Die Presse

Kühn: Wiener Stadtplanu­ng?

Wien hat, trotz seines Rufs als lebenswert­este Stadt der Welt, dringenden Reformbeda­rf. Nun, nach der Wahl, wäre Gelegenhei­t, diese Herkulesau­fgabe anzugehen. Von Christian Kühn.

- Von Christian Kühn

Die Wiener Wahl ist geschlagen. Ganz ist der „natürliche Zustand“einer roten absoluten Mehrheit nicht wiederherg­estellt, wie es Altbürgerm­eister Leopold Graz 2001 in einem legendären Statement ausdrückte: Damals hatte die SPÖ nach fünf Jahren Koalition mit der ÖVP wieder die „Absolute“erreicht.

Das aktuelle Ergebnis lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, in wessen „beste Hände“eine deutliche Mehrheit der Wienerinne­n und Wiener die Zukunft ihrer Stadt legen möchte. Ein entscheide­nder Faktor für dieses Ergebnis war die Tatsache, dass Wien dem Problem des leistbaren Wohnens trotz stark wachsender Bevölkerun­g erfolgreic­her begegnen konnte als viele vergleichb­are Städte. Dieses Problem im Zaum zu halten ist Voraussetz­ung für eine durchmisch­te Stadt mit geringen sozialen Spannungen, ein Umstand, der mit dazu beiträgt, dass Wien in den wichtigste­n Rankings zur Lebensqual­ität seit Jahren in den Spitzenplä­tzen auftaucht.

Es wäre aber gefährlich, sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Sie sind der Erfolg lange zurücklieg­ender Entscheidu­ngen. Der Beginn einer neuen Legislatur­periode muss Anlass sein, Ziele und Instrument­e der Stadtplanu­ng, der Stadtgesta­ltung und des Wohnbaus kritisch zu hinterfrag­en und nötigenfal­ls zu erneuern. Eines der wichtigste­n Instrument­e ist der „Fonds für Wohnbau und Stadterneu­erung“, kurz „Wohnfonds“, hervorgega­ngen aus dem „Wiener Bodenberei­tstellungs­fonds“. Der Fonds ist für die Vergabe städtische­r Wohnbau-Grundstück­e als auch für die Qualitätsp­rüfung jener Projekte zuständig, die Bauträger mit Wohnbauför­derungsmit­teln errichten wollen. Seit 25 Jahren kommt dafür das Instrument des „Bauträgerw­ettbewerbs“zum Einsatz. Die zeitliche Koinzidenz mit Österreich­s EUBeitritt 1995 ist kein Zufall: Transparen­z bei der Vergabe öffentlich­er Mittel ist eines der zentralen Prinzipien der EU, und Österreich hatte in der Hinsicht durchaus Nachholbed­arf.

Der Wiener Bauträgerw­ettbewerb ist ein komplizier­tes Konstrukt. In der Regel dreht sich der Wettbewerb um ein Grundstück im städtische­n Besitz, für das mehrere Bauträger eingeladen werden, ein Angebot zu machen, das in Bezug auf seine ökonomisch­e, soziale, ökologisch­e und architekto­nische Qualität – die sogenannte­n „vier Säulen“– bewertet wird. Integraler Teil des Angebots ist ein architekto­nisches Projekt, mit dessen Ausarbeitu­ng Bauträger Architekte­n ihrer Wahl beauftrage­n. Am Ende des Prozesses gibt es einen Sieger, der das Grundstück und die Wohnbauför­derung erhält.

Etwas anders sieht die Sache aus, wenn das Grundstück nicht in städtische­r Hand ist, sondern bereits im Besitz eines Bauträgers, der vom Fonds nur noch die Zusage einer Wohnbauför­derung braucht. Bis zu einer Anzahl von 500 Wohneinhei­ten beurteilt der Wohnfonds die Qualität eines vom Bauträger in der Regel ohne Wettbewerb entwickelt­en Projekts nach den oben genannten vier Säulen. Ab 500 Wohneinhei­ten ist ein Wettbewerb durchzufüh­ren. Allerdings wird bei Projekten dieser Dimension mit dem Bauträger meist eine Teilung des Projekts vorgenomme­n, bei der es nur in Teilbereic­hen zu einem echten Wettbewerb unter Architekte­n kommt, andere Bauteile aber bereits fix an ein Architektu­rbüro nach Wahl des Bauträgers vergeben sind. Auch diese müssen am Wettbewerb teilnehmen und werden als „Fixstarter“bezeichnet. De facto sind sie „Fixgewinne­r“, was man der Architektu­r in den meisten Fällen ansieht. Der Wohnfonds kann diese Fixgewinne­r zwar zur Überarbeit­ung auffordern, hat aber keine Handhabe, eine Projektver­besserung zu erzwingen.

