Wer darf ins Paradies?
Ist der Islam zu einer dialogischen Religionstheologie fähig? Ernst Fürlinger und Senad Kusur gehen dieser Frage in ihrem Sammelband „Islam und religiöser Pluralismus“nach. Gelesen von KarlJosef Kuschel.
Für Kenner mag das Buch keine Überraschung sein. Man begegnet hier Vertretern einer zeitgenössischen islamischen Theologie, die zu den modernen „Klassikern“gehören. Aber nicht für eine kleine Elite von Experten ist dieses Buch geschrieben, sondern für ein breiteres Publikum. Und das kann sich auf spannende Entdeckungen einstellen.
Denn das Buch unterläuft schon im Titel verfestigte Stereotypen von „dem Islam“als einer theologisch und rechtlich sich exklusiv abschottenden und politisch totalitären Religion. Das macht neugierig, genauer hinzuschauen: Sollte es das geben? Einen Islam, der nicht länger einen ausgrenzenden oder herablassenden Umgang mit Menschen anderer Religionen lebt, sondern die gottgewollte Vielfalt von Religionen respektiert und so Muslime zu einer „dialogischen Religionstheologie“fähig macht? Aber ist nicht ein muslimischer Exklusivismus tief verankert in Koran und Sunna, im Glauben und im Recht („Scharia“) nach der Devise „Nur Muslime kommen ins Paradies“?
Die beiden Herausgeber aber wollen mit ihrem Buch demonstrieren: Es hat nicht nur in der katholischen Kirche mit dem Konzil eine Wende zum Dialog mit den Weltreligionen gegeben („Nostra aetate“), diese Wende, dieser „dialogical turn“, wie er fachlich genannt wird, „ist auch innerhalb des Islam im Gange“. Ernst Fürlinger, einer der Editoren, Religionswissenschaftler und katholischer Theologe, ist schon 2009 mit einer Dokumentation vatikanischer Texte zum interreligiösen Dialog hervorgetreten und hat sich mit zahlreichen Seminaren zur Einübung des Dialogs profiliert. Der andere ist Senad Kusur, muslimischer Theologe, seit 2009 als Imam in Wien und Niederösterreich tätig. Beide haben am Zentrum „Religion und Globalisierung“der Donau-Universität in Krems zusammengearbeitet.
Die Wende zu einer konstruktiven islamischen Theologie des Pluralismus setzt in den 1970er-Jahren ein und verstärkt sich ab den 1980er-Jahren. Um das zu dokumentieren, greifen die Herausgeber zu einem hoch informativen Verfahren. Sie bilden 13 Paarungen, bei denen jeweils ein zeitgenössischer Vertreter des Islam vorgestellt wird, und drucken anschließend einen Schlüsseltext des jeweiligen Autors.
So lernt man 26 Verfasser und Verfasserinnen meist muslimischer Herkunft kennen, und der Informationsgewinn ist enorm. Wer sich über die mittlerweile eingetretene Vielstimmigkeit innerhalb der gegenwärtigen islamischen Theologie informieren möchte, kommt hier auf seine Kosten. Unter diesem Diskursniveau sollte künftig keine Diskussion mehr über „den“Islam geführt werden. Ein für allemal: „Den Islam“gibt es so wie das Christentum nur im Plural.
Da ist zum Beispiel der „Gründervater“einer zeitgenössischen, islamischen Theologe, der aus Pakistan stammende und in den USA lehrende Fazlur Rahman (1919 bis 1988). Tamara Sonn, muslimische Professorin an der Georgetown University, stellt ihn vor; anschließend wird auf Deutsch ein Schlüsseltext von Rahman geboten: „Das Volk des Buches und die Vielfalt der Religionen“. Wahrhaftig eine Gründungsurkunde neuerer islamischer Theologie im 20. Jahrhundert. Oder der muslimische Gelehrte Abdulaziz Sachedina (geboren 1942), Professor für Islamwissenschaft an der Universität in Fairfax, Virginia, Autor von wegweisenden Büchern wie „Islamic Roots of Democratic Pluralism“von 2001 und „Islam and the Challenge of Human Rights“(2009). Er wird von dem jungen muslimischen Wissenschaftler Rasoul Naghavi Nia vorgestellt, gefolgt von einem Grundlagentext von ihm zur Koranologie: „Der Koran und die anderen Religionen“. Wahrhaftig eine Schlüsselfrage in dieser Diskussion, wenn man weiß, wie normativ der Koran für Muslime ist.
Oder einer der wichtigsten zeitgenössischen Denker der Schia: Abdulkarim Soroush (geboren 1945). Katajun Amipur stellt ihn vor, Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Köln, iranischer Herkunft, exzellent ausgewiesen durch Publikationen über den Iran und den schiitischen Islam. Schon 2003 hat sie eine Monografie über „Denken und Wirkung“von Soroush „in der Islamischen Republik Iran“veröffentlicht. Anschließend der Aufsatz von Soroush: „Rechte Wege – Essay über religiösen Pluralismus; positiv und negativ“. Damit ist auch der schiitische Islam einbezogen.
Dabei ist in diesem Buch die Debatte über den Islam und den Pluralismus der Religionen nicht auf Muslime in den USA beschränkt. Die Herausgeber wollen den „globalen Charakter dieser zeitgenössischen Auseinandersetzung“zeigen und haben Autorinnen und Autoren aus der Türkei, Indonesien, dem Iran und Europa versammelt. Zugleich machen sie sich keine Illusionen, dass die Position eines Scharia-basierten Exklusivismus keineswegs überwunden ist.
Der Paradigmenstreit zieht sich mitten durch die islamische Welt. Das Ziel dieses Buches aber ist, „eine verkürzte, oft uninformierte Sicht des Islam zu korrigieren. Den schrecklichen Vereinfachern, die in der öffentlichen Debatte über den Islam oft am lautesten auftreten, wird etwas Sachliches entgegengesetzt: ein kleiner Einblick in die lebendige, differenzierte innermuslimische Auseinandersetzung über Fragen des Pluralismus: der Gewalt gegenüber den religiös und weltanschaulich ,Anderen‘ in Form des Dschihadismus.“Nimm und lies, möchte ich Leserinnen und Lesern zurufen. Q
Ernst Fürlinger, Senad Kusur (Hrsg.) Islam und religiöser Pluralismus Grundlagen einer dialogischen Religionstheologie. 392 S., brosch., € 48,60 (Theologischer Verlag, Zürich)