals am Tag ein Wanderbus über tannengesäumte Serpentinen zu Haltestellen an drei Berggasthöfen und entlässt Stillesuchende in die perfekte Heimatfilmkulisse.
Erster Ausstieg an Fiegls Gasthaus (1985 m), auch als „Klein Kanada“bekannt. Je weiter der Weg sich vom Fiegls entfernt, desto weiter führt er zurück in die Zeit. Zu den Wurzeln des Bergtourismus, als es nur den rauschenden Wildbach, die „Windache“, gab und einen Pfad, der nebenher verläuft. Dazu der Blick auf verlockende
Gipfel. Gewürzt vom herben Duft der Kräuter, Schwammerln und Wildblumen.
Umkehr nach ein paar Kilometern, um noch auf die Kleble Alm zu steigen oder wahlweise den Wanderbus dorthin zu nehmen. Auf 2015 m steht der winzige Weiler aus sieben Thayen, wie Almhütten hier genannt werden, mit einer kleinen Kapelle und einer urigen Jausenstation aus dem Jahre 1927. Bis zum Gurgler Ferner reicht der Blick.
Rehe, Gämsen und Steinadler
Mittwoch ist Ruhetag, eine Familie hat ihr Picknick auf dem großen Tisch auf der Wiese ausgebreitet, ein Pärchen chillt auf einer geschwungenen Holzliege. Biker balancieren über holprige Singletrails hinunter zur Stallwies Alm, die ebenfalls am Kleble Alm Trail (699) oder der Mountainbike-Route Kleble (651) liegt. Wanderer „surfen“bergab durch ein Meer aus Preiselbeeren und Himbeeren.
Von der Sonnenterrasse der Stallwies Alm auf 1850 Metern öffnet sich als Breitwandpanorama die gegenüberliegende Seite mit Hochsölden, dem Giggijoch und dem Gaislachkogel. Auf schroffen Felsen ragt die James-Bond-Erlebniswelt „007 Elements“in 3040 m Höhe. Hier das heimelige Hexenhäuschen aus Holzbalken, drüben das futuristische Gipfelrestaurant, das als gläserner Würfel in der Sonne glitzert. Zum Greifen nah, doch gefühlte Lichtjahre entfernt. Was für ein Kontrast!
Betrieben wird die Hütte vom Ehepaar Fiegl. „Vor 350 Jahren wurde sie von den Vorfahren meines Mannes Dominik gebaut“, berichtet Maria. „Seit 1982 ist sie bewirtschaftet.“Die junge Wirtin tischt Tiroler Küche auf, zubereitet von Dominik. Im Winter verleihen die Fiegls Rodeln, die Alm eignet sich auch als Ausgangspunkt für Schneeschuhwanderungen und Skitouren. Einsam, sagt Maria, fühlen sie und ihre beiden kleinen Kinder sich nie. Jeden Tag kommen Rehe, Gämsen und Adler vorbei. Doch der Vierjährige will jetzt Fußball spielen. Auf einmal ist Söldens stille Seite von Kinderjubel erfüllt. Infos: www.oetztal.com