Nachher weiß man alles besser
Porträt. Wer sagt, dass gute Geschäftsideen nicht überall zu finden sind? Drei Tiroler TU-Studenten tüfteln ihre am Küchentisch ihrer WG aus. Sie nützen nicht nur Studierenden.
Im Oktober 2016 saßen drei TU-Studenten aus Tirol in ihrer Wiener WG-Küche. Die drei kannten sich von der HTL in Innsbruck, einer war nach Wien vorausgegangen, die anderen brachten erst ihren Zivildienst hinter sich und kamen dann nach. Für deren Startsemester hatte der Erste noch gute Tipps. Etwa: Macht diese Vorlesung bei Professor X, der prüft weniger streng. Bei dieser Übung müsst ihr anwesend sein, bei jener nicht. Für diese Prüfung reicht eine Woche lernen.
Dank solcher Insider-Infos waren die drei im Studium bald gleichauf. Wen sollten sie jetzt fragen? Sie kannten keine Höhersemestrigen, und das Internet gab nur veraltete Ratschläge her.
Damals, in ihrer WG-Küche, hatten Christoph Sprenger, Emir Selimovic und Adrian Sauerwein (alle 25) ihre erste Geschäftsidee: Wir bauen eine Plattform, auf der Studierende, die eine Prüfung geschafft haben, ihr Wissen weitergeben. Wie lang sie gebraucht und wie sie gelernt haben, was sie mit dem heutigen Wissen anders machen würden. Weil nachher, so die Logik, weiß man alles besser.
Quantify yourself für die Uni
Ein Jahr später ging Timebite, wie die drei ihre App tauften, an der TU Wien live. Beide Seiten haben etwas davon: Der Prüfling tappt nicht mehr im Dunklen und plant sein Studium besser. Der Erfolgreiche dokumentiert seinen Fortschritt und erfährt mit jeder Prüfung Neues über sich und seinen Lerntyp. Und ja, er streichelt auch sein Ego, wenn er Nachfolgenden kluge Ratschläge geben kann.
Die App schlug ein. Ein Jahr später waren auf Timebite alle 4400 Vorlesungen der TU Wien abgebildet. Inzwischen ist sie für alle heimischen Hochschulen offen, spiegelt 20.000 Lehrveranstaltungen wider und wird von rund 12.000 Studierenden fleißig befüllt. Und von Unternehmen, die Stellenanzeigen und Employer Branding punktgenau an jene Studienrichtungen adressieren, für die sie rekrutieren.
Indes hatten die drei Gründer einen herben Dämpfer zu verkraften. Im Juni 2017 fielen sie alle bei den gefürchteten Mechanik-Klausuren durch. 97 Prozent aller Angetretenen erwischte es damals. Die Sache schlug hohe Wellen. Jahrelang hatte die Hochschülerschaft für „Mechanik 1+2“Durchfallquoten um die 90 Prozent bekrittelt. Dieser Jahrgang toppte alles vorher da Gewesene. Die TU versprach zu handeln. So verwundert es nicht, dass ihr die drei Studenten auffielen, deren App immer populärer wurde. Vier bis fünf ECTS-Punkte ist jede der beiden Mechanik-Klausuren wert. Jeder ECTS-Punkt soll einem Lernaufwand von 25 Stunden entsprechen. Trifft das zu? Wenn nicht, müssen die Curricula angepasst werden.
So entstand Quinn, die Schwester-App, mit der Studierende anonymisiert ihren Universitätstag tracken. Beide Apps sind sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch die Zielgruppe. Die eine hilft Studierenden, ihren Lernfortschritt zu optimieren, die andere hilft den Hochschulen, ihre Curricula zu evaluieren. Wenn beide so gut funktionieren, warum dann nicht den D-A-CH-Raum erobern?
Tal der Tränen
Genau da kam Corona dazwischen. Zwar boomte Timebite, weil vereinsamte Studierende sie während Shutdown und Distance
Learning umso eifriger konsultierten. Doch beide Geldquellen, die Unternehmen und die Unis, versiegten. Wieder saßen die drei an ihrem Küchentisch und fragten sich, ob ihre junge Firma das wohl durchstehen würde.
Grübeln hilft nichts, hat wohl einer gesagt. Lasst uns etwas Sinnvolles machen. Was brauchen die Menschen gerade? So entstand die Nachbarschaftshilfe-App Hilfma. Wer im Umkreis jemanden braucht, der einkauft, den Hund Gassi führt oder Medikamente holt, findet ihn dort. Auch Hilfma schlug ein und ist als eine der drei besten Apps des Jahres nominiert. Neue Aufträge folgten, eine AnleitungsApp für Corona-Gurgeltests oder ein Webshop. Es wird weitergehen.
Nicht aber mit dem Studium. Alle drei hängten inzwischen Maschinenbau und Ingenieurswesen an den Nagel. Traurig sind sie darüber nicht. Gemeinsam, so rechnen sie vor, haben sie 300 ECTSPunkte geschafft. Und das sind immerhin 1,5 Abschlüsse.