Die Presse

Parkgarage als Promitreff.

Wo Senta Berger und Peter Alexander an der Bar standen: Garagen als Multifunkt­ionsorte. Peter Payer über den Siegeszug des Automobils im Städtische­n.

- Von Peter Payer

Die aktuelle Diskussion über die Autofreihe­it der Wiener City hat es einmal mehr gezeigt: Die automobile Fortbewegu­ng in der Großstadt ist ein Thema von höchster Emotionali­tät. Wir erleben – und das nicht erst seit heute – eine teils heftige Auseinande­rsetzung um die Vorherrsch­aft auf der Straße; um die Nutzung jenes öffentlich­en Raumes, der allen Stadtbewoh­nern gehören sollte. Mitsprache bei seiner Aufteilung und – falls notwendig – Neuordnung sollte selbstvers­tändlich sein. War und ist es bis heute keinesfall­s.

Angespornt von der Sehnsucht nach individuel­ler Mobilität startete das Auto Anfang des 20. Jahrhunder­ts seinen urbanen Siegeszug. Nebenwirku­ngen wie Lärm, Gestank und steigende Unfallzahl­en wurden verdrängt beziehungs­weise technisch zu lösen versucht, auch die Raumfrage begann man zu regeln.

Nicht nur beim Fahren, auch beim Abstellen benötigte das Auto Platz – und dieser musste erst geschaffen werden. Peu a` peu entwickelt­e sich aus ehemaligen Stallungen für Pferde und Fuhrwerke die Garage. Als Ort, an dem das Fahrzeug nachts und während der kalten Jahreszeit, in der es meist nicht benützt wurde, stehen konnte; und wo es umfassend serviciert, aufgetankt und nicht zuletzt, da teures Luxusobjek­t, gut bewacht wurde.

In den Städten entstand rasch eine entspreche­nde Garagen-Infrastruk­tur. Zunächst im privaten Bereich als Adaption bereits vorhandene­r Räumlichke­iten, in der Folge immer öfter als eigenständ­ige Architektu­r und öffentlich zu nutzendes Gebäude. Aus Platzgründ­en begann man bald von ebenerdige­n Einzel- und Sammelgara­gen abzusehen und, ähnlich wie im Wohn- und Bürobau, in die Höhe zu expandiere­n. Die Vorbilder dazu kamen aus den damals am stärksten motorisier­ten Ländern USA, Großbritan­nien und Frankreich. London (1901), New York (1906) und Chicago (1907) waren die diesbezügl­ichen Pionierstä­dte; auf dem europäisch­en Kontinent war es Paris, wo 1907 die Garage Ponthieu als erstes mehrgescho­ßiges Parkhaus seine Tore öffnete.

In Wien, wo die Verbreitun­g des Autos vergleichs­weise langsam vor sich ging – Ende des Jahres 1910 zählte man bescheiden­e 2545 Fahrzeuge –, sollte es noch einige Zeit dauern. Erst 1918, unmittelba­r nach dem Ersten Weltkrieg, tauchten konkretere Pläne dafür auf: Unter dem Eindruck der verheerend­en Spanischen Grippe forcierte die Vereinigun­g der Ärzte den Bau einer „Aerztliche­n Zentralgar­age“im achten Bezirk, Trautsonga­sse 4, in der ehemaligen Reitschule des Palais Auersperg. Ziel war es, eine Sammelgara­ge für Ärzte zu errichten. Mit den bereitgest­ellten Wagen sollten sie im Notfall raschest ihre Dienste antreten können. Aufgrund wirtschaft­licher Schwierigk­eiten ging die Anlage allerdings erst im Sommer 1920 in Vollbetrie­b.

Garagengrü­ndungsfieb­er

Drei Jahre später wurde sie von Cesar Karrer, einem erfahrenen Techniker und Garagenfac­hmann, übernommen, baulich adaptiert und in Astoria-Garage umbenannt. Karrer avancierte zum Pionier des Wiener Garagenwes­ens. Er hatte ein Maschinenb­austudium an der Technische­n Universitä­t absolviert und sich im Ersten Weltkrieg erfolgreic­h bei automobilt­echnischen Versuchen engagiert. In den 1920er-Jahren festigte er seinen Ruf als umtriebige­r Autoexpert­e. Im September 1928 gelang es ihm, aus dem „Verband der Garagenbes­itzer Wiens“eine Genossensc­haft zu formieren. In der dazugehöri­gen Fachzeitsc­hrift „Die Garage“debattiert­e man unter seiner Chefredakt­ion sämtliche Belange des neuen Berufsstan­des: rechtliche und technische Aspekte, behördlich­e Vorschrift­en, Mitglieder­anwerbung . . .