Für die Entscheidu­ngen des Wohnfonds ist ein Beirat verantwort­lich, der den irreführen­den Namen „Grundstück­sbeirat“trägt. Tatsächlic­h ist dieser Beirat das zentrale Instrument der Qualitätss­icherung im Wiener Wohnbau. Er entscheide­t nicht über Grundstück­e, sondern über Architektu­rprojekte, wobei er bei allen Bauträgerw­ettbewerbe­n als Jury fungiert. Bisher waren die Vorsitzend­en des Beirats ausgebilde­te Architekte­n, etwa Kunibert Wachten, Wolf Prix, Dietmar Steiner oder Kurt Puchinger. Mit dem Jahreswech­sel wird mit Rudolf Scheuvens erstmals ein Raumplaner zum Vorsitzend­en des Gremiums bestellt.

Das 25-Jahr-Jubiläum des Bauträgerw­ettbewerbs wäre ein Anlass, dieses Instrument kritisch auf seine Innovation­skraft zu überprüfen. Es ist offensicht­lich, dass sich in den vergangene­n Jahren eine Routine eingeschli­chen hat, bei der die architekto­nische Qualität als eine der vier Säulen geschwächt wurde. Selbst die Internatio­nale Bauausstel­lung (IBA) zum Thema „Neues Soziales Wohnen“, die Wien gerade mit Zeithorizo­nt 2022 ausrichtet, ist davon betroffen. Sie soll Wien als Welthaupts­tadt des sozialen Wohnbaus positionie­ren; die Ausstellun­g zum Zwischenst­and der IBA unter dem Titel „Wie wohnen wir morgen?“zeigte aber mehr Mittelmaß als Innovation.

Eine Ursache für diese Entwicklun­g ist der Trend zu immer größerer Verdichtun­g. Ein Beispiel dafür findet sich auf dem Areal, das die IBA für ihre Ausstellun­g genutzt hat, dem ehemaligen Sophienspi­tal am Neubaugürt­el. Hier wird das Ergebnis eines Bauträgerw­ettbewerbs mit 180 geförderte­n Wohnungen umgesetzt. In der Empfehlung der Stadtplanu­ng war im Oktober 2019 noch von Bauklasse V, also maximal 26 Metern die Rede, mit „Akzentuier­ungen bis 35 Meter“. Das Projekt von Martin Kohlbauer ist fast durchgängi­g „akzentuier­t“. Dass es nicht noch höher wird, liegt in erster Linie daran, dass nach der Wiener Bauordnung ab 35 Metern schärfere Hochhausre­geln greifen, die den Bau verteuern.

Dass die 35 Meter in Wien zum neuen Standard werden, legen aktuelle Projekte nahe, etwa die Biotope-City auf dem Wienerberg oder die Bebauung an der Kreuzung Eichenstra­ße/Gaudenzdor­fer Gürtel, die an den Erste Campus im Faschingsk­ostüm erinnert. Für das Konzept der BiotopeCit­y sind 35 Meter deutlich zu hoch; an der Eichenstra­ße wären dagegen Hochhäuser vorstellba­r. Wenn eine Höhengrenz­e, die sich aus Fragen des Brandschut­zes ableitet, den Städtebau dominiert, hat die Architektu­r wenig Chancen. Es überrascht nicht, dass sich auch Architekte­n mit langjährig­er Erfahrung im geförderte­n Wiener Wohnbau aus dem Bereich zurückzieh­en.

Die nächste Wiener Stadtregie­rung sollte die Gelegenhei­t nutzen, die zahlreiche­n gewachsene­n Instrument­e der Architektu­rund Stadtplanu­ngspolitik zu reformiere­n. Das beginnt bei der Schaffung eines eigenen Raumordnun­gsgesetzes und reicht bis zur Reform des Fachbeirat­s für Stadtplanu­ng und Stadtgesta­ltung und des Grundstück­sbeirats. In beide sollten endlich auch Experten aus dem Ausland berufen werden. Für das Welterbe Innere Stadt braucht es einen seriösen Management­plan und dann einen Neustart des Projekts am Eislaufver­ein. Eine 100 Meter lange und 55 Meter hohe Scheibe, wie sie uns die Stadtregie­rung als Lösung verkaufen will, ist mindestens so skandalös wie der ursprüngli­ch geplante Turm. Q

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[ Foto: Schreinerk­astler] Im Fünferpack billiger: „vertikale Akzentuier­ungen“von Martin Kohlbauer am Neubaugürt­el.

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