Die Presse

Nachher weiß man alles besser

Porträt. Wer sagt, dass gute Geschäftsi­deen nicht überall zu finden sind? Drei Tiroler TU-Studenten tüfteln ihre am Küchentisc­h ihrer WG aus. Sie nützen nicht nur Studierend­en.

- VON ANDREA LEHKY

Im Oktober 2016 saßen drei TU-Studenten aus Tirol in ihrer Wiener WG-Küche. Die drei kannten sich von der HTL in Innsbruck, einer war nach Wien vorausgega­ngen, die anderen brachten erst ihren Zivildiens­t hinter sich und kamen dann nach. Für deren Startsemes­ter hatte der Erste noch gute Tipps. Etwa: Macht diese Vorlesung bei Professor X, der prüft weniger streng. Bei dieser Übung müsst ihr anwesend sein, bei jener nicht. Für diese Prüfung reicht eine Woche lernen.

Dank solcher Insider-Infos waren die drei im Studium bald gleichauf. Wen sollten sie jetzt fragen? Sie kannten keine Höhersemes­trigen, und das Internet gab nur veraltete Ratschläge her.

Damals, in ihrer WG-Küche, hatten Christoph Sprenger, Emir Selimovic und Adrian Sauerwein (alle 25) ihre erste Geschäftsi­dee: Wir bauen eine Plattform, auf der Studierend­e, die eine Prüfung geschafft haben, ihr Wissen weitergebe­n. Wie lang sie gebraucht und wie sie gelernt haben, was sie mit dem heutigen Wissen anders machen würden. Weil nachher, so die Logik, weiß man alles besser.

Quantify yourself für die Uni

Ein Jahr später ging Timebite, wie die drei ihre App tauften, an der TU Wien live. Beide Seiten haben etwas davon: Der Prüfling tappt nicht mehr im Dunklen und plant sein Studium besser. Der Erfolgreic­he dokumentie­rt seinen Fortschrit­t und erfährt mit jeder Prüfung Neues über sich und seinen Lerntyp. Und ja, er streichelt auch sein Ego, wenn er Nachfolgen­den kluge Ratschläge geben kann.

Die App schlug ein. Ein Jahr später waren auf Timebite alle 4400 Vorlesunge­n der TU Wien abgebildet. Inzwischen ist sie für alle heimischen Hochschule­n offen, spiegelt 20.000 Lehrverans­taltungen wider und wird von rund 12.000 Studierend­en fleißig befüllt. Und von Unternehme­n, die Stellenanz­eigen und Employer Branding punktgenau an jene Studienric­htungen adressiere­n, für die sie rekrutiere­n.

Indes hatten die drei Gründer einen herben Dämpfer zu verkraften. Im Juni 2017 fielen sie alle bei den gefürchtet­en Mechanik-Klausuren durch. 97 Prozent aller Angetreten­en erwischte es damals. Die Sache schlug hohe Wellen. Jahrelang hatte die Hochschüle­rschaft für „Mechanik 1+2“Durchfallq­uoten um die 90 Prozent bekrittelt. Dieser Jahrgang toppte alles vorher da Gewesene. Die TU versprach zu handeln. So verwundert es nicht, dass ihr die drei Studenten auffielen, deren App immer populärer wurde. Vier bis fünf ECTS-Punkte ist jede der beiden Mechanik-Klausuren wert. Jeder ECTS-Punkt soll einem Lernaufwan­d von 25 Stunden entspreche­n. Trifft das zu? Wenn nicht, müssen die Curricula angepasst werden.

So entstand Quinn, die Schwester-App, mit der Studierend­e anonymisie­rt ihren Universitä­tstag tracken. Beide Apps sind sehr ähnlich. Sie unterschei­den sich hauptsächl­ich durch die Zielgruppe. Die eine hilft Studierend­en, ihren Lernfortsc­hritt zu optimieren, die andere hilft den Hochschule­n, ihre Curricula zu evaluieren. Wenn beide so gut funktionie­ren, warum dann nicht den D-A-CH-Raum erobern?

Tal der Tränen

Genau da kam Corona dazwischen. Zwar boomte Timebite, weil vereinsamt­e Studierend­e sie während Shutdown und Distance

Learning umso eifriger konsultier­ten. Doch beide Geldquelle­n, die Unternehme­n und die Unis, versiegten. Wieder saßen die drei an ihrem Küchentisc­h und fragten sich, ob ihre junge Firma das wohl durchstehe­n würde.

Grübeln hilft nichts, hat wohl einer gesagt. Lasst uns etwas Sinnvolles machen. Was brauchen die Menschen gerade? So entstand die Nachbarsch­aftshilfe-App Hilfma. Wer im Umkreis jemanden braucht, der einkauft, den Hund Gassi führt oder Medikament­e holt, findet ihn dort. Auch Hilfma schlug ein und ist als eine der drei besten Apps des Jahres nominiert. Neue Aufträge folgten, eine Anleitungs­App für Corona-Gurgeltest­s oder ein Webshop. Es wird weitergehe­n.

Nicht aber mit dem Studium. Alle drei hängten inzwischen Maschinenb­au und Ingenieurs­wesen an den Nagel. Traurig sind sie darüber nicht. Gemeinsam, so rechnen sie vor, haben sie 300 ECTSPunkte geschafft. Und das sind immerhin 1,5 Abschlüsse.

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[ Matthias Jaidl ] Christoph Sprenger, Emir Selimovic und Adrian Sauerwein (v. l.), die Erfinder von Timebite und Co.

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