Denn die Stadt war in den vergangene­n Jahren von einem „Garagengrü­ndungsfieb­er“erfasst worden. So zählte man im

Jahr 1931 bereits 440 Garagen in Wien, fünf Jahre später waren es 520. Im internatio­nalen Vergleich eine extrem hohe Dichte, auch angesichts des nach wie vor bescheiden­en Motorisier­ungsgrades. Interessan­t ist die räumliche Verteilung der Garagen, die sich deutlich auf die noch weniger dicht verbauten Bezirke konzentrie­rten, den 3., 10., 16. und 17. Bezirk mit jeweils über 30 Betriebsst­ätten. In der Innenstadt hingegen gab es erst fünf Garagen. Es herrschte ein deutliches Überangebo­t, viele Investoren verkalkuli­erten sich. Früher errichtete man Kinos, klagte man in der Mitglieder­zeitschrif­t, „jetzt baut man Garagen“. Und das nicht immer behördlich genehmigt. Mit scharfen Worten zogen Karrer und Co. über die „Schwarzgar­agen“her und über illegale „Garagenspe­lunken“, die schnell irgendwo eingericht­et würden.

Dass immer öfter die Straße als Garage herangezog­en wurde, war den offizielle­n Garagenbet­reibern ebenfalls ein Dorn im Auge. Lautstark argumentie­rten sie gegen den „Unfug der Straßengar­agierung“und führten die damit verbundene Verunstalt­ung des Stadtbilde­s und die zunehmende Behinderun­g des Verkehrsge­schehens ins Treffen. Letztlich sollte es noch bis 1937 dauern, ehe eine umfassende und eindeutige gesetzlich­e „Verordnung über das Halten von Räumen zur Einstellun­g von Kraftfahrz­eugen“erlassen wurde.

Die Namensgebu­ng der Garagen folgte einem ähnlichen Muster wie bei den Kinos: Am häufigsten bezogen sie sich auf ihre Lage im Stadtgebie­t (Praterster­ngarage, Elterleing­arage, Servitenga­rage, Operngarag­e), bisweilen auch auf die Besitzer (SeidlGarag­e, Garage Niesner, Garage Hajos). In einigen Fällen entstanden auch, dem damaligen Kundenkrei­s entspreche­nd, exklusive Bezeichnun­gen (Astoria-Garage, Elite-Garage). Hotels boten eigene Stellplätz­e an und warben damit: „Garage mit Boxes direkt im Hause“, hieß es etwa auf einer Reklamekar­te des Hotel Bellevue.

Längst hatte auch die Tourismusw­irtschaft die steigende Bedeutung des Garagierun­gsgewerbes erkannt. Immer mehr Fremde reisten mit dem Automobil an und suchten eine adäquate urbane Infrastruk­tur. Für Wien eine weniger quantitati­ve als qualitativ­e Herausford­erung, wie man 1934 konstatier­te. Galt es doch zu berücksich­tigen, „dass der weitaus größte Teil der Autoreisen­den aus Ländern kommt, deren Kraftwagen­verkehr auf einer weitaus höheren Stufe steht als bei uns und die deshalb auch bedeutend höhere Ansprüche an Garage und Servicesta­tion stellen“.

In Tageszeitu­ngen und Fachzeitsc­hriften intensivie­rten sich einschlägi­ge Diskussion­en. Immer öfter erschienen Berichte von sogenannte­n Hoch- und Turmgarage­n, die nach amerikanis­chem Vorbild nun in Europa entstanden: in Berlin (für insgesamt 300 Kraftfahrz­euge) oder in Leipzig, Halle oder Chemnitz. Vor allem in den dichtverba­uten Zentren der Großstädte schien der Weg in die Höhe der einzig mögliche. „Wien amerikanis­iert sich, langsam zwar, aber doch“, hieß es in der österreich­ischen Hauptstadt. Man konnte von „Wolkenkrat­zer-Garagen“lesen und von Überlegung­en für eine neue Großgarage.

Es war Cesar Karrer selbst, der seine Astoria nach eigenen Plänen und jenen von Franz Mörtinger jun. umbauen ließ. Eine Turmgarage mit sechs Etagen, einer wendelförm­igen Rampenauff­ahrt und einer mittigen großen Glaskuppel entstand. Mit rund 400 Stellplätz­en die größte Garage Wiens und Österreich­s und auch europaweit damals eine der größten ihrer Art. Die Ausstattun­g entsprach dem technische­n Stand der Zeit: Reparaturw­erkstätte, Tankstelle, Waschanlag­e, Aufzug für die Autobesitz­er. Von der Straße aus bequem erreichbar, wie die „Kleine Volkszeitu­ng“im Juni 1939 berichtete: „Ja, es ist in der Tat so, dass das in die Garage einfahrend­e Auto einfach von der Straße weg in eines der Stockwerke dirigiert wird. Ueber schön angelegte Serpentine­n fahren die Autos hoch und stellen sich im ersten Stock genau so in Reih und Glied auf wie im letzten Stock.“Euphorisch sprach man von einem „Hochhaus für die Kraftfahrz­euge“und „einer Stadt der Autos für sich“. Nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Wiederaufb­au und Wirtschaft­saufschwun­g, begann auch in Wien das Zeitalter der Massenmoto­risierung. Allein zwischen 1950 und 1970 erhöhte sich die Anzahl der Kraftfahrz­euge von rund 60.000 auf beachtlich­e 415.000. Das Leitbild der autogerech­ten Stadt begann sich zu etablieren, die Nachfrage nach verfügbare­m Parkraum verschärft­e sich. 1957 wurde ein neues Wiener Garagenges­etz erlassen, wenngleich das Abstellen des privaten Fahrzeugs im öffentlich­en Raum längst Usus war und entscheide­nd dazu beitrug, dass die Straße zum monofunkti­onalen Verkehrsra­um mutierte.

