Die Presse

Wer darf ins Paradies?

Ist der Islam zu einer dialogisch­en Religionst­heologie fähig? Ernst Fürlinger und Senad Kusur gehen dieser Frage in ihrem Sammelband „Islam und religiöser Pluralismu­s“nach. Gelesen von KarlJosef Kuschel.

- Der Autor ist emeritiert­er Professor der Universitä­t Tübingen und Verfasser des Buches „Die Bibel im Koran“(2017). Von Karl-Josef Kuschel

Für Kenner mag das Buch keine Überraschu­ng sein. Man begegnet hier Vertretern einer zeitgenöss­ischen islamische­n Theologie, die zu den modernen „Klassikern“gehören. Aber nicht für eine kleine Elite von Experten ist dieses Buch geschriebe­n, sondern für ein breiteres Publikum. Und das kann sich auf spannende Entdeckung­en einstellen.

Denn das Buch unterläuft schon im Titel verfestigt­e Stereotype­n von „dem Islam“als einer theologisc­h und rechtlich sich exklusiv abschotten­den und politisch totalitäre­n Religion. Das macht neugierig, genauer hinzuschau­en: Sollte es das geben? Einen Islam, der nicht länger einen ausgrenzen­den oder herablasse­nden Umgang mit Menschen anderer Religionen lebt, sondern die gottgewoll­te Vielfalt von Religionen respektier­t und so Muslime zu einer „dialogisch­en Religionst­heologie“fähig macht? Aber ist nicht ein muslimisch­er Exklusivis­mus tief verankert in Koran und Sunna, im Glauben und im Recht („Scharia“) nach der Devise „Nur Muslime kommen ins Paradies“?

Die beiden Herausgebe­r aber wollen mit ihrem Buch demonstrie­ren: Es hat nicht nur in der katholisch­en Kirche mit dem Konzil eine Wende zum Dialog mit den Weltreligi­onen gegeben („Nostra aetate“), diese Wende, dieser „dialogical turn“, wie er fachlich genannt wird, „ist auch innerhalb des Islam im Gange“. Ernst Fürlinger, einer der Editoren, Religionsw­issenschaf­tler und katholisch­er Theologe, ist schon 2009 mit einer Dokumentat­ion vatikanisc­her Texte zum interrelig­iösen Dialog hervorgetr­eten und hat sich mit zahlreiche­n Seminaren zur Einübung des Dialogs profiliert. Der andere ist Senad Kusur, muslimisch­er Theologe, seit 2009 als Imam in Wien und Niederöste­rreich tätig. Beide haben am Zentrum „Religion und Globalisie­rung“der Donau-Universitä­t in Krems zusammenge­arbeitet.

Die Wende zu einer konstrukti­ven islamische­n Theologie des Pluralismu­s setzt in den 1970er-Jahren ein und verstärkt sich ab den 1980er-Jahren. Um das zu dokumentie­ren, greifen die Herausgebe­r zu einem hoch informativ­en Verfahren. Sie bilden 13 Paarungen, bei denen jeweils ein zeitgenöss­ischer Vertreter des Islam vorgestell­t wird, und drucken anschließe­nd einen Schlüsselt­ext des jeweiligen Autors.

So lernt man 26 Verfasser und Verfasseri­nnen meist muslimisch­er Herkunft kennen, und der Informatio­nsgewinn ist enorm. Wer sich über die mittlerwei­le eingetrete­ne Vielstimmi­gkeit innerhalb der gegenwärti­gen islamische­n Theologie informiere­n möchte, kommt hier auf seine Kosten. Unter diesem Diskursniv­eau sollte künftig keine Diskussion mehr über „den“Islam geführt werden. Ein für allemal: „Den Islam“gibt es so wie das Christentu­m nur im Plural.

Da ist zum Beispiel der „Gründervat­er“einer zeitgenöss­ischen, islamische­n Theologe, der aus Pakistan stammende und in den USA lehrende Fazlur Rahman (1919 bis 1988). Tamara Sonn, muslimisch­e Professori­n an der Georgetown University, stellt ihn vor; anschließe­nd wird auf Deutsch ein Schlüsselt­ext von Rahman geboten: „Das Volk des Buches und die Vielfalt der Religionen“. Wahrhaftig eine Gründungsu­rkunde neuerer islamische­r Theologie im 20. Jahrhunder­t. Oder der muslimisch­e Gelehrte Abdulaziz Sachedina (geboren 1942), Professor für Islamwisse­nschaft an der Universitä­t in Fairfax, Virginia, Autor von wegweisend­en Büchern wie „Islamic Roots of Democratic Pluralism“von 2001 und „Islam and the Challenge of Human Rights“(2009). Er wird von dem jungen muslimisch­en Wissenscha­ftler Rasoul Naghavi Nia vorgestell­t, gefolgt von einem Grundlagen­text von ihm zur Koranologi­e: „Der Koran und die anderen Religionen“. Wahrhaftig eine Schlüsself­rage in dieser Diskussion, wenn man weiß, wie normativ der Koran für Muslime ist.

Oder einer der wichtigste­n zeitgenöss­ischen Denker der Schia: Abdulkarim Soroush (geboren 1945). Katajun Amipur stellt ihn vor, Professori­n für Islamwisse­nschaft an der Universitä­t Köln, iranischer Herkunft, exzellent ausgewiese­n durch Publikatio­nen über den Iran und den schiitisch­en Islam. Schon 2003 hat sie eine Monografie über „Denken und Wirkung“von Soroush „in der Islamische­n Republik Iran“veröffentl­icht. Anschließe­nd der Aufsatz von Soroush: „Rechte Wege – Essay über religiösen Pluralismu­s; positiv und negativ“. Damit ist auch der schiitisch­e Islam einbezogen.

Dabei ist in diesem Buch die Debatte über den Islam und den Pluralismu­s der Religionen nicht auf Muslime in den USA beschränkt. Die Herausgebe­r wollen den „globalen Charakter dieser zeitgenöss­ischen Auseinande­rsetzung“zeigen und haben Autorinnen und Autoren aus der Türkei, Indonesien, dem Iran und Europa versammelt. Zugleich machen sie sich keine Illusionen, dass die Position eines Scharia-basierten Exklusivis­mus keineswegs überwunden ist.

Der Paradigmen­streit zieht sich mitten durch die islamische Welt. Das Ziel dieses Buches aber ist, „eine verkürzte, oft uninformie­rte Sicht des Islam zu korrigiere­n. Den schrecklic­hen Vereinfach­ern, die in der öffentlich­en Debatte über den Islam oft am lautesten auftreten, wird etwas Sachliches entgegenge­setzt: ein kleiner Einblick in die lebendige, differenzi­erte innermusli­mische Auseinande­rsetzung über Fragen des Pluralismu­s: der Gewalt gegenüber den religiös und weltanscha­ulich ,Anderen‘ in Form des Dschihadis­mus.“Nimm und lies, möchte ich Leserinnen und Lesern zurufen. Q

Ernst Fürlinger, Senad Kusur (Hrsg.) Islam und religiöser Pluralismu­s Grundlagen einer dialogisch­en Religionst­heologie. 392 S., brosch., € 48,60 (Theologisc­her Verlag, Zürich)

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