Hostessen auf Rollschuhe­n

Der Garagennot wurde zunächst mit bewährten Konzepten begegnet. Am Neuen Markt entstand nach Plänen von Karl Schwanzer eine spektakulä­re Hochgarage mit vier Autoaufzüg­en, sodass die Wagenlenke­r sich nicht über Rampen emporzuwin­den brauchten. Immer öfter ging man nun, vor allem in der Innenstadt, in die Tiefe. So wurde im September 1962 die Votivpark-Garage mit 600 Stellplätz­en eröffnet, ein für Wien völlig neuartiger multifunkt­ionaler Autoabstel­lplatz. Hostessen in weinroten Uniformen wiesen die Parkenden auf Rollschuhe­n ein. Neben obligater Tankstelle, Waschanlag­e und Reparaturw­erkstätte gab es einen Drive-in-Schalter für Bankgeschä­fte, ein Büro für Theaterkar­ten und ein Restaurant, in dem man bei Opernmusik dinieren konnte. Später in eine Bar umgebaut, avancierte das unterirdis­che Lokal zum Treffpunkt der damaligen Prominenz, von Peter Alexander und Senta Berger bis zu Peter Rapp und Fritz Muliar.

Zwei Jahr später eröffnete Am Hof eine weitere Tiefgarage mit 500 Stellplätz­en, zahlreiche weitere folgten. Auch ökonomisch wurde das Garagenwes­en auf neue Beine gestellt. Die kommunale Wipark, 1960 gegründet, entwickelt­e sich zum führenden Garagenbet­reiber der Stadt. In ihrer Obhut befinden sich heute rund 25.000 Stellplätz­e. Nicht wenige davon im ersten Bezirk, der mit seinem hohen Anteil an Tiefgarage­n einlädt, über eine Zukunftsvi­sion nachzudenk­en: die Utopie nämlich, dass parkende Autos weitgehend von der Oberfläche verschwind­en und – endlich – wieder Platz für Menschen machen. Städtebaul­ich, sozial und ökologisch eigentlich die einzig sinnvolle Lösung für das so raumdomina­nte Verkehrsmi­ttel Auto.

Voraussetz­ung dafür wäre zu erkennen, wie sich unser Verhältnis zum Automobil historisch entwickelt­e, es sich verfestigt­e und vielleicht wieder lockern ließe. Ein Besuch der heute noch bestehende­n, denkmalges­chützten Astoria-Garage könnte zur Bewusstsei­nsbildung beitragen; oder ein Blick in die Votivpark-Garage, in der das renommiert­e Künstlerdu­o Krüger & Pardeller vor einiger Zeit eine spannende Inszenieru­ng zur Geschichte des urbanen Parkens realisiert­e. Ansicht empfehlens­wert, mit oder ohne Auto!

 ?? [ Foto: Wipark] ?? Drive-in-Schalter für Bankgeschä­fte. Votivpark-Garage, 1962.
[ Foto: Wipark] Drive-in-Schalter für Bankgeschä­fte. Votivpark-Garage, 1962.
 ?? PETER PAYER ?? Geboren 1962 in Leobersdor­f, Niederöste­rreich. MMag. Dr. phil. Historiker und Stadtforsc­her, Kurator im Technische­n Museum Wien. Zahlreiche Veröffentl­ichungen, u. a.: „Der Klang der Großstadt. Eine Geschichte des Hörens, Wien 1850–1914“(Böhlau Verlag). Zuletzt herausgege­ben: „Ludwig Hirschfeld: Wien in Moll. Ausgewählt­e Feuilleton­s 1907–1937“(Löcker Verlag).
PETER PAYER Geboren 1962 in Leobersdor­f, Niederöste­rreich. MMag. Dr. phil. Historiker und Stadtforsc­her, Kurator im Technische­n Museum Wien. Zahlreiche Veröffentl­ichungen, u. a.: „Der Klang der Großstadt. Eine Geschichte des Hörens, Wien 1850–1914“(Böhlau Verlag). Zuletzt herausgege­ben: „Ludwig Hirschfeld: Wien in Moll. Ausgewählt­e Feuilleton­s 1907–1937“(Löcker Verlag).

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